Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1877

DOI Kapitel:
No. 1 - No. 9 (3. Januar - 31. Januar)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0031

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 23

hohen Staccatoſtellen und Paſſagen dieſer Rollen bewäl-
tigte, wirkten wie ein Blendwerk. Es folgten als nächſte
Rollen Martha und Elvira im „Don Juan.“ Für an-
ſtrengende hochdramatiſche Partien ſchien damals die
Stimme der Nilsſon noch zu klein. Erſt 1868 wurde
ſie in der großen Oper engagirt, um die Oyhelia in
„Hamlet“, der neuen Oper von Ambroiſe Thomas, zu
ſingen. Der Componiſt wollte ſeine Oper lieber im Pulte zu-
rückbehalten, als die Ophelia irgend einer andern Sängerin
anvertraut ſehen. Von da an datirt der europäiſche Ruf
der Nilsſon. Nach einem glänzenden Gaſtſpiel in London
beſuchte ſie ihre Heimath, wo ſie ihrem Vater die Pach-
tung und das Haus kaufte, in dem ſie geboren war.
Im Jahre 1870 feierte ſie Triumphe in Amerika, 1872
in Rußland. Vor der Abreiſe nach Rußland heirathete
ſie Herrn Auguſt Rouzaud, einen intelligenten, wohl-
habenden Geſchäftsmann in Paris, mit dem ſie in glück-
lichſter Ehe lebt. — „Chriſtine Nilsſon — berichtet
Haaslik weiter — eröffnete ihr Gaſtſpiel im Hofopern-
theater als Ophelia in A. Thomas' „Hamlet“. Gleich
ihr Erſcheinen wirkte einnehmend, wie die glücklichſte
Vorbedeutung. Hohe ebenmäßige Geſtalt, ein edles,
feingeſchnittenes Antlitz, aus dem zwei große hellblaue
Augen bald rührend blicken, bald leidenſchaftlich auf-
leuchten, die Haltung aufrecht, ruhig, alle Bewegungen
harmoniſch. Jetzt öffnet ſie den Mund mit ſeinen perlen-
gleichen Zähnen und fluͤſtert die erſten Töne des Duetts
mit Hamlet. ö
Ihre Stimme, ein hoher Sopran von hellem offenem
Klange und wunderbarer Ausgeglichenheit, beſitzt keine
imponirende Gewalt, nicht einmal die volle erſte Jugend-
friſche, ſchmeichelt ſich aber mit weichen, reinen Flöten-
tönen unwiderſtehlich in Ohr und Herz. Ein leichter
Schleier ruht über den mittleren Tönen, ähnlich wie bei
Jenny Lind, mit welcher die Nilsſon nicht blos die
Landsmannſchaft, ſondern den Grundzug ihres muſika-
liſchen Charakters gemein hat. Wir lieben dieſen zarten,
matten Duft, der meiſtens auf jenen Organen liegt, die
eine empfindungsreiche Innerlichkeit im Geſange auszu-
ſtrömen berufen ſind. Der einfachſte und rührendſte
Ausdruck: — Das iſt der Talisman, durch welchen die
Nilsſon uns immer und überall gefangen nimmt, wo
auch der Componiſt ihr durch keinen Effekt zu Hilfe
kommt. Ihre Action beſchränkt ſich auf das Nothwen-

dige, aber Dieſes iſt mit genialem Inſtinkt erfaßt und

vollſtändig wiedergegeben. In der großen Scene des
vierten Aktes entfeſſelte Chriſtine Nilsſon die ſchönſte Art
von Virtuoſität, die wir in ſo tragiſcher Situation uns
denken können: eine Virtuoſität, die man nicht merkt,
eine Bravour, auf die man vergißt ob der tiefen Em-
pfindung, worein jede Note getaucht iſt. Wer nach
manchen Berichten nur eine große Virtuoſin erwartet
hatte, fand jetzt — eine große Künſtlerin. So viel iſt
uns bekannt, daß wir niemals eine vollkommenere
poetiſche Verkörperung der Ophelia erlebt haben und

kaum wieder erleben werden.“

Die deutſche Geſchäftskriſts.
Ein Troſt für die Gewerbetreibenden Deutſchland
im gegenwärtigen Nothſtand dürfte eine Mahnung ſein
welche in dieſem Betreff der franzöſiſche Nationaſökonom
Laviſſe im neueſten Hefte der Revué des deux
mondes an ſeine Landsleute gerichtet hat. Mit unver-
blendetem Auge, nicht in der Abſicht des geſchäftsmäßigen
Lügners Tiſſot und Anderer ſeines Gelichters, hat er
Deutſchland mehrfach bereiſt und ſagt u. A.: „Es wäre.

