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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 70 - No. 78 (1. September - 29. September)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M71.

Mittwoch, den 5. September

1877.

Im alten Thurm.

Kriminalnovelle von H. Engelcke.
Nachdruck verboten. Geſ. v. 11./VI. 70.

Erſte Abtheilung.

Auf einer Anhöhe an den grünen Ufern der Mulde
bei der Stadt D .. . ſteht noch heut zu Tage eine kleine
alte Burg, oder eigentlich nur ein alter Thurm mit
Ringmauern aus Felſenſtein. Niemand wohnt mehr dort
oben, auf dem Hofe liegt Schutt in Maſſe, der Epheu
wuchert am Geſtein, das Gras zwiſchen dem Pflaſter. —
Zu der Zeit, in welcher unſere Geſchichte beginnt,
war die Burg noch bewohnt. Damals ſtand neben dem
Thurm und mit dieſem durch einen durch die Luft ge-
führten Gang verbunden, ein zur Wohnung des Eigen-
thümers dienendes Gebäude, das, wenn auch lange nicht
von gleichem Alter wie der Thurm, doch weit baufälliger
als dieſer war. Das Haus war nur von Fachwerk auf-
geführt mit Ausnahme einer einzigen maſſiven und ge-
wölbten Ecke, die wohl urſprünglich ein Theil der Ring-
mauer geweſen und von dem Eigenthümer und Gerichts-
herrn, zum Depoſitorium und Archiv für Urkunden über-
wieſen war. Durch Jahrhunderte hatte die Sonne, Kälte
und Sturm an dem alten Hauſe raſtlos gerüttelt, die
Steine waren loſe, die Balken waren morſch geworden,
die Ziegel waren verwittert und hielten nur noch durch
das dichte Moos zuſammen, das ſich von oben bis unten
über das Dach erſtreckte.
Die Beſitzer waren wohl in der Lage geweſen, es
zu erneuern, aber Unbequemlichkeit hielt ſie davon ab.
Sie hätten ſich während des Baues eine andere Wohnung
ſuchen müſſen und ſo unterblieb eine jede Reſtauration.
Der Thurm iſt noch viel älter, ſeine Erbauung fällt
in die graueſte Vorzeit. Man ſieht dies an den ge-
waltigen Felſen⸗ und ſchwarzen Eiſenſteinen, an der ſteiner-
nen Haube, die er trägt, an den beiden kleinen gefäng-
nißartigen Fenſtern des einzigen Zimmers, das er be-
ſitzt, endlich an den Reſten einer ehemaligen Zugbrücke,
welche dicht am Thurmeingange über einen tiefen Graben
nach dem unten gelegenen Wirthſchaftshofe führt.
Noch heute wird der alte Thurm von den Bewohnern
des am Fuße liegenden Städtchens, obwohl er den Namen
ſehr wenig verdient, „das Schloß“ genannt und von
Touriſten häufig beſtiegen. Die Ausſicht iſt eine rings
umfaſſende und wenn ihr auch ein großartiger Character
ermangelt, immerhin hinreißend ſchön. Auf der einen
Seite tief im Grunde die kleine Stadt mit ihren alter-
thümlicheu Giebeln, auf der andern Seite das blühende
fruchtbare Thal des Fluſſes mit dunkeln Tannen⸗ und
grünen Laubwäldern, mit dem ſilberhellen Strom auf
durchſichtigem Kieſelgrunde, mit Kirchen nnd Schlöſſern
und Dörfern, die in ſo reichem Maße aus dem Thale
der Mulde ſich erheben.
Der Baron von Buchwald war Beſitzer des Schloſſes

und des dazu gehörigen kleinen Freigutes. Er war ein
ſonderbarer menſchenſcheuer Mann. So lange die Baro-
nin noch lebte, hatte er mit dieſer das alte baufällige
Haus bewohnt, als aber dieſe geſtorben, war er in das
kleine Thurmzimmer übergeſtedelt. Hier lebte er allein
und abgeſchloſſen von jedem Verkehr. Der Baron galt
als geizig über alle Begriffe. Er legte ſich für ſeine
Perſon die herbſten Entbehrungen auf, jeder Genuß war
ihm fremd. Sogar die erſte Erziehung ſeines einzigen
Sohnes Kurt leitete er ſelbſt um, wie man in der Stadt
ſagte, die Koſten für einen Erzieher zu ſparen. Dabei
geſchah der Unterricht mit wahrhaft erſchreckendem Ernſte.
Er ſprach mit dem Knaben wenig mehr als was unmög-
lich nothwendig war. Höchſtens daß er mit ihm durch
Wald und Feld ritt. Aber auch das geſchah nur,
um den Knaben zu unterweiſen. In der Stadt und
unter dem Hofgeſinde gab es niemand, der ſich hätte er-
innern können, daß der Baron je gelacht habe, daß je
ein freundliches Wort aus ſeinem Munde gekommen ſei.
Man ſagte weiter, er ſei übermäßig ſtolz und hochfahrend,
derartig, daß er rückſichtlich des Adels der Umgegend
die Stammbäume prüfe, ob ſie rein und alt genug ſeien,
daß er ſie als ebenbürtig anerkennen könne. Andere
meinten freilich, der Geiz allein halte ihn von allem Um-
gang fern und er ſchütze den Stolz nur vor, um ſo wenig
Perſonen wie möglich bei ſich zu ſehen und bewirthen zu
müſſen. Im übrigen galt er für ſtreng rechtlich, unpar-
teiiſch und edel von Character und nur für unerträglich
hochmüthig und zu jedem näheren Umgang unbrachbar.
Den Fehler unbegrenzten Hochmuthes hatte ſein Sohn
Kurt von ihm geerbt und die ſonderbare Erziehung hatte
denſelben noch mehr befeſtigt. So kam es, daß der junge
Herr ſchon als Knabe der Jugend des Städtchens gleich
unwillkonnen war, wie der Vater den Erwachſenen.
In etwas änderte ſich dies allerdings als der Baron
einſah, daß er den heranwachſenden Knaben nicht mehr
allein unterrichten könne, weil ihm ſelbſt die dazu nöthi-
gen Kenntniſſe zu fehlen begannen. Der Pfarrer Klug
unten in der Stadt wurde deßhalb vom Baron, ſeinem
Patronatsherrn, berufen, den weitern wiſſenſchaftlichen
Unterricht zu ertheilen. Der Pfarrer war ein lieber und
braver Herr, der ſchon lange mit allerdings nur ſtillem
Tadel die Erziehungweiſe verfolgt hatte und der ſich der
weiteren Ausbildung des jungen Herrn mit Freuden un-
terzog. War es dem Pfarrer auch nicht möglich, den
angeborenen und anerzogenen Stolz des Knaben zu be-
ſeitigen, was um ſo ſchwieriger geweſen ſein würde, als
der Vater immer noch die Erziehung auf das Sorg-
fätigſte überwachte, ſo gelang es dem Pfarrer doch, alle
die guten Seiten des Charakters, die in jedem Kinde
ſchlummern, zum vollen Leben zu erwecken. Hierbei half
ihm ſein eigener Sohn Johannes, der im gleichen Alter
wie Baron Kurt ſtand, ſehr weſentlich. Der Pfarrer
unterrichtete beide Knaben zuſammen. Sie waren gleich
befähigt, gleich fleißig, freilich aber von Charakter weit
von einander verſchieden. Kurt von Buchwald war hoch-
fahrend, ſtolz und ſich des Umſtandes bewußt, daß er
 
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