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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 1 - No. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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„Ei, der Pflegling bin ich ja ſelber, Herr General,“

warf die blonde Dame lachend ein.
„J ja, nominell, Tantchen, wer ſteht aber in Wahr-
heit nicht unter Ihrer Pflege?“ ö
„Sie doch nicht auch, Herr General?“ lachte Fräu-
lein von Marlow. „Sie bedürfen doch Fräulein von
Buſſe's Pflege nicht.“ ö
„WwWie vorſchnell die Jugend urtheilt, meine Gnä-
dige,“ ſchmollte der Gefragte. „Wiſſen Sie, wie viele

unden in meinem Herzen bluten, die Fräulein Guſtz.

chens ſanfter Hand bedürfen?“
Ima lachte. ö
„Alſo ſechs,“ begann der Lieutenant wieder zu zählen.
„Herr von Norden ſieben —“
„Gewiß wenn die Herrſchaften geſtatten,“ beſtätigte
ein kränklich ausſehender junger Mann an der Ecke des
Tiſches.
„Wiſſen Sie auch, daß die Luft bei den Felſenkellern
ſehr kalt und die Uebergänge von Hitze und Kälte gerade
dort ſchroffer ſind, als Reconvalescenten zuträglich iſt?“
warnte das ihm gegenüberſitzende Fräulein v. Buſſe.
„Voilà la soeur de charité. Habe ich nun Recht
gehabt ?“ lachte der General.

Der junge Mann aber erwiderte freundlich dankend:
ö „Was unſer Fräulein Tantchen riskiren kann, darf
ich wohl auch wagen — ich fühle mich ſeit einiger Zeit
vollkommen wohl.“
Er warf einen flüchtigen Blick nach der Seite, an
der Ima ſaß, und der Lieutenant fuhr fort:

„Macht ſieben — Herr von Kronau und ich neun.“

„Ich muß leider ablehnen, da ich bereils eine ander-
weitige Verabredung getroffen habe,“ ſagte eine wohl-

thönende, ernſte Stimme und Alles wandte unwillkürlich

die Blicke dem jungen Manne zu, der bis dahin ſchwei-
gend von der Querſeite der Tafel den Verhandlungen
zugehört hatte.
„Sie hier bleiben?“ rief der General und klemmte
ſeinen goldenen Kneifer in's Auge. „Warum nicht gar!
Sind doch nicht auch blaſirt, wie die jungen Herren von
heut zu Tage? Nehmen Sie doch ein Beiſpiel an mir
aliem Graukopf — ich verſchmähe nichts, wo es etwas
zu ſehen und zu lernen gibt. Ein zweites Caprino findet
ſich nicht ſo leicht.“
„Ich war bereits ein Mal dort, Herr General.“
„Nun, um ſo weniger dürfen Sie heute fehlen. —
Kommen Sie mit und machen Sie unſern Cicerone.“
„Herr von Kronau zieht ſich ſeit einiger Zeit auf-
fallend zurück — ſollte etwa die ſchöne Ruſſin —“ rief
der Lieutenant übermüthig.
„Ei, ei, meine Damen, Tante Guſtchen, Fräulein
Clara und Fräulein Ima,“ fiel der redſelige General
ein, „da müſſen Sie aber ſchleunigſt mobil machen. —
Rußland darf nicht den Sieg über Deutſchland davon
tragen. Geſchwind alle Künſte der Eroberung, um das
Terrain zu behaupten. Tante Guſtchen, Sie ſitzen zu-
nächſt, halten Sie den Deſerteur nur erſt für die Gondel-
fahrt feſt.“
Tante Guſtchen hatte ſich, wie es ihr oft im größeren
Kreiſe begegnete, bereits eine Weile wieder in ihre eigenen
Gedanken vertieft, als die letzten laut geſprochenen Worte
ſie in die Gegenwart zurückriefen. Klug wie ſie war,
begriff ſie raſch, um was es ſich handele und bemühte
ſich, freundlich und neckeſch ihren Nachbar zum Mitfahren
zu beſtimmen. Ihre Nichte Clara ſtimmte ſchüchtern ein,
die übrige Geſellſchaft half, Jeder auf ſeine Weiſe nach,
nur Ima ſagte kein Wort. Sie zerlegte mit größter
Sorgfalt eine der ſaftigſten Apfelſinen, ohne ſich an-
ſcheinend um die Scene zu kümmern.

