Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1877

DOI Kapitel:
No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0098

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zu übernehmen, und gleich der beſten Krankenwärterin
hatte er mit unermüdlicher Geduld und Sorgfalt über
ihn gewacht und ihm gedient. ö
Es hieß, daß Briganten den Fremden überfallen
hätten und Niemand wunderte ſich über ein ſo alltäg-
liches Ereigniß.
Ima und Tante Guſtchen hatten ſich eine Woche
länger Urlaub erbeten — „es ſei unmöglich, ſich ſo dald
von dem ſchönen Venedig zu trennen.“ Und unmöglich
erſchien es Ima, ſo lange der Arzt kopfſchüttelnd die un-
ruhigen Pulsſchläge des Kranken zählte und ſeinen wil-
den Fieberphantaſieen lauſchte, die nicht im Verhältniß
ſtanden zu einer Wunde, welche — wohl Dank der
Dunkelheit — kein edles Organ getroffen. Aber mit
Gottes Hilfe hatte Oswald's gute Natur den Sieg davon
getragen. ö ů
Heute hatte ihn der menſchenfreundliche deutſche Arzt
zum erſten Male auf den bequemen Armſtuhl gebettet
— eine Ueberraſchung für die beiden Damen, deren Er-
ſcheinen die beiden jungen Männer kaum erwarten zu
können ſchienen, denn bei jedem Geräuſche, jedem nahen-
den Schritte blickten beide freudig nach der Thür.
Stiller traulicher Friede herrſchte in dem dämmrigen
Gemache und Friede lag auf den Zügen der Beiden,
deren Blicke ſich ſo oft in warmer Zunrigung begegneten.
Ernſt's finſteres Antlitz mit den düſteren, kalten
Augen und den feſtgeſchloſſenen Lippen war wie umge-
wandelt. Eine wehmüthige Milde, faſt Demuth lag auf
den edlen, vornehmen Zügen, die Stimme klang weicher,
die dunklen Augen ruhten oft wie mit ſtummer Bitte auf
dem noch immer bleichen Antlitz des Kranken, der dann
mit dankbarer Rührung zu ſeinem unermüdlichen Pfleger
emporſah.
„Sie haben an den Italiener geſchrieben und ihn
auf eine ſpätere Zeit vertröſtet, Marlow?“ fragte Os-
wald jetzt.
Diie Thür hatte ſich unbemerkt geöffnet — Tante
Guſtchen und Ima waren eingetreten und ſtanden nun
mit ſtrahlenden Augen neben den beiden Freunden.
„Ich habe es übernommen, Herr von Kronau“,
ſagte Ima leicht erröthend, ehe ihr Bruder etwas zu er-
widern vermochte, „und hier iſt die Antwort. Ich habe
ſte vor einer Stunde erhalten.“ Sie hielt ihm einen
Brief entgegen. ö ö
„Wollen Sie ihn nicht vorleſen?“ bat er.
Sie ſchüttelte mit dem Kopfe, reichte Auguſte das
Blatt, dieſe las:
ö „Signorina!
Sie haben mich Ihres Vertrauens gewürdigt — es
iſt an keinen Undankbaren verſchwendet. Ich weiß den
Edelmuth, der ſich für einen ſchuldigen Bruder opfert,
zu würdigen. Das Blut, nach dem ich lechzte, iſt ge-
floſſen — das Leben, welches ich haßte, erhalten — Gott
hat gerichte! — Der Dämon in mir iſt gebrochen —
ich entſage meiner ungerechtfertigten Forderung und weiſe
alle Voiſchläge für die Zukunft zurück. Sollte der edle
Deutſche, durch dieſe Verſicherung noch nicht beruhigt,
dennoch den Verſuch machen wollen, ſeinem Worte treu
zu bleiben, ſo ſagen Sie ihm, daß Cavalier Pietro di
Caſtello ſeine Beſitzungen verkauft und jenen Ort auf
immer verlaſſen haͤbe. ö
„Sie aber, Signorina, mögen einem Wahnſinnigen
verzeihen, dem nichts geblieben iſt, als die Kraft, Ihnen
vom Himmel ein verdientes Glück zu erflehen.
ö Pietro di Caſtello.“
Ein minutenlanges Schweigen folgte dieſen einfachen
Worten, welche Alle auf das Tiefſte ergriffen hatten.
Oswald hatte die Augen geſchloſſen und ſchien in
tiefes Sinnen verſunken — endlich blickte er auf und

lange unſerer Kenntniß hat entziehen können.

