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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 79 - No. 87 (3. Oktober - 31. Oktober)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Beuetriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

MS3.

Mittwoch, den 17. Oktober

1877.

Im alten Thurm.
Kriminalnovelle von H. Engelcke.

(Fortſetzung.)

„Das ſollen Sie haben, Herr Rittmeiſter,“ ſagte die
Doktorin lachend, „aber viel helfen wird das nicht, und
vor Allem müſſen Sie folgen.“ ö
„Das will ich auch,“ entgegnete der Rittmeiſter, die
Hand an die Binde legend, weil ſich ſein Geſicht zu einem
ſchmerzhaften Lächeln verziehen wollte. „Wer ſo lange
hat leiden und dulden müſſen, wie ich, der lernt es ſchon,
gehorſam zu ſein.“
„Sie waren nie in dieſer Gegend? ſagte die Doktorin,
das Geſpräch abſichtlich auf ein anderes Thema lenkend.
„Doch,“ entgegnete der Rittmeiſter, „ich war ſchon
hier im Sommer 1813 und noch mehr, ich habe hier bei
dem alten Joel im Quatier gelegen und deßhalb galt
mein erſter Ausritt meinem alten Wirthe.“

„Joel, Joel,“ rief der Doktor, „kommen Sie ſchnell

heraus, ein alter Quatiergaſt von Ihnen iſt da!“
Der alte Wirth kam langſam heraus und ſah den
fremden Herrn zweifelhaft an. „Kann mich nicht erinnern,
aber freilich die Binde — —“
„Ja ja, die Binde und der Bart — auf ein Wort,
mein alter Joel!“ Der Rittmeiſter ſtand auf und ſagte
dem Wirthe etwas in das Ohr. Der Wirth prallte um
einen Schritt zurück. „Frau,“ rief er „Frau komm
heraus, Herr Leutnant Ahlfeld iſt da, ſchnell, ſchnell —“
„Rittmeiſter!“ verbeſſerte der Doktor.
„Rittmeiſter, ſo ſo, bitte um Vergebung, der Herr
Rittmeiſter iſt da!“
Frau Joel war im Augenblicke erſchienen und hatte
ihren ehemaligen Quatiergaſt ſofort erkannt. Wie eine
Mutter lief ſie auf ihn zu, ihn an die Hand faſſend, ihn
auf die Schulter klopfend, und die verbundene Wange
ſtreichelnd. Von der ſchweren Verwundung in Kenntniß
geſetzt, wollte ihr Bedauern kein Ende nehnem.
Ach,“ ſagte ſie endlich, „ach Herr Doktor, wenn
der Offizier nicht geweſen wäre — —“
„Was iſt denn eigentlich?“ fragte der Doktor.
„Ach es iſt nichts, lieber Doktor, nahm der Ritt-
meiſter das Wort „ein Fall, wie oft im Kriege vorkom-
men und worüber man nachher lacht, wenn der Krieg
vorbei iſt.“
„Ja,“ unterbrach der Wirth, wenn man noch lachen
kann, wenn man nämlich noch lebt. Der Herr kam mit

ſeinen Reitern gerade in dem Augenblick an, als franzö-

eben im Begriffe waren, mich — — —
„Aufzuhängen, Herr Doktor,“ unterbrach Frau Joel.
„Sie hatten ihm die Leine ſchon um den Hals gelegt,
da blitzte der Säbel dieſes Herrn in der Thür und mein
Mann war gerettet“s ö
„Ja Frau Joel,“ ſagte der Rittmeiſter, „wir mach-

ſiſche Marodeurs uns total ausgeplündert hatten, und
*

ten reinen Tiſch, ich ließ die Räuber nach G. escortiren,
wo ſie ſämmilich füſilirt ſind.“
„Bis auf die drei, die dieſer Mühe überhoben wur-
den, weil Ihr Säbel. — — “
„Genug, Frau Joel, genug, das iſt nicht anders im
Kriege, ich habe ſpäter ganz andere Vorfälle erlebt, das
waren Schurken, die es nicht beſſer verdienten, aber nach-
her in den Schlachten, wo brave Männer von Glück
ſagen können, wenn ſie gleich todt geſchoſſen werden und
nicht wie ich als Krüppel herumlaufen müſſen.“
„Vertrauen, Herr Rittmeiſter,“ ſagte der Doktor,
„wenn nicht alles fehl ſchlägt, ſtelle ich Sie wieder her.“
„Was?“ ſagte Joel, „der Herr Rittmeiſter kommt
zur Kur zu Ihnen, Herr Doktor!“ ODieſer nickte be-
jahend.
„Herr Rittmeiſter,“ ſagte der Wirth jetzt ſein Käpp-
chen abnehmend, „jetzt können wir Ihnen vergelten, was
Sie an uns gethan, wir, ich und meine Frau wollen
Sie pflegen während der Kur wie unſer Kind, erweiſen
Sie uns die Ehre, beziehen Sie die Stube, die Sie vor
drei Jahren inne hatten.“
„Das kommt mir ſehr gelegen,“ ſagte der Doktor,

„ſorgſame Pflege iſt die halbe Heilung, ſchlagen Sie ein,
Herr Rittmeiſter!“

„Gern“, ſagte dieſer.
„So ſchicken Sie in den König von Sachſen und
laſſen Sie Bagage, Pferd und den Diener heraufholen,
Joel.“ ö
„Oh das thue ich ſelbſt, das thue ich ſelbſt,“ rief

der alte Joel und machte ſich mit der Eile eines Jüng-
lings auf den Weg.

Nach einer Viertelſtunde kam der alte Joel zurück,
die Pferde an der Hand, der Diener mit den Mantel-
ſäcken und Sätteln beladen keuchte hinterher den Berg
herauf.
„Eine Frage lieber Herr Rittmeiſter,“ ſagte der alte

Wirth, „das iſt doch das braune Pferd, das Sie damals

ritten, das iſt doch die alte braune Lieſe?“
Toni non Dyßel ſtieß bei dieſen Worten einen lei-
ſen aber deutlichen Schrei aus. ö
„Was iſt dir, Toni?“ fragte die Doktorin.
„Ach nichts, nichts, liebe Anna, ich dachte bei dem
Namen an das Pferd, das meinem Onkel Kurt von Buch-
wald gehörte. Das Pferd hieß auch die braune Lieſe,
ich erzählte dir ja noch vorhin davon.“ ö
„Was war das für ein Pferd Fraͤulein?“ ſagte der
Rittmeiſter. ö
„Ach es war ein Vollblutpferd, an dem ſo verſchie-
dene Familienerinnerungen hängen, leider ſehr traurige.
Es gehörte einem verſtorbenen Onkel von mir, es
hatte ihn auf ſeinem letzten Ritte getragen. Wir hielten
es deßhalb ſo hoch, aber eines Nachts wurde es uns

aus dem Stalle geſtohlen, von Niemand anders als von

den Franzoſen.“ —
„Wann war das, mein Fräulein?“
„Ach, das iſt ja lange her, ich war noch ein Kind,

damals in der Penſion und habe von meinen Eltern nur
 
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