ein gefährlicher Irrthum von uns, wenn wir glauben
würden, daß die Kriſis dort andauern müſſe, daß der
Ruin Deutſchlands unausbleiblich ſei. Gewiß, ein Noth-
ſtand herrſchte in Deutſchland, und er iſt noch jetzt ſehr
groß, allein ſchon mindert er ſich von Tag zu Tag, ſchon
ſchöpfen die Unternehmungen, welche nicht lediglich der
Börſenſpeculation entſtammen, wieder neue Kräfte. Im-
mer ſeltener werden die Bankerotte, immer geringer die
Arbeiterentlaſſungen. Die Löhne ſind beſcheidenere ge-
worden und doch nicht ungenügende, wie ehedem, ſo daß
Arbeiter und Induſtrie dabei beſtehen können. Erſcheint
auch der Geldmarkt im Gegenſatz zum Arbeitsmarkt noch
ſtark umdüſtert, ſo iſt doch die ehemalige Tollheit ge-
wichen und nur deren Folgen machen ſich noch bemerkbar.
Wo gibt es ein Land, welches nicht ähnliche Kriſen zu
erdulden gehabt hätte? Deutſchland iſt kein armes Land,
wenigſtens nicht ſo arm, wie es ſich nur zu viele Fran-
zoſen einbilden; es verfügt vielmehr über außerordentliche
Hilfsmittel, und um ſeine Reichthümer zu erfaſſen, beſitzt
es eine ſtets ſich vermehrende Bevölkerung. Dieſelbe iſt
zäh, arbeitſam und geduldig, nur weiß ſie wenig zu
leben; ſie iſt heute überdies durch ſozialiſtiſche Lehren
irregeleitet, und vielleicht iſt der Einfluß dieſer Lehren
groß genug, um noch auf lange Zeit hinaus der deutſchen
Arbeit Feſſeln anzulegen; allein einmal werden jene
utopiſtiſchen Ideen doch vor der Macht der Thatſachen
weichen müſſen.“ Ladiſſe erinnert ſchließlich an das vor-
zügliche Unterrichtsweſen, ſowie an die wiſſenſchaftlichen
Beſtrebungen der Deutſchen, welche, insbeſondere nach
Liebig und Helmholtz, mit großem Erfolge von der Praxis
angewendet und verwerthet worden ſeien. ... „Es be-
ſteht zwiſchen den beiden Völkern, welche die beiden Ufer
des Rheines bewohnen, ein nothwendiger Wettſtreit, wel-
cher niemals ein Ende haben wird. Die wirthſchaftliche
Kriſis, wie ſie eben dargeſtellt worden, iſt in dem fried-
lichen Streit der Arbeiter dieſer beiden Länder nur ein
Zwiſchenſpiel. Wägen wir unſere Kräfte jedenfalls wäh-
rend der Dauer jenes Nothſtandes! Sehr theuer würden
von uns die heutigen Erfolge bezahlt werden, wenn ſie
uns davon abhielten, zu erkennen, daß morgen der Kampf
wieder aufgenommen werden wird, um ſtets fortzudauern!“
Die Anſchauung des franzöſiſchen Schriftſtellers kann
beruhigend und ermunternd auch auf Deutſchland zurück-
wirken, weil hier Jedermann ſehen muß, daß ſie auf ge-
nauer Kenntniß der thatſächlichen⸗Verhältniſſe beruht.

Die heſten Wetterpropheten

ſind nach dem „Bulletin frangais“ die Vögel. Wenn
ſich die Tauben auf das Dach einer Scheune ſetzen und
den Kopf nach Oſten wenden, ſo bedeutet das für den

Morgen, und wenn ſie früh in ihre Wohnung zurück-

kehren und in der Umgegend des Hofes herumpicken, für
den folgenden Tag Regen; kehren ſie ſpät zum Tauben-
ſchlage zurück, fliegen ſie weit in die Felder auf Beute,
ſo zeigt das ſchönes Wetter an. Wenn die Hühner ſich

mehr als gewöhnlich und mit geſträubten Federn im

Staube wälzen, ſo zeigt dies einen Sturm an. Daſſelbe

bedeutet es, wenn die Enten unter Flügelſchlagen in das

Waſſer tauchen und ſich mit munterem Geſchrei auf dem
Pfuhle verfolgen. Wenn die Schwalben auf ihrem Fluge
die Oberfläche der Erde und des Waſſers ſtreifen, ſo iſt
ebenfalls der Sturm nicht mehr weit; verſchwinden ſie,
beſonders gegen Abend, hoch oben in der Almoſphäre, ſo
deutet das trockene Luft an. Wenn die Raben mehr als
gewöhnlich ſchreien und krächzen, ſo iſt dies ein Zeichen

von Regen, ebenſo wenn Käuzchen ſchreien und die Bach-
 
Annotationen