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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0106

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ſchon ſehr ſchwarz und ungewaſchen aus, der Bürger-
meiſter, der wiederholt dem Thürmer zahlreiche Eſel und
Schafsköpfe hinaufzuſchreien hatte, war davon ſtockheiſer
geworden; — da endlich kam wieder eine Staubwolke,
ſchon von weitem hörte man das Horn des Poſtillons,

fröhliche Weiſen anſtimmend, und richtig war es der Re-

gierungs⸗Präſident, der in einer Poſtkaleſche angefahren
kam. „Schießen!“ ſchrie der Oberſchützenmeiſter,
„Schießen!“ wiederholte der Bürgermeiſter, aber kläglich
tönte von der Stadtmauer die Antwort des Zielers
herab: „Geſtrenge Herra! Wir koͤnnen nicht ſchießen, wir
han kan Pulver mehr!“ So fuhr der Regierungspräſi-
dent durch das Thor herein, — der Bürgermeiſter hatte
vor Aerger und Aufregung ſeine Rede rein vergeſſen,
die ſchwachbeinig gewordenen Bürger waren von ihren
Frauen nach Hauſe geführt worden, um das Vergnügen
einer Gardinenpredigt zu genießen, die einſt weiß gewe-
ſenen Jungfrauen hatten ſich verſchämt verſteckt und ſo
fuhr der Regierungspräſident ohne Sang und Klang und
ohne von Jemanden begrüßt zu werden, im Herzen froh,
ſo leichten Kaufs davongekommen zu ſein, in das Hotel.
So endete das Hornberger Schießen und

gerade ſo iſt auch die große Conferenz in

Konſtantinopel ausgewordenl!l!

Das verurtheilte Rommersbuch.

Dieſer Tage hat das Grazer Landesgericht als Preß-
gericht das „Allgemeine Reichs-Kommersbuch“ wegen
Verbrechens der Majeſtätsbeleidigung verboten. Das
betreffende gerichtliche Erkenntniß ſtützt ſich auf das Lied
mit der Ueberſchrift: „Suezkanal-Eröffnung“, unter Zahl
88 der „Kneiplieder“, ein Lied, das durch und durch
harmlos, d. h. nur ſcherzhaft gehalten, allerdings aber,
was die inkriminirte Stelle betrifft, vom öſterreichiſchen
Standpunkte aus wenig patriotiſch ünd zum Singen für
öſterreichiſche Studenten ſicher nicht paſſend iſt. Das
Lied, nach der Melodie: „Ein luſtiger Muſikante“ ꝛc,
enthält in der fünften und ſechſten Strophe einen Paſſus,
der zu der immerhin ſeltſamen Verurtheilung in Graz
Veranlaſſung gegeben haben mag. Die fragliche Stelle
enihält, wie der Herausgeber des Buches, Or. Müller
von der Werra, im „Leipz. Tgbl.“ ſchreibt, eine An-
ſpielung auf einen Vorfall, der ſich bei der Eröffnung
des Suezkanals ereignete und der unſeres Wiſſens bisher
in Deutſchland noch wenig oder nicht bekannt ſein dürfte
und daher in aller Kürze mitgetheilt werden ſoll. Im
Hafen von Port Said — ſo erzählt Dr. Müller —
lagen am 16. November 1869 Abtheilungen der Flotten
faſt aller maritimen Staaten. Von Fürſtlichkeiten waren
anweſend die damalige Kaiſerin von Frankreich, der Kaiſer
von Oeſterreich und der Kronprinz von Preußen. Der
Khedive hatte angeordnet, daß die fürſtlichen Schiffe beim

Einlaufen in den Kanal ſich in der hier angeführten

Reihe folgen ſollten; ihnen ſollten ſich zwei Schiffe, je
eins mit dem öſterreichiſchen und ungariſchen Miniſterium,
anreihen, dann hatten ſich die Admirale ꝛc. mit ihren
Dampfern zur Einfahrt bereit zu halten. Die Sache
nahm auch glücklich ihren Anfang mit dem franzöſiſchen
„Adler“, dann folgte in beſtimmter Entfernung der Kaiſer
von Oeſterreich. Als aber die „Grille“ mit dem Kron-
prinzen von Preußen Dampf geben wollte, kamen ihr die
beiden öſterreichiſchen Miniſterſchiffe zuvor, und ſo kam
die „Grille“ in Ismailia, wo das dreitägige Feſt gefeiert

