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T. Hölscher
Die Sphären der Männer und der Frauen, in ihrer körperlichen Präsenz und ihren
kulturellen Rollen, erscheinen zunächst diametral entgegengesetzt. Weite Bereiche
des sozialen Lebens waren von Männern dominiert: die meisten Aktivitäten der Ge-
meinschaft außerhalb des eigenen Hauses, Versammlungen von Rat und Volk auf
der Agora, Gelage im Kreis der Standesgenossen, Aufsicht über Ländereien, und
besonders Athletik, Jagd und Krieg. Die Frauen verwalteten das Haus, führten die
Aufsicht über Kinder, Dienerinnen und häusliche Produktion. In der Öffentlichkeit
zeigten Mädchen und Frauen sich nur in bestimmten Situationen: vor allem bei den
religiösen Festen der Gemeinschaft, in Prozessionen und Länzen zu Ehren der Gott-
heit, aber auch zum Wohlgefallen der männlichen und weiblichen Standesgenossen.
Die realen Körper von Menschen der Vergangenheit sind nicht mehr zu grei-
fen. Unter den Zeugnissen haben die Bildwerke eine herausragende Bedeutung:
nicht weil sie einen anschaulichen Ersatz für die verlorene Wirklichkeit böten -
Bilder sind kaum jemals ,getreue' Wiedergaben einer objektiv vorgegebenen Reali-
tät, sondern stellen Realität nach den kulturellen Kompetenzen und Konzepten der
jeweiligen Gesellschaft, d. h. in kulturell gedeuteter Form dar. Aber gerade diese
konzeptuellen Brechungen und Deutungen sind die eigentliche kulturelle, d. h. his-
torische Wirklichkeit. In diesem Sinn wird hier nach dem Menschenbild der antiken
Griechen mit seinen Facetten und Aspekten, seinem sozialen Spektrum und seinen
historischen Veränderungen, in ihren Bildwerken gefragt.
In der Bildkunst werden die Menschen zunächst in den archetypischen Unter-
schieden der Geschlechter dargestellt, die hier z. L. fast stereotype Formen anneh-
men: Entsprechend den Lebensräumen von ,Draußen' und ,Drinnen' erscheinen
Männer mit dunkler, Frauen mit heller Haut; entsprechend der unterschiedlichen
Aktivität treten Männer in beweglicheren Stellungen auf als Frauen. Daneben ste-
hen die ebenfalls diametralen Unterschiede zwischen den normativen Menschenbil-
dern der Polisbürger auf der einen Seite und den ,Gegenwelten' der Unterschichten
und Sklaven, der Fremden und Feinde auf der anderen. In den Gegenbildern werden
Selbstbilder definiert und bestätigt.
Männer: Athletik, Jagd und Krieg
Der Körper als kultureller Faktor wird zunächst in eminentem Maß in der Welt der
Männer deutlich. Der männliche Körper ist ein öffentlicher Körper: Der Bürger der
Polis wird vor allem körperlich definiert und ausgebildet. Von besonderer Bedeu-
tung war dabei der Übergang von der Kindheit in den Stand der Erwachsenen, zum
vollen Mitglied der Bürgergemeinschaft.
In einigen traditionellen Stadtstaaten haben sich noch lange Zeit Praktiken der
Initiation erhalten, wie sie in der Frühzeit für viele Städte angenommen werden
können. Zur Zeit der Pubertät wurden die jungen Männer in die wilden Randzonen
der Berge und Wälder geschickt, wo sie sich durchschlagen, ihre Kräfte stärken
und das Überleben in der Natur einüben mussten. In Sparta wurden die Jugend-
lichen ,aufs Land' geschickt, wo sie tags sich verstecken und nachts umherschwei-
T. Hölscher
Die Sphären der Männer und der Frauen, in ihrer körperlichen Präsenz und ihren
kulturellen Rollen, erscheinen zunächst diametral entgegengesetzt. Weite Bereiche
des sozialen Lebens waren von Männern dominiert: die meisten Aktivitäten der Ge-
meinschaft außerhalb des eigenen Hauses, Versammlungen von Rat und Volk auf
der Agora, Gelage im Kreis der Standesgenossen, Aufsicht über Ländereien, und
besonders Athletik, Jagd und Krieg. Die Frauen verwalteten das Haus, führten die
Aufsicht über Kinder, Dienerinnen und häusliche Produktion. In der Öffentlichkeit
zeigten Mädchen und Frauen sich nur in bestimmten Situationen: vor allem bei den
religiösen Festen der Gemeinschaft, in Prozessionen und Länzen zu Ehren der Gott-
heit, aber auch zum Wohlgefallen der männlichen und weiblichen Standesgenossen.
Die realen Körper von Menschen der Vergangenheit sind nicht mehr zu grei-
fen. Unter den Zeugnissen haben die Bildwerke eine herausragende Bedeutung:
nicht weil sie einen anschaulichen Ersatz für die verlorene Wirklichkeit böten -
Bilder sind kaum jemals ,getreue' Wiedergaben einer objektiv vorgegebenen Reali-
tät, sondern stellen Realität nach den kulturellen Kompetenzen und Konzepten der
jeweiligen Gesellschaft, d. h. in kulturell gedeuteter Form dar. Aber gerade diese
konzeptuellen Brechungen und Deutungen sind die eigentliche kulturelle, d. h. his-
torische Wirklichkeit. In diesem Sinn wird hier nach dem Menschenbild der antiken
Griechen mit seinen Facetten und Aspekten, seinem sozialen Spektrum und seinen
historischen Veränderungen, in ihren Bildwerken gefragt.
In der Bildkunst werden die Menschen zunächst in den archetypischen Unter-
schieden der Geschlechter dargestellt, die hier z. L. fast stereotype Formen anneh-
men: Entsprechend den Lebensräumen von ,Draußen' und ,Drinnen' erscheinen
Männer mit dunkler, Frauen mit heller Haut; entsprechend der unterschiedlichen
Aktivität treten Männer in beweglicheren Stellungen auf als Frauen. Daneben ste-
hen die ebenfalls diametralen Unterschiede zwischen den normativen Menschenbil-
dern der Polisbürger auf der einen Seite und den ,Gegenwelten' der Unterschichten
und Sklaven, der Fremden und Feinde auf der anderen. In den Gegenbildern werden
Selbstbilder definiert und bestätigt.
Männer: Athletik, Jagd und Krieg
Der Körper als kultureller Faktor wird zunächst in eminentem Maß in der Welt der
Männer deutlich. Der männliche Körper ist ein öffentlicher Körper: Der Bürger der
Polis wird vor allem körperlich definiert und ausgebildet. Von besonderer Bedeu-
tung war dabei der Übergang von der Kindheit in den Stand der Erwachsenen, zum
vollen Mitglied der Bürgergemeinschaft.
In einigen traditionellen Stadtstaaten haben sich noch lange Zeit Praktiken der
Initiation erhalten, wie sie in der Frühzeit für viele Städte angenommen werden
können. Zur Zeit der Pubertät wurden die jungen Männer in die wilden Randzonen
der Berge und Wälder geschickt, wo sie sich durchschlagen, ihre Kräfte stärken
und das Überleben in der Natur einüben mussten. In Sparta wurden die Jugend-
lichen ,aufs Land' geschickt, wo sie tags sich verstecken und nachts umherschwei-