9 Die Griechen-Barbaren Dichotomie im Horizont der conditio humana
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wird durch den Aufstieg und den Fall östlicher Despoten gebildet: Kroisos, Kyros,
Kambyses, Dareios und Xerxes. Narrative Muster wie das Überqueren von Flüs-
sen, hybrides Lachen oder die Figur des Warners markieren die Parallelen zwischen
den Karrieren dieser Herrscher. Die herodoteische Erzählung endet zwar im Jahr
449 v. Chr., aber die letzten Bücher sind voller Vorverweise auf die späteren Hege-
monialkämpfe der Griechen, die dann im Peloponnesischen Krieg kulminieren.21
Zu den Streitigkeiten um den Oberbefehl über die Flotte bei Artemision etwa be-
merkt Herodot: „Bereits am Anfang, noch ehe man daran dachte, auch nach Sizi-
lien mit der Bitte um Beistand zu schicken, war die Rede davon, man müsste die
Seemacht eigentlich den Athenern anvertrauen. Da die Bundesgenossen aber da-
gegen Einspruch erhoben, hatten die Athener nachgegeben, weil ihnen die Rettung
Griechenlands am Herzen lag und sie wohl wussten, dass Griechenland im Streit
um den Oberbefehl zugrunde gehen müsse. Das war ein richtiger Gedanke; denn
Zwietracht im Innern ist um so viel schlimmer als ein einmütig geführter Krieg,
wie Krieg schlimmer ist als Friede. Eben aus diesem Grund widersetzten sie sich
nicht, sondern fügten sich, solange sie jene ganz nötig brauchten, wie sie später be-
wiesen. Denn als sie den Perser zurückgeschlagen hatten und nunmehr um deren
Land kämpften, nahmen sie den Lakedaimoniern den Oberbefehl weg, indem sie
die Überheblichkeit des Pausanias als Grund vorschützten. Das geschah aber erst
später." (8.3).
Diese und zahlreiche weitere Passagen deuten an, dass das nächste Reich, das
einen steilen Aufstieg erfahren und einen jähen Fall erleiden werde, das der Athe-
ner ist. Ebenso wie Thukydides die Perserkriege immer wieder als Folie für den
Peloponnesischen Krieg evoziert, zeichnet Herodot den Kampf gegen den Perser-
könig vor dem Horizont der intrahellenischen Kriege seiner eigenen Zeit.22 Der-
artige Vergleiche zwischen athenischer und persischer Machtpolitik unterminieren
eine klare Polarisierung in Griechen und Barbaren. Aus herodoteischer Perspektive
wirkt die Mahnung des Chores der Perser, sich, des Schicksals der Perser einge-
denk, vor Hybris zu schützen, in der Tat wie eine Prophezeiung.
Beschließen wir diese Lektüre der Historien mit einer Anekdote, welche die
Griechen-Barbaren Dichotomie unterläuft, indem sie einem Perser eine griechische
Weisheit zuschreibt. Thersander von Orchomenos berichtet, er habe während des
Xerxes-Zuges an einem gemeinsamen Gastgelage von Persern und Thebanern teil-
genommen. Der Perser, mit dem er eine Kline geteilt habe, habe ihm folgendes
gesagt: „Da du mit mir an einem Tische gegessen und gemeinsam das Trankopfer
gespendet hast, will ich dir ein Andenken an meine freundliche Gesinnung hin-
terlassen, damit du es vorher wissest und rechtzeitig an deine Sicherheit denken
kannst. Siehst du die Perser hier schmausen und auch das Heer, das wir dort im La-
ger am Fluss zurückgelassen haben? Von allen diesen Leuten wirst du in ganz kur-
zer Zeit nur noch ganz wenige am Leben sehen." Bei diesen Worten habe der Perser
viele Tränen vergossen. Er selbst habe, erstaunt über diese Äußerung, geantwortet:
