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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 35 - No. 43 (2. Mai - 30. Mai)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

37. Mittwoch,

den 9. Mai

1877.

Bieſſeits und jenſtits des YBerans.
Erzählung von F. A. Lorche.

(Fortſetzung.)

„Damit“, ſprach Herbert nach einer Pauſe weiter,
„war mein Auftrag, wenn auch keineswegs ausgerichtet,
ſo doch, wie ich glaubte, beendet. Aber da kannte ich
Alice's zähen Egoismus ſchlecht. — Sie betheuerte, von
jenen Intriguen gegen William nichts zu wiſſen (er gab,
nachdem er mich einige Zeit kannte, mir Beweiſe
ſeiner Behauptung). Ich hatte mich verpflichtet, in dieſer
Sache Alles für ſie zu thun, was ſie verlangte, ſobald
es nicht mit meinem Ehrgefühl kollidirte. — Mit der
unerhörteſten Malice, mit immer neuen Winkelzügen und
Wendungen mußte ich in ihrem Auftrag dem armen
William Paterſon zu Leibe gehen. Er faßte dennoch
Zuneigung und Vertrauen zu mir.“
ö „Das gewöhnliche Ende vom Liede, wenn die Men-
ſchen ſich mit dir einlaſſen“, warf der Vater lachend ein.
„Ich glaube, lediglich aus Rückſicht für mich,“ fuhr
Herbert fort, „entſchloß er ſich endlich, die Briefe mir
auszuliefern, unter der Bedingung, daß ich ſie ſelbſt auf-
bewahren und ihm zurückgeben ſollte, ſobald er mir be-
weiſen könnte, ihrer mit Fug und Recht zu bedürfen. —
Soweit war ich einige Tage vor der Kriegserklärung
mit ihm gekommen, und damit mußte ſich Miß Alice be-
gnügen. — Die Furcht, noch lange an meinen zärtlichen
Gefühlen für ſie zu laboriren, wenn ich im ſteten Zu-
ſammenhang mit ihr blieb, war unnütz geweſen. — Eine
wünſchenswerthe Gleichgültigkeit iſt gewiß der Zuſtand,
der ſich am ſchwerſten im täglichen Verkehr mit einem
ſchönen und koketten Mädchen erreichen läßt. Aber nach-
dem ich ſolche Blicke in ihren Charakter gethan, verwan-
delte ſich meine Liebe zu ihr ſehr ſchnell in Widerwillen
gegen ſie. Die Stunden, die ich mit ihr verbringen
mußte, wurden mir zur Oual und ſie war erfinderiſch
m immer neuen Vorwänden, mich in ihrer Nähe zu
feſſeln. Sie ging offenbar von der Vorausſetzung aus,
daß nicht mein gegebenes Wort genüge, ſondern ein per-
ſonliches Intereſſe dazu kommen müſſe, um meinen Eifer
für ihre Sache rege zu unterſtützen. Aus dem Grunde
bot ſie denn auch Alles auf, mich von Editha fern zu
halten, der ich mich im Bereiche des Bright'ſchen Hauſes
ſchon ohnedies kaum zu nahen wagte, um ihr nicht un-
angenehme Scenen mit Mrs. Bright zuzuziehen. Meine
gengewonnene Freiheit gewährte mir kein Genüge. Ich
fühlle mich im Gegentheil unbefriedigt und vereinſamt.
— Da ſah ich endlich Editha wieder, und die Liebe für
ſie, die ich auf dem Schiff um eines Phantoms willen
in mir auf, un ſten hatte, lebte bei ihrem Anblick neu
Um ſtetig zu wachſe
immer beglückender nur u erfüllen.“ n dern und Sinn

Der Vater erhob ſich, ging einige Male unruhigei
Zimmer auf und ab 910 ſagte dann: air nrnhs en
„Nach den Erfahrungen mit Miß Alice haſt du
hoffentlich gelernt, deinen eigenen Gefühlen zu mißtrauen

lange zu regieren.
*

und wirſt dieſer neuen Liebe, die der alten ſo auf dem
Fuße folgte, keinen Ausdruck gegeben haben.“
„Grade das Verhältniß zu Alice würde mir durch

den Gegenſatz, wenn es deſſen noch bedurft hätte, gezeigt

haben, daß ich in Editha Verwirklichung meines Ideals,
ſo weit die Wirklichkeit überhaupt der Idee nachkommen
kann, gefunden habe. Aber wozu könnte es führen, heute
darüber zu ſprechen, wer weiß, ob ich aus dieſem Kriege
heimkehre, und wenn ich auch nur irgend eine Verſtümm-
lung davon trage, ſo verlobe ich mich ſicher nicht. Ich
würde auch Editha's gar nicht gegen dich erwähnt haben,
wollte ich dich nicht bitten, dafür zu ſorgen, daß dieſes
mein Teſtament, namentlich in Bezug auf ſie, genau voll-
zogen wird.“
Der Vater nahm ein verſiegeltes Papier, das Her-
bert ihm übergab, und hing eine Weile den trüben Ge-
danken nach, die ſein Anblick in ihm erweckte. — Der
Sohn ſtörte ihn nicht, aber dann riß er ſich ſelber davon
ſag und, auf ihr unterbrochenes Geſpräch zurückkommend,
agte er:
„Es heißt von Saul, er war ausgezogen, ſeines
Vaters Eſel zu ſuchen, und fand ein Königreich. Von
dir, mein Sohn, ließ ſich das Umgekehrte behaupten; du
warſt ausgezogen, eine Millionärin zu ſuchen und fandeſt
eine arme Lehrerin.“
„Ich bitte dich, verſchone mich mit derartigen Ver-
gleichen“, rief Herbert, „auf deinen Widerſtand in dieſer
Sache war ich gefaßt, bereite auch du dich darauf vor,
lieber Papa, von der Nachgiebigkeit und Weichheit des
Charakters, die du oft an mir zu tadeln pflegteſt, in
dieſem Punkte abſolut nichts bei mir anzutreffen. — Aber
ich muß dir gute Nacht ſagen; wenn ich nicht noch einige
Stunden ſchlafe, ſo falle ich vom Pferde, ehe es Pulver

gerochen.“
E

Den nächſten Morgen trennte ſich Herbert nach einem
zärtlichen Abſchied von ſeinem Vater. Der alte Haus-
knecht war noch gekommen, ſeine beiden Enkel, die im
Felde ſtanden, der Obhut des jungen Herrn zu empfehlen,
ſeine Amme, ein Briefchen an ihren Sohn den Train-
Soldaten ihm mitzugeben. Beide glaubten die Ihrigen
auf dieſe Weiſe unter den beſten irdiſchen Schutz geſtellt.
Fräulein Brigitte brachte alles Nützliche, was mitzunehmen
möglich war und manches Unnütze.
Herbert nahm auch das Letztere. Ehe er die Alte
durch eine Zurückweiſung kränkte, belaſtete er ſich lieber
noch eine Strecke damit. Es fand ſich wohl auch bald
einer, der gar nichts außer dem Vorſchriftsmäßigen im
Torniſter hatte und dem Alles willkommen war.
Ein prächtiges Pferd wurde vorgeführt. — Es ſollte

die Heimath nicht wieder ſehen. — Herbert ſchwang ſich

in den Sattel und ritt bis zum Bahnhof. Er machte
ſich vortrefflich zu Pferde. Schade um ihn, wenn es ihm
nicht beſtimmt war, den Zügel mit kräftiger Hand noch

*
E
 
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