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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 25.

Mittwoch den 28. Mäͤrz

1877.

Das Bornberger Schießen.
(Weſtliche Poſt, St. Louis, Mo.)

Ich will eine große Wette eingehen, daß eine Menge
von Ihren Leſern nicht wiſſen, wie das Hornberger
Schießen ausgegangen iſt. Iſt es mir doch ſelbſt auch
ſo ergangen und habe ich nicht, um es zu erfahren, weit-
reichende und gründliche Nachforſchungen anſtellen müſſen.
Und ſo hab' ich es denn, Dank der Collegialität, die
unter uns Journaliſten herrſcht, von einem badenſiſchen
Journaliſten erfahren, wie das Hornberger Schießen aus-
gegangen iſt. ö
Das Städichen Hornberg liegt nämlich in dem
Kreiſe Offenburg, in einem reizenden Schwarzwaldthale,
das ebenſo erhaben ſchön und wildromantiſch iſt, wie
das berühmte Höllenthal, nur noch nicht ſo von der
Eiſenbahn⸗Cultur beleckt und „verbädeckert“, wie das
Letztere.
Im Städtchen Hornberg alſo war ein amtlicher Be-

ſuch des Regierungs⸗Präſidenten angeſagt worden, und

da ſeit Menſchengedenken kein Regierungs⸗Präſident
Hornberg beſucht hatte, ſo beſchloſſen Stadtrath und
Bürgerſchaft, den hohen Gaſt auf das feierlichſte zu
empfangen.

Es wurden alſo alle Straßen gekehrt, obwohl es

noch nicht Sonnabend war, das Stadtthor wurde durch
Tannenreiſig und Goldpapier in einen Triumphbogen
umgewandelt, jede mit Töchtern geſegnete Familie mußte
einige weißgewaſchene Jungfrauen liefern, die Kränze auf
den Kopf und Blumenſträuße in die Hand bekamen;
die ſtädtiſche Schützengilde rückte ſiebzehn Mann hoch in
Parade aus, der Bürgermeiſter ließ ſich von dem Stadt-
ſchreiber eine Rede verfertigen, die er im Schweiße ſeines
Angeſichts auswendig lernte; mit dieſer im Leibe ſtellte
er ſich dann nebſt ſämmtlichen Stadträthen unter dem
Thore auf, während die Herren Eltern der weißgewaſchenen
Jungfrauen in ihren Sonntagskleidern das verſammelte
Volk bildeten. ö
ö Die vier Böller der Schießſtatt wurden auf der
Stadtmauer aufgeſtellt und der Zieler mit Gehülfen als
Geſchützmannſchaft commandirt. Es ſollte auch mit allen
drei Glocken geläutet werden, aber der Stadtpfarrer hatte
dieſen Punkt des Programms verboten, weil der Regie-
rungspräſident — ein liberaler Proteſtant ſei.
Eine Telegraphenleitung gab es damals in Hornberg
und anderwärts nicht und ſo wurde der Thürmer, als
Beobachtungspoſten auf dem Kirchthurme, inſtruirt, ſcharf
auszulugen und ſoſort das Zeichen zu geben, wenn er
den erwarteten Ehrengaſt herannahen ſähe.
Um ſieben Uhr Morgens war ſchon die ganze Stadt
auf den Beinen und Jeder ſtand auf ſeinem Poſten,
aber es ſchlug 8 Uhr, dann 9 Uhr, dann 10 Uhr, und
noch immer ließ ſich kein Regierungspräſident ſehen.
Da knapp vor 11 Uhr ſtiegen große Staubwolken
von der Landſtraße auf und der Thürmer ſchrie von oben
durch das Sprachrohr herab: „Er kömmt, er kömmt!“
— „Feuer!“ commandirte der Oberſchützenmeiſter und