werden ſollte, erſt als fünftes Schiff an. Die in Js-

maila anweſenden Deutſchen waren über den Vorfall, an

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den ſich noch ſo manches Andere geknüpft haben ſollte,

ungemein erregt. Es ſoll auch eine höhere Entſchuldigung

von Seiten Oeſterreichs auf der „Grille“ abgegeben wor-
den ſein. Tegetthof, welcher das Schiff des Kaiſers
leitete, ſollte eigenmächtig das Programm umgangen
haben! Wie dem auch ſei, die Angelegenheit machte na-
mentlich in der deutſchen Kolonie in Kairo ſehr böſes
Blut. Ein angeſehener dortiger Gelehrter faßte die Sache
von ſcherzhafter Seite auf und brachte dieſelbe in fol-
gende Verſe: ö

Laß, o Prinz, es Dich nicht ſchmerzen,
Was der Franz mit Dir thät ſcherzen
Dort vor Ismailia, ö
Als die Flotte einlief da.

Hinter'm Kaiſer herzurennen,
Mußt Du ja ſchon lange kennen,
Warſt ja immer hinter ihm,
Von Sadowa bis nach Wien.

Dieſe ſcherzhaften Verſe machten damals in Kairo
vieles Aufſehen, ſie erregten ſelbſt in hohen Kreiſen große
Heiterkeit und wurden in verſchiedenen Sprachen, ſogar
ins Arabiſche übertragen. Der Verfaſſer deſſelben, wel-
cher mit dem Herausgeber des „Allgemeinen Reichs-
Kommersbuches“ befreundet iſt, diktirte ihm die Worte
ſelbſt in deſſen Notizbuch, und dieſer hat nun in ſeinem
Liede „Suezkanal-Eröffnung“ von der in Rede ſtehenden
Affaire nur eine leiſe Andeutung gegeben. Darin be-
ſteht, wenn es nicht blos ein Vorwand iſt, was wir
nicht annehmen wollen, die aufgebauſchte Majeſtäts-
beleidigung, die das Grazer Landesgericht in dem be-
treffenden Liede gefunden hat.

Eins der komiſchſten Bwiegeſpräche
führte einmal der große Ludwig Devrient auf der Bühne
einer Provinzialſtadt. In ernſter Rolle ſuchte Devrient
Alles zu vermeiden, was Veranlaſſung zu Störungen
und Lächerlichkeiten geben konnte. So ſpielte er einmal
in einer Schlußſcene zu dem Trauerſpiel den Templer.
In dem erhabenen Augenblicke, wo er im Begriffe ſteht,
in den Tod zu gehen, und dee 1⁰ ausruft:
„Es iſt
Nicht Strafe: Nein, es iſt der Ruhm der Märtyrer,
Laßt uns dem Himmel danken, der ihn gibt“!
bemerkt Devrient neben ſich einen Templer mit dem aller-
dümmſten Geſichte, das es geben kinn, und fürchtet, daß
durch daſſelbe der ganze Eindruck geſtönt werden möchte.
Devrient ſteht da mit aufgehobenen Armen und ruhigem
Blicke, ſagt aber leiſe und zornig zu dem Theaterdirector
Moritz, der mit freigekreuzten Armen ebenfalls neben
ihm ſteht, nachdem er die Worte geſprochen:
„Ich bin bereit, ſeid ihr es, meine Brüder?“
(Wer iſt denn dieſer Eſel in Menſchentracht zu
meiner Rechten? Warum haben Sie ein ſolch' Geſicht
neben mich geſtellt? — Director Moritz: Es thut mir
leid, Herr Devrient.) Devrient:
„O Gott, ich preiſe Dich, Du gibſt uns Muth,
Noch größer als das Unglück, das uns triff.“
Director Moritz (mit Thränen in den Augen): Es
iſt wahr, er ſieht fürchterlich dumm aus, 's iſt der Färber
Bockert, der aus Kunſtliebe ſpielt. Devrient:—
„Ein hohes Beiſpiel geben wir der Welt!“
(Sagen Sie zum Henker dem Ochſen, daß er mehr zurück-
tritt) Moritz leiſe zu dem Färber: Treten Sie etwas
zurück. Die andern Templer, dieſe Worte auf ſich be-
ziehend, anſtatt ſich um den Großmeiſter zu ſchaaren,
 
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