„Müßte man das nicht dem Mardonios sagen und allen anderen von Rang und An-
21 Cf. Stadter 1992; Moles 1996.
22 Cf. Rood 1999.
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wird durch den Aufstieg und den Fall östlicher Despoten gebildet: Kroisos, Kyros,
Kambyses, Dareios und Xerxes. Narrative Muster wie das Überqueren von Flüs-
sen, hybrides Lachen oder die Figur des Warners markieren die Parallelen zwischen
den Karrieren dieser Herrscher. Die herodoteische Erzählung endet zwar im Jahr
449 v. Chr., aber die letzten Bücher sind voller Vorverweise auf die späteren Hege-
monialkämpfe der Griechen, die dann im Peloponnesischen Krieg kulminieren.21
Zu den Streitigkeiten um den Oberbefehl über die Flotte bei Artemision etwa be-
merkt Herodot: „Bereits am Anfang, noch ehe man daran dachte, auch nach Sizi-
lien mit der Bitte um Beistand zu schicken, war die Rede davon, man müsste die
Seemacht eigentlich den Athenern anvertrauen. Da die Bundesgenossen aber da-
gegen Einspruch erhoben, hatten die Athener nachgegeben, weil ihnen die Rettung
Griechenlands am Herzen lag und sie wohl wussten, dass Griechenland im Streit
um den Oberbefehl zugrunde gehen müsse. Das war ein richtiger Gedanke; denn
Zwietracht im Innern ist um so viel schlimmer als ein einmütig geführter Krieg,
wie Krieg schlimmer ist als Friede. Eben aus diesem Grund widersetzten sie sich
nicht, sondern fügten sich, solange sie jene ganz nötig brauchten, wie sie später be-
wiesen. Denn als sie den Perser zurückgeschlagen hatten und nunmehr um deren
Land kämpften, nahmen sie den Lakedaimoniern den Oberbefehl weg, indem sie
die Überheblichkeit des Pausanias als Grund vorschützten. Das geschah aber erst
später." (8.3).
Diese und zahlreiche weitere Passagen deuten an, dass das nächste Reich, das
einen steilen Aufstieg erfahren und einen jähen Fall erleiden werde, das der Athe-
ner ist. Ebenso wie Thukydides die Perserkriege immer wieder als Folie für den
Peloponnesischen Krieg evoziert, zeichnet Herodot den Kampf gegen den Perser-
könig vor dem Horizont der intrahellenischen Kriege seiner eigenen Zeit.22 Der-
artige Vergleiche zwischen athenischer und persischer Machtpolitik unterminieren
eine klare Polarisierung in Griechen und Barbaren. Aus herodoteischer Perspektive
wirkt die Mahnung des Chores der Perser, sich, des Schicksals der Perser einge-
denk, vor Hybris zu schützen, in der Tat wie eine Prophezeiung.
Beschließen wir diese Lektüre der Historien mit einer Anekdote, welche die
Griechen-Barbaren Dichotomie unterläuft, indem sie einem Perser eine griechische
Weisheit zuschreibt. Thersander von Orchomenos berichtet, er habe während des
Xerxes-Zuges an einem gemeinsamen Gastgelage von Persern und Thebanern teil-
genommen. Der Perser, mit dem er eine Kline geteilt habe, habe ihm folgendes
gesagt: „Da du mit mir an einem Tische gegessen und gemeinsam das Trankopfer
gespendet hast, will ich dir ein Andenken an meine freundliche Gesinnung hin-
terlassen, damit du es vorher wissest und rechtzeitig an deine Sicherheit denken
kannst. Siehst du die Perser hier schmausen und auch das Heer, das wir dort im La-
ger am Fluss zurückgelassen haben? Von allen diesen Leuten wirst du in ganz kur-
zer Zeit nur noch ganz wenige am Leben sehen." Bei diesen Worten habe der Perser
viele Tränen vergossen. Er selbst habe, erstaunt über diese Äußerung, geantwortet:
„Müßte man das nicht dem Mardonios sagen und allen anderen von Rang und An-
21 Cf. Stadter 1992; Moles 1996.
22 Cf. Rood 1999.