Heidelberger Lamilienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M3.
Mittwoch, den 30. Mai
Il bacio.
Erzählung von Friedrich Juergen.
Nachdruck verboten. Geſ. v. 11. VI. 70.
I. ͤ
Eine Liebhaber⸗Aufführung.
In der kleinen Stadt A ..... bereiteten ſich
großartige Ereigniſſe vor. Die älteſten Leute wollten
Aehnliches nicht erlebt haben. Die ganze „gute Geſell-
ſchaft“ befand ſich in fieberhaſter Aufregung.
Und wer hatte das Alltagsleben der Provinz ſo
aus ſeinem Gleichgewicht gebracht? Niemand weiter als
ein junger Maler, der für einige Zeit ſeinen Aufenthalt
in u genommen, um die höchſt merkwürdigen,
alterthümlicher Thore der Stabt durch ſeinen Pinſel der
Nachwelt zu überliefern. Von der Zeit konnte dieſe
Rückſicht nicht mehr erwartet werden.
In Kurzem war es dem fahrenden Künſtler ge-
lungen, ſich zum enfant gaté der Geſellſchaft zu machen
und dieſe mit diktatoriſcher Gewalt von Vergnügen zu
Vergnügen zu führen. Die Damen ſtanden geſchloſſen
auf ſeiner Seite. Kein Wunder, daß alles Kopfſchütteln
der Väter und überhaupt jeder Widerſtand gegen ihn
erfolglos war. Heute nun wollte der beliebte maitre
de plaisir ſeinem Werke die Krone aufſetzen und mit
einer „Theater-Vorſtellung für Liebhaber“ debütiren.
Das war in A noch nie zu Stande gekommen.
Der allmächtige Maler aber hatte kurzen Prozeß
*
gemacht und mit unumſchränkter Gewalt die Sache ge-
leitet. Und ſiehe da, Alles war zufrieden und einig
geweſen. ö
Für Arthur Hallen's Erſcheinung gab es keine
treffendere Bezeichnung, als die, welche ſich nothwendiger-
weiſe Jedem aufdrängen mußte: „Der ſchöne Mann.“
Als ſolcher kurſirte er in der Herrenwelt. Die Damen
veränderten dieſe Bezeichnung in: „der ſchöne Arthur.“
Arthur klingt ſo weich.
In der That hatte Hallen's Erſcheinung alle Requi-
ſiten, welche der ſchmeichelhafte Beiname bedingt. Tadel-
loſe, etwas geniale Friſur, gleichmaͤßige Züge, ſchöner
nicht zu dichter Schnurrbart, weiße Zähne und augen-
ſcheinlich ſehr weiche Lippen. Denke man ſich den ſo
ausgeſtalteten Kopf unter einem grauen Cylinder und
auf einer ſchlanken modern gekleideten Geſtalt, und unſer
Held iſt fertig. Noch darf ein ſehr weit umgeſchlagener
ſchneeweißer Kragen nicht übergangen werden, das noth-
wendige Attribut eines Malers, an welchen Hallen ſonſt
weder durch ein Sommerjacket noch durch hohe Stiefeln
Conzeſſionen machte. ö ö
Wenn dieſer Salon⸗Löwe einen oberflächlichen Ein-
druck machte, ſo war dieſer Eindruck eben ein oberfläch-
licher. Hallen beſaß einen ironiſirenden Geiſt, der nicht
ohne Tiefe war. Nur daß nicht ein Jeder in die Werk-
ſtatt ſeiner Gedankenarbeit ſchaute. Er nahm die Dinge
wie ſie waren und fand ſich beſtmöglichſt mit ihnen ab.
Sein Entſchluß war gefaßt.
Auch ſeiner hatte ſich beute eine gewiſſe Aufregung
bemächtigt. Er durchmaß oft mit genial großen Schritten
ſein kleines Zimwer und ſprach viel vor ſich hin. Ver-
muthlich memorirte er ſeine Rolle. Dem war nicht ſo.
Hallen hatte zufällig eine Geſchichte in der Zeitung
geleſen, die ihm den ganzen Tag über durch den Kopf
ging. Es handelte ſich um den unzählig oft variirten
Fall, daß ein reicher, hoch hinaus wollender Vater ſeine
Tochrer einem armen, aber liebenswürdigen Manne vor-
enthielt, obwohl dieſer die Liebe des Mädchens beſaß.
Der kühne Liebhaber erſann eine Kriegsliſt, welche die
Einwilligung des Vaters erzwang. Der Schwiegerſohn
ſöhnte bald durch eine glänzende Karriere den Vater aus.
Warum ſollte etwas Aehnliches nicht noch einmal
geſchehen? Hallen kannte ganz ähnliche Verhältniſſe.
Er zweifelte auch nicht, daß er ſelbſt im gleichen Falle
durch ſeine Künſtlerfolge den mißliebigen Schwiegerſohn
bald in einen geſchätzten umwandeln würde.
Es iſt zwar Unrecht, alles auf eine Karte zu ſetzen.