ein freudiger Hoffnungsſchimmer verklärte ſein Antlitz,
als er zu dem Geſchwiſterpaar hinüber ſah.
„Darf ich,“ ſagte er mit weicher Stimme, „darf ich
mir jetzt den Segen Ihrer Eltern erflehen “
Er ſtreckte ſeine Hände bittend zu den Beiden
hinũber.
Ernſt nahm die Hand ſeiner Schweſter und legte
ſie ſanft in die Oswalds; dann ſagte er mit bewegter
Stimme: —
„Gott hat uns wunderbar geführt! Oswald, ich
bin zu dieſer Zeit arm und klein an Selbſtvertrauen,
aber reich an Liebe geworden. Du wirſt ſie glücklich
machen — — ſei auch mir ein Bruder. Ich habe ja
erſt jetzt gelernt, daß das Herz kein thörichtes Ding —
daß es der ſicherſte Leiter, das beſte Gut der Erde iſt.“
„O, Ima, Oswald“ — er legte beide Arme um
die Glücklichen, die gerührt zu dem tief erſchütterten
Bruder empor ſahen — „Gott hat milder gerichtet, als
ich — helft mir, dieſe Stunde nie vergeſſen.“
„Ja, Gott hat Alles wohl bedacht
Und Alles, Alles recht gemacht —
Gebt unſerm Gott die Ehre!“
flüſterte Auguſte aus voller Seele.

Die Erſorſchung Centralafrika's und ihre
ö chwierigkeiten.

Berlin, im Februar.

Der berühmte Afrikareiſende Herr Nachtigal hielt
kürzlich im Saale der Singacademie einen Vortrag über
die Schwierigkeiten, welche ſich der Erforſchung Central-
afrika's entgegenſtellen. Es war faſt durchweg eigene
Anſchauung und Erfahrung, was der Vortragende in
einem lebensvollen und feſſelnden Bilde vor den Zu-
hörern entrollte. Das Publikum nahm den Vortrag mit
dem lebhafteſten Beifall auf. Wir verſuchen im Nach-
folgenden die intereſſante Schilderung in ihren Grund-
zügen wiederzugeben. ö
Unſere mangelnde Kenntniß der Polargegenden er-
klärt ſich leicht aus der todten Oede jener Regionen,
welche ſie jeder Cultur unzugänglich macht. Wunderbar
aber iſt es, daß ſich der afrikaniſche Continent mit ſeinem
fruchtbaren Boden, ſeiner zum Theil nicht geringen Cul-
tur, ſeinen reichen Quellen für Handel und Induſtrie ſo
Die alten
Egypter und Römer drangen nicht über die große, den
Norden Afrika's durchziehende Wüſte vor, und erſt die
Araber, getrieben durch ihre Leidenſchaft für Reiſen und
durch ihre kaufmänniſche Speculationsluſt, drangen weiter
in die unbekannten Landſtriche Afrika's vor. Die Leich-
tigkeit, mit welcher der Araber ſeine früheren Familien-
bande löſt, um eine neue Familie zu gründen, ſein fatali-
ſtiſcher Glaube, welcher ihn allen Gefahren trotzen und
alle Mühſale geduldig ertragen läßt, erleichterte ihm
ſeine Aufgabe, und die Kenntniß des afrikaniſchen Con-
tinents, welche die Araber beſitzen, erſtreckt ſich weiter,
als die Reiſenden glauben mögen. Das äquatoriale
Gebiet indeſſen, der innerſte Kern des Erdtheils, iſt ihnen
ebenfalls verſchloſſen. Auch die Portugieſen, welche in
dem Streben, ihre Macht zu erweitern und Schätze zu
gewinnen, im Weſten, im Oſten und im Süden Afrika's
wichtige und umfangreiche Entdeckungen machten, haben
unſere Kenntniß hinſichtlich Centralafrika's nicht erweitert.
Weder Araber noch Portugieſen waren ſich bei ihren
Entdeckungen ihrer Aufgabe bewußt, und nur durch
 
Annotationen