Kapitel 19
Das Personal der modernen Gesellschaft
Markus Pohlmann
1 Einleitung
Die Soziologie ist seit langem davon abgekommen, Gesellschaft als das zu denken,
was zwischen Einzelnen entsteht, sondern sieht vielmehr das Individuum als ge-
sellschaftlich „geformt" an. Der Grund für diese eigenwillige Lösung des Henne-
und Eiproblems ist einfach. Um Individuum zu sein, so die Soziologie, bedarf es
bereits der Gesellschaft. Seine Identität entsteht bei aller Eigendynamik nicht ohne
den Spiegel der Anderen. Ohne Gesellschaft ist der Einzelne nicht lebensfähig. Um
Individuum zu werden, bedarf es bereits sozialer Anerkennungs- und Begrenzungs-
strukturen, ohne welche die Entfaltung unserer „Einzigartigkeit" nicht gelänge.
Klar ist auch: Dieses gesellschaftliche Spiel beginnt bereits vor unserer Geburt. So
entscheiden z. B. gesellschaftliche Regeln und Wahrscheinlichkeiten bereits darü-
ber mit, wer sich mit wem paart und in welcher Familie wir aufwachsen. Auch in
modernen Gesellschaften gibt es - bezogen auf Schicht und sozialen Status - eine
hohe Rate von Paaren, die auf Basis sozialer Ähnlichkeit und milieuspezifischer
Gelegenheitsstrukturen zusammenfinden. Bezogen auf die Sozialstruktur ist es kei-
ne Frage, gleich und gleich gesellt sich gerne. Damit verstetigen sich Klassen-,
Schicht- und Milieuunterschiede und mit ihnen die für sie typischen Bedingungen
des Aufwachsens. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, erscheint Gesellschaft-
lichkeit als Bedingung von Individualität und diese wiederum als Voraussetzung
für Gesellschaftlichkeit. Nur in diesem Wechselspiel, das für die Soziologie mit der
Gesellschaft (und nicht mit dem Individuum) beginnt, ist für die Soziologie also die
Entfaltung von Individualität denkbar.
Um aber zu verstehen, wie es um den Menschen moderner Gesellschaften in
seinen verschiedenen gesellschaftlichen Rollen und damit das Menschenbild in
M. Pohlmann (EE3)
Max-Weber-Institut für Soziologie, Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg, Deutschland
E-Mail: markus.pohlmann@soziologie.uni-heidelberg.de
M. Hilgert, M. Wink (Hrsg.), Menschen-Bilder,
DOI 10.1007/978-3-642-16361-6_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
309
Das Personal der modernen Gesellschaft
Markus Pohlmann
1 Einleitung
Die Soziologie ist seit langem davon abgekommen, Gesellschaft als das zu denken,
was zwischen Einzelnen entsteht, sondern sieht vielmehr das Individuum als ge-
sellschaftlich „geformt" an. Der Grund für diese eigenwillige Lösung des Henne-
und Eiproblems ist einfach. Um Individuum zu sein, so die Soziologie, bedarf es
bereits der Gesellschaft. Seine Identität entsteht bei aller Eigendynamik nicht ohne
den Spiegel der Anderen. Ohne Gesellschaft ist der Einzelne nicht lebensfähig. Um
Individuum zu werden, bedarf es bereits sozialer Anerkennungs- und Begrenzungs-
strukturen, ohne welche die Entfaltung unserer „Einzigartigkeit" nicht gelänge.
Klar ist auch: Dieses gesellschaftliche Spiel beginnt bereits vor unserer Geburt. So
entscheiden z. B. gesellschaftliche Regeln und Wahrscheinlichkeiten bereits darü-
ber mit, wer sich mit wem paart und in welcher Familie wir aufwachsen. Auch in
modernen Gesellschaften gibt es - bezogen auf Schicht und sozialen Status - eine
hohe Rate von Paaren, die auf Basis sozialer Ähnlichkeit und milieuspezifischer
Gelegenheitsstrukturen zusammenfinden. Bezogen auf die Sozialstruktur ist es kei-
ne Frage, gleich und gleich gesellt sich gerne. Damit verstetigen sich Klassen-,
Schicht- und Milieuunterschiede und mit ihnen die für sie typischen Bedingungen
des Aufwachsens. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, erscheint Gesellschaft-
lichkeit als Bedingung von Individualität und diese wiederum als Voraussetzung
für Gesellschaftlichkeit. Nur in diesem Wechselspiel, das für die Soziologie mit der
Gesellschaft (und nicht mit dem Individuum) beginnt, ist für die Soziologie also die
Entfaltung von Individualität denkbar.
Um aber zu verstehen, wie es um den Menschen moderner Gesellschaften in
seinen verschiedenen gesellschaftlichen Rollen und damit das Menschenbild in
M. Pohlmann (EE3)
Max-Weber-Institut für Soziologie, Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg, Deutschland
E-Mail: markus.pohlmann@soziologie.uni-heidelberg.de
M. Hilgert, M. Wink (Hrsg.), Menschen-Bilder,
DOI 10.1007/978-3-642-16361-6_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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