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M. Oeming
zen vollzieht, und in dem alles Drängen, alles Ringen ewige Ruhe in Gott dem Herren ist,
so daß es die höchste Möglichkeit des Menschen wäre, in der theoreia dieses Gottes inne
zu werden, sondern er weiß sich durch den göttlichen Willen an eine bestimmte Stelle des
zeitlichen Geschehens gestellt, das für ihn die Möglichkeit des Gerichtes und der Gnade
hat. Je nachdem er im gehorsamen Tun das tut, was Gott von ihm fordert. So ist Verhältnis
zu Gott nicht ein Sehen, sondern ein Hören, ein Gott-Fürchten und ihm Gehorchen, ein
Glauben, d. h. nicht eine optimistische Weltanschauung, sondern ein Auf-sich-Nehmen der
Vergangenheit in Treue, ein vertrauendes Warten auf Gott gegenüber der Zukunft, treuer
Gehorsam in der Gegenwart. Dieses Verständnis des Daseins ist aber das gleiche wie das
des Neuen Testaments24
In diesem Sinne kann auch das Alte Testament Wort Gottes sein. In ihm ist jenes Verständ-
nis von Gesetz und Evangelium in ihrer Korrelation enthalten, so wie es für das christ-
liche Seinsverständnis maßgebend ist. In ihm ist jenes Daseinsverständnis des Menschen
als eines Geschöpfes, das in seiner Geschichtlichkeit unter Gottes Anspruch steht, klaren
Ausdruck gefunden. ... Wir als zum Glauben Aufgerufene sind es gewissermaßen, die ihr
Spiegelbild im Alten Testament sehen. (336)
Moderne Philosophien entfalten mit ihren jeweiligen analytischen und konstruk-
tiven Mitteln ihre Sicht des Menschen. Implizit helfen sie damit, zu erläutern und
zu entfalten, was das Alte Testament selbst über den Menschen sagen will. Durch
philosophische „Explikatoren" wird deutlicher, was die alttestamentlichen Autoren
der Sache nach im Auge hatten, wenn sie es mit ganz anderen sprachlichen Mitteln
auszudrücken versuchen. Daher ist jeder Exeget gut beraten, sich mit den Entwick-
lungen im Raum der philosophischen Nachbardisziplin auseinanderzusetzen. Die
alttestamentlichen Anthropologien stehen in ihrer Multiperspektivität nicht fremd-
artig da, sondern erweisen sich als sachgemäßer und heute noch zeitgemäßer Zu-
griff auf die Phänomene des menschlichen Seins.
Literatur
Frevel C (Hrsg) (2010) Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament.
Quaestiones disputatae 237, Freiburg
Frevel C, Wischmeyer O (2003) Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments.
NEB, Themen 11, Würzburg
Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hrsg) (2003) Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte
einer Feministischen Anthropologie. Stuttgart u. a
Janowski B (2004) Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschich-
te. In: Markus W. (Hrsg) Gott und Mensch im Dialog, Bd 1. FS Otto Kaiser; BZAW 345,
Berlin/New York, S 183-214
Janowski B (2005) Der Mensch im Alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie.
ZThK 102:143-175
Janowski B (2009) Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-
Vluyn 2003, 3. Aufl.
Janowski B, Liess K (Hrsg) (2009) Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttesta-
mentlichen Anthropologie. Herders biblische Studien 59, Freiburg
Schroer S, Staubli T (2005) Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2002, 2. Aufl.
Die Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben, GuV I, 313-336, hier 324.
M. Oeming
zen vollzieht, und in dem alles Drängen, alles Ringen ewige Ruhe in Gott dem Herren ist,
so daß es die höchste Möglichkeit des Menschen wäre, in der theoreia dieses Gottes inne
zu werden, sondern er weiß sich durch den göttlichen Willen an eine bestimmte Stelle des
zeitlichen Geschehens gestellt, das für ihn die Möglichkeit des Gerichtes und der Gnade
hat. Je nachdem er im gehorsamen Tun das tut, was Gott von ihm fordert. So ist Verhältnis
zu Gott nicht ein Sehen, sondern ein Hören, ein Gott-Fürchten und ihm Gehorchen, ein
Glauben, d. h. nicht eine optimistische Weltanschauung, sondern ein Auf-sich-Nehmen der
Vergangenheit in Treue, ein vertrauendes Warten auf Gott gegenüber der Zukunft, treuer
Gehorsam in der Gegenwart. Dieses Verständnis des Daseins ist aber das gleiche wie das
des Neuen Testaments24
In diesem Sinne kann auch das Alte Testament Wort Gottes sein. In ihm ist jenes Verständ-
nis von Gesetz und Evangelium in ihrer Korrelation enthalten, so wie es für das christ-
liche Seinsverständnis maßgebend ist. In ihm ist jenes Daseinsverständnis des Menschen
als eines Geschöpfes, das in seiner Geschichtlichkeit unter Gottes Anspruch steht, klaren
Ausdruck gefunden. ... Wir als zum Glauben Aufgerufene sind es gewissermaßen, die ihr
Spiegelbild im Alten Testament sehen. (336)
Moderne Philosophien entfalten mit ihren jeweiligen analytischen und konstruk-
tiven Mitteln ihre Sicht des Menschen. Implizit helfen sie damit, zu erläutern und
zu entfalten, was das Alte Testament selbst über den Menschen sagen will. Durch
philosophische „Explikatoren" wird deutlicher, was die alttestamentlichen Autoren
der Sache nach im Auge hatten, wenn sie es mit ganz anderen sprachlichen Mitteln
auszudrücken versuchen. Daher ist jeder Exeget gut beraten, sich mit den Entwick-
lungen im Raum der philosophischen Nachbardisziplin auseinanderzusetzen. Die
alttestamentlichen Anthropologien stehen in ihrer Multiperspektivität nicht fremd-
artig da, sondern erweisen sich als sachgemäßer und heute noch zeitgemäßer Zu-
griff auf die Phänomene des menschlichen Seins.
Literatur
Frevel C (Hrsg) (2010) Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament.
Quaestiones disputatae 237, Freiburg
Frevel C, Wischmeyer O (2003) Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments.
NEB, Themen 11, Würzburg
Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hrsg) (2003) Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte
einer Feministischen Anthropologie. Stuttgart u. a
Janowski B (2004) Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschich-
te. In: Markus W. (Hrsg) Gott und Mensch im Dialog, Bd 1. FS Otto Kaiser; BZAW 345,
Berlin/New York, S 183-214
Janowski B (2005) Der Mensch im Alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie.
ZThK 102:143-175
Janowski B (2009) Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-
Vluyn 2003, 3. Aufl.
Janowski B, Liess K (Hrsg) (2009) Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttesta-
mentlichen Anthropologie. Herders biblische Studien 59, Freiburg
Schroer S, Staubli T (2005) Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2002, 2. Aufl.
Die Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben, GuV I, 313-336, hier 324.