die Böller donnerten luſtig ihre Bums! Bums! in die
Luft hinaus; die Bürger kamen aus den nahen Wirths-
häuſern, wohin ſie ſich zu einem Schoppen geflüchtet,
eiligſt herbei, die Frauen legten ihre Strickſtrümpfe weg
und Alles ſetzte ſich in Poſitur. Die Staubwolke kam
dicht an's Thor heran, der Bürgermeiſter begann ſeine
Rede: „Seid uns herzlich willkommen in der getreuen
Stadt Hornberg — —“, aber weiter kam er nicht, denn
in dieſem Augenblicke gallopirten, durch die Böllerſchüſſe
ſcheu gemacht, ſechs große Maſtochſen durch das Thor
herein, die der ſtädtiſche Fleiſchhauer auf dem nahegele-
genen Viehmarkte gekauft hatte und durch ſeine beiden
Knechte heimtreiben ließ. ö ö
Die wild gewordenen Ochſen rannten den Bürger-
meiſter ſammt Stadtrath über den Haufen, während die
weißgewaſchenen Jungfrauen mit Zetergeſchrei auseinander
ſtoben, die Böller luſtig fortkrachten und das verſammelte
Volk „Vivat! hoch!“ ſchrie.
Nur mit Mühe rafften ſich die Väter der Stadt

wieder auf, der zornglühende Bürgermeiſter ſchrie wüthend

zum Thürmer hinauf: „Er Eſel, Er! mach Er künftig
die Augen beſſer auf!“ — „Nicht mehr ſchießen!“ ſchrie
der Oberſchützenmeiſter, aber die Geſchützmannſchaft war
von dem Geknalle halb taub geworden, hörte ihn nicht
und ließ die Böller tüchtig weiter krachen.
Endlich wurde das Schießen durch den Rathsdiener,

der hinaufgeklettert war, eingeſtellt, die Herren Stadt-

räthe putzten ſich gegenſeitig die Galafräcke aus, und
Alles erwartete nun wieder die Ankunft des Herrn Re-
gierungspräſidenten. ö
Nachmittags um 3 Uhr erhob ſich wieder eine Staub-
wolke, der Thürmer ſchrie wieder: „Er kömmt!“ Wie-
der donnerten die Böller, wieder ſetzte ſich Alles in Po-
ſitur und als der Stadtpfeifer mit ſeinen Muſikern das
„Heil dir im Siegerkranz“ anſtimmte, rollte auch wirklich
ein Wagen zum Stadtthore herein, aber drinnen ſaß
nicht der Regierungspräſident, ſondern der Fleiſchhauer,
der ſeine Ladung von Kälber vom Viehmarkte ſelbſt
hereinbrachte.
Abermals große Enttäuſchung und noch größere
Entrüſtung, abermals konnte das Schießen nur mit Mühe
eingeſtellt werden und abermals mußte man ſich zum
ferneren Warten bequemen. Noch einmal gab es eine
Stunde ſpäter einen falſchen Empfanglärm und eine er-
neuerte Kanonade, als wieder eine Staubwolke heran-
gerollt kam, aus der ſich am Thore vier wandernde
Handwerksburſchen loslöſten, welche luſtig ſingend in die
Stadt einziehen wollten, aber vom Raihsdiener gleich
abgefangen und mit Hinweis auf die amtliche Aufſchrift
am Thore: „Betteln und Fechten iſt hier verboten!“ zum
andern Thore wieder hinausgeſchafft wurden. ö
So wurde es 7 Uhr Abends und Keiner konnte
vor lauter Warten mehr auf den Beinen ſtehen. Die

Bürger hatten ſo oft Stärkung und Labung ſuchen müſſen,

daß der Eine einen Haarbeutel, der Andere einen Affen
hatte, Alle aber ſchon ſich höchſt ſchwankend und wankel—-
müthig fühlten, — die weißgewaſchenen Jungfrauen ſahen
von dem Staub, Straßenſchmutz und dem Herumbalgen
 
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