7 Onomastische ,Menschen-Bilder'
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anderen keilschriftlichen Wortlisten, die etwa Städte, Tiere oder Pflanzen behan-
deln, war es vermutlich ebenfalls curricularer Bestandteil der Gelehrtenausbildung
und zeugt damit wohl vom hohen Alter und der enormen zeitlichen Kontinuität der
zugrundeliegenden didaktischen Prinzipien.
Setzt man voraus, dass die aus Keilschrifttexten des zweiten und ersten Jahrtau-
sends v. Chr. erschlossene altorientalische Konzeptualisierung des Namens und der
Namengebung bereits im späten vierten Jahrtausend gängig war, so dürfte es sich bei
der soeben erwähnten ,archaischen' Liste von Personennamen und Berufsbezeich-
nungen als einem Kompendium zeitgenössischer onomastischer ,Menschen-Bilder'
und einer schriftlichen ,Darstellung des Humanen'31 nicht nur um einen entfernten
Vorläufer der hier edierten altbabylonischen Personennamen-Liste aus dem Sin-
Kaschid-Palast zu Uruk handeln, sondern auch um eines der ältesten Schriftwerke
überhaupt, das dem Thema „Mensch" gewidmet ist. Diese weltgeschichtlich wohl
früheste schriftliche ,Darstellung des Humanen' ist zugleich das erste artefaktische
Zeugnis einer akademischen Tradition im antiken Mesopotamien, die zukünftigen
Gelehrten die existentielle' Bedeutung des Namens und der Namengebung zu ver-
mitteln suchte.32
Literatur
Charpin D (2004) Histoire politique du Proche-Orient amorrite (2002-1595). In: Attinger P, Wäf-
ler M (Hrsg) Mesopotamien. Die altbabylonische Zeit. Orbis Biblicus et Orientalis Bd 160/4.
Academic, Fribourg. S 25^180
Edzard DO (1998-2001) Name, Namengebung (Onomastik). A. Sumerisch, Reallexikon der As-
syriologie und Vorderasiatischen Archäologie 9:94b—103b
Englund RK (1998) Texts from the Late Uruk Period. In: Attinger P, Wäfler M (Hrsg.) Mesopota-
mien. Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit. Orbis Biblicus et Orientalis Bd 160/1. Freiburg,
Schweiz, S 15-233
Hilgert M (2009) Von ,Listenwissenschaft' und ,epistemischen Dingen': Konzeptuelle Annähe-
rungen an altorientalische Wissenspraktiken. J Gen Phil Sei 40(2):277-309
Limet H (1968) L'anthroponymie sumerienne dans les documents de la 3e dynastie d'Ur, Paris
Mauer G (1987) W 20038,1-59. Ein Tontafelarchiv aus dem Palast des Sin-Käsid in Uruk. Bagh-
dader Mitteilungen 18:133-198
Peterson J (Im Druck) Personal Name Lists in the Scribal Curriculum of Old Babylonian Nippur:
An Overview
Radner K (2005) Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Bd 8.
SANTAG
Sanati-Müller S (1988) Texte aus dem Sinkäsid-Palast. Erster Teil, Gerstenwerkverträge und
Mehllieferungsurkunden. Baghdader Mitteilungen 19:471-538
Sanati-Müller S (1989) Texte aus dem Sinkäsid-Palast, Zweiter Teil, Fischtexte und Bürgschafts-
urkunden. Baghdader Mitteilungen 20:226-313
Sanati-Müller S (1990) Texte aus dem Sinkäsid-Palast, Dritter Teil, Metalltexte. Baghdader Mit-
teilungen 21:131-213
31 S. dazu oben.
32 Zu diesem Themenkomplex s. ausführlich Radner 2005.
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anderen keilschriftlichen Wortlisten, die etwa Städte, Tiere oder Pflanzen behan-
deln, war es vermutlich ebenfalls curricularer Bestandteil der Gelehrtenausbildung
und zeugt damit wohl vom hohen Alter und der enormen zeitlichen Kontinuität der
zugrundeliegenden didaktischen Prinzipien.
Setzt man voraus, dass die aus Keilschrifttexten des zweiten und ersten Jahrtau-
sends v. Chr. erschlossene altorientalische Konzeptualisierung des Namens und der
Namengebung bereits im späten vierten Jahrtausend gängig war, so dürfte es sich bei
der soeben erwähnten ,archaischen' Liste von Personennamen und Berufsbezeich-
nungen als einem Kompendium zeitgenössischer onomastischer ,Menschen-Bilder'
und einer schriftlichen ,Darstellung des Humanen'31 nicht nur um einen entfernten
Vorläufer der hier edierten altbabylonischen Personennamen-Liste aus dem Sin-
Kaschid-Palast zu Uruk handeln, sondern auch um eines der ältesten Schriftwerke
überhaupt, das dem Thema „Mensch" gewidmet ist. Diese weltgeschichtlich wohl
früheste schriftliche ,Darstellung des Humanen' ist zugleich das erste artefaktische
Zeugnis einer akademischen Tradition im antiken Mesopotamien, die zukünftigen
Gelehrten die existentielle' Bedeutung des Namens und der Namengebung zu ver-
mitteln suchte.32
Literatur
Charpin D (2004) Histoire politique du Proche-Orient amorrite (2002-1595). In: Attinger P, Wäf-
ler M (Hrsg) Mesopotamien. Die altbabylonische Zeit. Orbis Biblicus et Orientalis Bd 160/4.
Academic, Fribourg. S 25^180
Edzard DO (1998-2001) Name, Namengebung (Onomastik). A. Sumerisch, Reallexikon der As-
syriologie und Vorderasiatischen Archäologie 9:94b—103b
Englund RK (1998) Texts from the Late Uruk Period. In: Attinger P, Wäfler M (Hrsg.) Mesopota-
mien. Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit. Orbis Biblicus et Orientalis Bd 160/1. Freiburg,
Schweiz, S 15-233
Hilgert M (2009) Von ,Listenwissenschaft' und ,epistemischen Dingen': Konzeptuelle Annähe-
rungen an altorientalische Wissenspraktiken. J Gen Phil Sei 40(2):277-309
Limet H (1968) L'anthroponymie sumerienne dans les documents de la 3e dynastie d'Ur, Paris
Mauer G (1987) W 20038,1-59. Ein Tontafelarchiv aus dem Palast des Sin-Käsid in Uruk. Bagh-
dader Mitteilungen 18:133-198
Peterson J (Im Druck) Personal Name Lists in the Scribal Curriculum of Old Babylonian Nippur:
An Overview
Radner K (2005) Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Bd 8.
SANTAG
Sanati-Müller S (1988) Texte aus dem Sinkäsid-Palast. Erster Teil, Gerstenwerkverträge und
Mehllieferungsurkunden. Baghdader Mitteilungen 19:471-538
Sanati-Müller S (1989) Texte aus dem Sinkäsid-Palast, Zweiter Teil, Fischtexte und Bürgschafts-
urkunden. Baghdader Mitteilungen 20:226-313
Sanati-Müller S (1990) Texte aus dem Sinkäsid-Palast, Dritter Teil, Metalltexte. Baghdader Mit-
teilungen 21:131-213
31 S. dazu oben.
32 Zu diesem Themenkomplex s. ausführlich Radner 2005.