Außergewöhnliche Erfolge aber verlangen einen außer-
gewöhanlichen Einſatz. Für ſeine Künſtlernatur hatte ein
kühner Sturmlauf gegen die zu erobernde Feſtung etwas
Reizvolles. Handelte es ſich doch nur darum, das alte
Bollwerk der väterlichen Abneigung über den Haufen zu
rennen. Mit der Tochter war er einig. Die letzten
Skrupel, welche das eigenthümliche Verfahren gegenüber
der Geliebten in ihm wach rief, wurden mit dem Leicht-
ſinn welterobernden Jugenddranges bei Seite geſchoben.
Heute Abend ſollte der
Würfel fallen.
Mit Arthur Hallen theilte ſich der Commerzienrath
von Kemberg und ſeine reizende Tochter in die Herrſchaft
der Stadt.
Nicht mit Hammer und Meißel, aber doch klein
hatte der Commerzienrath angefangen, um nach einem
Piertel⸗Säculum angeſtrengter Thätigkeit als halber
Millionär und Herr von So und ſo zu ſchließen. Man
mochte ſich wundern, daß er nicht einen größeren Ort
gewählt hatte für den dem Genuß geweihten Theil ſeines
Lebens. Indeß kann man ſich vorſtellen, daß er lieber
einer Stadt den Rücken kehrte, in welcher ihn jeder
rauchende Kamin — darin hatte er nämlich gemacht —
einer Sünde zieh. Außerdem iſt der Reichere der Feind
des Reichen. Allen konnte es Herr von Kemberg dort
nicht gleichthun. ö ö
In . dagegen beſaß er das ſchönſte Haus,
die ſchönſte Equipage, den beſten Koch und was ſein
Hauptverdienſt war, die ſchönſte Tochter. Sein Reich-
thum allein hätte ihn ebenſo wenig wie ſein nicht hervor-
ragender Geiſt an die Spitze der Geſellſchaft geſtellt,
wenn er dieſen Platz nicht als Vater ſeiner Tochter ein-
genommen hätte. ö
Von einer frühverſtorbenen vortrefflichen Frau war
ihm Helene, ein lebendiges Ebenbild derſelben, geſchenkt.
Sie ſchön zu nennen, iſt zu viel geſagt. Helene konnte-
bei regelmäßigen Zügen, einer feinen Naſe und einem
ſüßen Mündchen, das zwanzig Silberpfennige deutſcher
Reichswährung wohl zu verdecken vermochten, ganz all-
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M3.
Mittwoch, den 30. Mai
Il bacio.
Erzählung von Friedrich Juergen.
Nachdruck verboten. Geſ. v. 11. VI. 70.
I. ͤ
Eine Liebhaber⸗Aufführung.
In der kleinen Stadt A ..... bereiteten ſich
großartige Ereigniſſe vor. Die älteſten Leute wollten
Aehnliches nicht erlebt haben. Die ganze „gute Geſell-
ſchaft“ befand ſich in fieberhaſter Aufregung.
Und wer hatte das Alltagsleben der Provinz ſo
aus ſeinem Gleichgewicht gebracht? Niemand weiter als
ein junger Maler, der für einige Zeit ſeinen Aufenthalt
in u genommen, um die höchſt merkwürdigen,
alterthümlicher Thore der Stabt durch ſeinen Pinſel der
Nachwelt zu überliefern. Von der Zeit konnte dieſe
Rückſicht nicht mehr erwartet werden.
In Kurzem war es dem fahrenden Künſtler ge-
lungen, ſich zum enfant gaté der Geſellſchaft zu machen
und dieſe mit diktatoriſcher Gewalt von Vergnügen zu
Vergnügen zu führen. Die Damen ſtanden geſchloſſen
auf ſeiner Seite. Kein Wunder, daß alles Kopfſchütteln
der Väter und überhaupt jeder Widerſtand gegen ihn
erfolglos war. Heute nun wollte der beliebte maitre
de plaisir ſeinem Werke die Krone aufſetzen und mit
einer „Theater-Vorſtellung für Liebhaber“ debütiren.
Das war in A noch nie zu Stande gekommen.
Der allmächtige Maler aber hatte kurzen Prozeß
*
gemacht und mit unumſchränkter Gewalt die Sache ge-
leitet. Und ſiehe da, Alles war zufrieden und einig
geweſen. ö
Für Arthur Hallen's Erſcheinung gab es keine
treffendere Bezeichnung, als die, welche ſich nothwendiger-
weiſe Jedem aufdrängen mußte: „Der ſchöne Mann.“
Als ſolcher kurſirte er in der Herrenwelt. Die Damen
veränderten dieſe Bezeichnung in: „der ſchöne Arthur.“
Arthur klingt ſo weich.
