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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 1 - No. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Veletriſtiſce Beilage zur Heidelberger Zeitung.

3.

Mittwoch, den 10. Januar

1877.

Blut um Blut.
Von Hans Heiling.
(Fortſetzung.)

„Fräulein Ima, Sie ſind in der Arriergarde ge-
blieben“, rief der unermüdliche General ſeinem ſtummen
vis-à-vis hinüber. „Sie wiſſen, daß vor Ihren ſchönen
Augen keine Feſtung Stand hält — nun alſo den Haupt-
coup. — Zeigen Sie uns, was Sie vermögen.“
„Warum ſich denn ſo viele Mühe geben um eine
neutrale Feſtung, deren Wichtigkeit noch gar nicht con-
ſtatirt iſt, Herr General?“ warf das junge Mädchen
zwiſchen Scherz und Ernſt halblaut hin. ö
Und damit ſchien die Sache erledigt.

Ob Herr von Kronau die letzten Worte gebört

hatte oder nicht — er knackte ruhig ſeine Mandeln auf.
Lieutenant von Blumenau, der ſich inzwiſchen wieder
geſetzt und mit gutem Appetit ſein Frühſtück verzehrt
hatte, ſchnalzte mit den Fingern und rief lachend „Au!“
nahm dann ſeinen weißbeſchleierten Strohhut und rief im
Hinausgehen zurück:
V Alſo acht! da
paſſendſten!“
Eine Stunde ſpäter ſchwammen die beiden leichten
Fahrzeuge über die im Sonnenſchein glitzernde Fläche
dahin; die beiden ſcharlachrothen Zelte mit ihren flattern-
den Zacken, die wie zierliche Baldachine vor den Mittags-
ſtrahlen ſchützten, hoben ſich lachend von dem ernſten
Kranz der Berge, von dem Grün der leiſe plätſchernden
Gewäſſer ab.
Das Gelaͤute der Glocken tönte von der Stadt
herüber — ſtiller Friede herrſchte ringsum und ſchien
auch ſeinen Einfluß auf die Inſaſſen der beiden Gondeln
auszuüben. ö
Ima ſaß an einem der Zeltpfeiler gelehnt und
blickte träumeriſch an den freundlichen Villen des Monte
Bré, an dem grürhäuptigen Boglia, den nackten Kuppen
der Denti di Vecchia, „den Zähnen der Alten“, vorüber

ſind wohl zwei kleine Gondeln am

zu der fernen blauen Bergkette mit ihren ſilbern glitzern-

den Schneeſpitzen.

Der breite Rand ihres Hutes verdeckte die Augen
und der Mund gehörte nicht zu der verrätheriſchen Art,
die jede Bewegung des Innern, jeden Pulsſchlag des
Herzens widerſpiegelt. ö
Die feinen Lippen waren feſt geſchloſſen, als hätte
das Schickſal, trotz der Jugend ihrer Beſitzerin, ſchon ſein
unerbittliches Siegel darauf gedrückt; und zuckte es ad
und an wie erlöſend in den Mundwinkeln, ſo wußte man
nicht — war es Schmerz, war es Bitterkeit, was ſich
dort Luft zu machen ſtrebte.
Tante Guſichen hatte ihr Skizzenbuch hervorgenom-
men und warf mit geübter Hand die Umriſſe des vor
ihr liegenden Panoramas auf das Papier, während der
General ihr bewundernd zuſchaute und ſeiner beweglichen
Zunge ſeltener als ſonſt freien Lauf ließ.

Herr von Norden, der Referendar, ließ ſeine ſchma-
len weißen Finger im Waſſer ſpielen und warf oftmals
umſchluͤſſige Blicke auf das ihm gegenüͤberſitzende Maͤd⸗
chen, als ob auch er die feinen Lippen ſtudire und nicht
mit ſich einig werden könne, ob er das Siegel brechen
dürfe oder nicht.
„Sie ſind heute ungewöhnlich ſchweigſam, gnädiges
Fräulein,“ begann er endlich zaghaft. „Schon an der
table d'hôte vermißte ich Ihre ſonſt ſo fröhliche Unter-
haltung.“ ö
Ima fuhr wie aus einem Traum empor und ſah
den jungen Mann mit ihren großen dunkelbraunen Augen
verwundert an. ö
„Verzeihung“, ſagte ſie dann, „wenn ich unböflich
geweſen bin. Dieſe ſtille Mittagsſtunde hatte mich wohl
in ein dolce far niente gelullt, bei dem ich ganz ver-
gaß, daß ich nicht allein bin.“
„Es ſchienen aber keine heiteren Bilder zu ſein, die
Sie umgaukelten,“ fuhr der Referendar in dem halb-
lauten Ton fort. „Wenn in den erſten Tagen dann und
wann ein Schatten über Ihre Züge flog, verſicherten
Sie ſtets, es ſei die Sorge um Ihren Herrn Vater. —
Das kann doch heute nicht mehr der Grund ſein — er-
holt Herr von Marlow ſich doch ſichtlich von Tag zu
Tage.“ —
„So nehmen wir an, ich hätte ausgerechnet, wie
viel Schritte man zu machen hat, um den Monte Ge-
neroſa zu beſteigen, Herr von Norden.“
„Sie weichen mir wieder aus, Fräulein Ima.“
„Ich möchte aber in der That gar zu gern noch
einmal vor unſerer Abreiſe dieſen vielberühmien Berg
beſteigen, von dem man ja eine ſo wunderbar ſchöne
Ausſicht über die lombardiſche Ebene, über Maitand,
den Comer See, ja über die ganze Monte Roſa Keite
haben ſoll.“ ö
„So denken Sie ſchon an Ihre Abreiſe?“ rief der
Referendar erſchrocken aus.
„Nun einmal wird
widerte Ima gelaſſen.
„Aber Sie ſind ja die letzten Ankömmlinge unſeres
Kreiſes — außer Kronau. — Sonderbar“, ſetzte er
dann, wie zu ſich ſelbſt redend hinzu, „warum ſich der
ſeit einiger Zeit ſo auffallend zurückzieht. Er kommt
mir auch ſonſt verändert vor. — Iſt es Ihnen nicht auch
aufgefallen, Fräulein Ima?“ ö
„Ich kenne den Herrn zu wenig, Herr von Norden,“
war die gleichmüthige Erwiderung, „und begreife auch
nicht, wie man aus einem Menſchen, der kaum geruht,
den Mund aufzuthun, wenn er gefragt wird, ſo viel
Weſens machen kann.
„Wiſſen Sie, Herr von Norden, ich möchte gar zu
gern ein wenig rudern,“ und mit dieſen Worten ſtand
ſie raſch auf und ſetzte ſich neben den jungen ſchwarz-
äugigen Schiffer, der ihr nach einer kurzen Unterredung,
die Ima in ziemlich geläufigem Italieniſch führte, ſchmun-
zelnd das eine Ruder überließ. ö
Sie hatte oft und wie ſie glaubte mit Geſchick die
Ruder geführt und ſetzte mit feſter Hand in den Takt

ſie doch erfolgen müſſen,“ er-
 
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