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Brodersen, Kai; Wink, Michael [Editor]; Bartram, Claus R. [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Vererbung und Milieu — Berlin [u.a.], 45.2001

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4063#0136

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124 Franz Rcsch und Eva Möhler

dann gravierend auf die Mutter-Kind-Beziehung auswirken, wenn die „Ge-
spenster" sehr negativ besetzte Bezugspersonen der Kindeseltern sind, die
den Eltern in Gestalt ihres Kindes wiederzukehren scheinen (Rabain-Jamin
1984). Die Fortpflanzung von Beziehungs- und Bindungsstörungen in die
nächste Generation kann daher in diesem frühen Stadium über die Projek-
tion nicht nur negativer Selbstanteile sondern auch der Elternrepräsentan-
zen geschehen.

Insbesondere bei schweren Beziehungsstörungen, z.B. nach Misshand-
lungserfahrungen der Eltern, wirkt sich dieser Mechanismus gravierend auf
die Interaktion und letztlich die kindliche Persönlichkeitsbildung aus: Wenn
die malignen, übergriffig-aggressiven Introjekte der Eltern auf den Säugling
projiziert werden in Verbindung mit unverarbeiteten Gefühlen von Ohn-
macht und Hilflosigkeit und eigener Aggression, ist die Gefahr einer Wie-
derholung der Misshandlungserfahrungen gegeben (Möhler und Resch,
2000). Dazu ein Beispiel aus der interdisziplinären Säuglingsambulanz der
Universität Heidelberg:

Fallbeispiel: Ein 8 Wochen altes Mädchen wurde von seiner Mutter aufgrund
„unerträglicher hysterischer Anfälle" vorgestellt, welche mütterliche Miss-
handlungsimpulse mit bedrohlichen Durchbruchstendenzen auslösten. In
projektiver Wahrnehmungsverzerrung sah die Mutter in ihrem schreienden
Kind die eigene, intrusiv-traumatisierende Mutter und erlebte es auf mehre-
ren Ebenen als gefährlich. So empfand sie motorische Regungen des Säug-
lings als physisch aggressive, gegen sie selbst gerichtete Übergriffe und äu-
ßerte Ängste, in wenigen Jahren vom aggressiven Potential ihres Kindes
überwältigt zu werden.

Eine weitere Befürchtung der Mutter galt der von ihr erlebten fordernden
Unersättlichkeit des Säuglings. Auch neutrale vokale Äußerungen ihres Kin-
des erlebte die Mutter mitunter als manipulativ, sadistisch und gierig. Sie
begegnete ihnen mit einem rigiden Regelkorsett, dessen Einhaltung auch
durch den Vater und die Großmutter des Kindes sie mißtrauisch überwach-
te. Ein flexibles Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes erweckte in der
Mutter Ängste, das Kind könne aufgrund von Verwöhnung eine sie überwäl-
tigende Gier entwickeln.

Aus der Anamnese der mütterlichen Vergangenheit wurde folgender Hin-
tergrund deutlich: Bereits in frühester Kindheit habe sie von der eigenen
Mutter Gewalt in Form von Schlägen und Tritten erfahren, wobei sie am
meisten unter den „hysterischen" Schreiattacken der Mutter gelitten habe.
In dieser Situation sei sie von niemandem unterstützt und ernstgenommen
worden, obwohl sie der Lehrerin und auch ihrem Vater häufig davon erzählt
habe. Lediglich ein einziges Mal sei der Vater, den sie als Alkoholiker be-
 
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