In der That hatte Hallen's Erſcheinung alle Requi-
ſiten, welche der ſchmeichelhafte Beiname bedingt. Tadel-
loſe, etwas geniale Friſur, gleichmaͤßige Züge, ſchöner
nicht zu dichter Schnurrbart, weiße Zähne und augen-
ſcheinlich ſehr weiche Lippen. Denke man ſich den ſo
ausgeſtalteten Kopf unter einem grauen Cylinder und
auf einer ſchlanken modern gekleideten Geſtalt, und unſer
Held iſt fertig. Noch darf ein ſehr weit umgeſchlagener
ſchneeweißer Kragen nicht übergangen werden, das noth-
wendige Attribut eines Malers, an welchen Hallen ſonſt
weder durch ein Sommerjacket noch durch hohe Stiefeln
Conzeſſionen machte. ö ö
Wenn dieſer Salon⸗Löwe einen oberflächlichen Ein-
druck machte, ſo war dieſer Eindruck eben ein oberfläch-
licher. Hallen beſaß einen ironiſirenden Geiſt, der nicht
ohne Tiefe war. Nur daß nicht ein Jeder in die Werk-
ſtatt ſeiner Gedankenarbeit ſchaute. Er nahm die Dinge
wie ſie waren und fand ſich beſtmöglichſt mit ihnen ab.
Sein Entſchluß war gefaßt.
Auch ſeiner hatte ſich beute eine gewiſſe Aufregung
bemächtigt. Er durchmaß oft mit genial großen Schritten
ſein kleines Zimwer und ſprach viel vor ſich hin. Ver-
muthlich memorirte er ſeine Rolle. Dem war nicht ſo.
Hallen hatte zufällig eine Geſchichte in der Zeitung
geleſen, die ihm den ganzen Tag über durch den Kopf
ging. Es handelte ſich um den unzählig oft variirten
Fall, daß ein reicher, hoch hinaus wollender Vater ſeine
Tochrer einem armen, aber liebenswürdigen Manne vor-
enthielt, obwohl dieſer die Liebe des Mädchens beſaß.
Der kühne Liebhaber erſann eine Kriegsliſt, welche die
Einwilligung des Vaters erzwang. Der Schwiegerſohn
ſöhnte bald durch eine glänzende Karriere den Vater aus.
Warum ſollte etwas Aehnliches nicht noch einmal
geſchehen? Hallen kannte ganz ähnliche Verhältniſſe.
Er zweifelte auch nicht, daß er ſelbſt im gleichen Falle
durch ſeine Künſtlerfolge den mißliebigen Schwiegerſohn
bald in einen geſchätzten umwandeln würde.
Es iſt zwar Unrecht, alles auf eine Karte zu ſetzen.
Außergewöhnliche Erfolge aber verlangen einen außer-
gewöhanlichen Einſatz. Für ſeine Künſtlernatur hatte ein
kühner Sturmlauf gegen die zu erobernde Feſtung etwas
Reizvolles. Handelte es ſich doch nur darum, das alte
Bollwerk der väterlichen Abneigung über den Haufen zu
rennen. Mit der Tochter war er einig. Die letzten
Skrupel, welche das eigenthümliche Verfahren gegenüber
der Geliebten in ihm wach rief, wurden mit dem Leicht-
ſinn welterobernden Jugenddranges bei Seite geſchoben.
Heute Abend ſollte der
Würfel fallen.
Mit Arthur Hallen theilte ſich der Commerzienrath
von Kemberg und ſeine reizende Tochter in die Herrſchaft
der Stadt.
Nicht mit Hammer und Meißel, aber doch klein
hatte der Commerzienrath angefangen, um nach einem
Piertel⸗Säculum angeſtrengter Thätigkeit als halber
Millionär und Herr von So und ſo zu ſchließen. Man
mochte ſich wundern, daß er nicht einen größeren Ort
gewählt hatte für den dem Genuß geweihten Theil ſeines
Lebens. Indeß kann man ſich vorſtellen, daß er lieber
einer Stadt den Rücken kehrte, in welcher ihn jeder
rauchende Kamin — darin hatte er nämlich gemacht —
einer Sünde zieh. Außerdem iſt der Reichere der Feind
des Reichen. Allen konnte es Herr von Kemberg dort
nicht gleichthun. ö ö
In . dagegen beſaß er das ſchönſte Haus,
die ſchönſte Equipage, den beſten Koch und was ſein
Hauptverdienſt war, die ſchönſte Tochter. Sein Reich-
thum allein hätte ihn ebenſo wenig wie ſein nicht hervor-
ragender Geiſt an die Spitze der Geſellſchaft geſtellt,
wenn er dieſen Platz nicht als Vater ſeiner Tochter ein-
genommen hätte. ö
Von einer frühverſtorbenen vortrefflichen Frau war
ihm Helene, ein lebendiges Ebenbild derſelben, geſchenkt.
Sie ſchön zu nennen, iſt zu viel geſagt. Helene konnte-
bei regelmäßigen Zügen, einer feinen Naſe und einem
ſüßen Mündchen, das zwanzig Silberpfennige deutſcher
Reichswährung wohl zu verdecken vermochten, ganz all-