Der junge Mann hatte ſchweigend den ganzen Sturm

über ſich ergehen laſſen; ſein feines kluges Geſicht blieb

ernſt wie zuvor, nur um die Mundwinkel zuckte ein
flüchtiges Lächeln, als er, ſich leicht verneigend, ſagte:
„Glucklicher Weiſe ſtehen wir hier auf neutralem
Schweizergrunde, den kein Kampf fremder Nationalitäten
berühren darf. Im Uebrigen bedauere ich ſehr, ſelbſt
ſo liebenswürdigen Waffen gegenüber feſt bleiben zu

müſſen.“
(Fortſetzung folgt.)

Eine BHeldenlaufbahn.

(Zum 1. Jan. 1877.)
(Schluß.)

Am 20. März 1854 wurde Peinz Wilhelm zum
Generaloberſt der Infanterie ernannt, übernahm am 27.
October 1857 die Regierung, am 9. October 1858 die
Regentſchaft und ließ unterm 23. Juni 1860 die Re-
organiſation der Armee, das größte und erfolgreichſte
Werk ſeines thatenreichen Lebens, beginnen. Die Reor-
ganiſation der königl. preußiſchen Armee ſchuf das un-
erläßliche Mittel zur Gründung des neuen deutſchen
Reichs; die Waffenbrüderſchaft der einzelnen deutſchen
Truppentheile in den Stunden der Gefahr bildete den
Kitt des neuen deutſchen Kaiſerthrons und die gemeinſam
ausgefochtenen Schlachten waren die wuchtigen Hammer-
ſchläge, unter denen 1870 und 1874 Ring auf Ring der
neuen deutſchen Kaiſerkrone zuſammengeſchweißt wurde.
Mit der am 2. Januar 1861 erfolgten Thron-
beſteigung, welcher am 18. October deſſelben Jahres die
feierliche Krönung in Königsberg folgte, begann die neue
Aera in Deutſchland. Bismarck wurde an die Seite des
Königs berufen und der Feldzug gegen Dänemarck im
Iihre 1864 war der erſte Schritt zur Neugeſtaltunz
Deutſchlands, wenn auch die wiedererrungenen Elb-
herzogthümer den Anlaß zu dem zwei Jahre ſpäter aus-
brechenden Kampf zwiſchen Oeſterreich und Preußen geben
ſollten, der die Kriegsgeſchichte um einen denkwürdigen
Feldzug bereichert hat.
König Welhelm zog im Jahre 1866 nach Hohen-
zollernart ſelbſt mit ins Feld; am 1. Juli erfolgte ſeine
Abreiſe zur Armee, zwei Tage ſpäter hielt er hoch zu
Roß im Gewühl der Schlacht bei Königgrätz. Am 26.
Juli wurde der Waffenſtillſtand, am 23. Auguſt der
Frieden mit Oeſterreich geſchloſſen und am 20. und 21.
September fand der Truppeneinzug in Berlin ſtatt.
Zum Gedächtniß an den Feldzug 1866 ſtiftete König
Wilhelm das Kreuz und den goldenen Stern mit dem
Bildniß Friedrich's des Großen zum Orden pour le
mérite; die erſte Selbſtanlegung erfolgte am 14. No-
vember 1866, gelegentlich des an dieſem Tage gefeierten
allgemeinen Friedens⸗ und Dankfeſtes.
Aus den folgenden Jahren iſt zunächſt die Anfangs
1867 ſtattgehabte Reiſe des Königs Wilhelm nach Paris
und die Rebue der Armee von Paris auf dem Long-
champs, ſowie die unterm 3. Juli d. J. erfolgende Ver-
leihung von 73 Fahnen und Standarten an die Regi-
menter der neuen preußiſchen Provinzen bemerkenswerth.
Auch fand am 21. September 1867 die erſte Beſichtigung
des großh. badiſchen Corps durch König Wilhelm als
nunmehrigen oberſten Kriegsherrn des norddeutſchen Bun-
des ſtatt, welcher ſchon ſeit dem 9. Auguſt 1857 auch
Chef des 2. badiſchen Infanterieregiments war. Im
Juli 1868 beſichtigte der König die Garniſon Hannover
und das dortige Militär⸗Reitinſtitut, ſowie andere Gar-
 
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