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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 27 - No. 34 (4. April - 28. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0143

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Welch karge Gaben! — Sie liebte ihn! Sie liebte

ihn und er zog fort in die todbringende Schlacht, in den

gerechten Krieg, an den zu denken ihr Herz höher ſchlagen

machte, er zog fort — und ihre ganze Seele zog mit
ihm; aber ſie ſelbſt blieb hier unter den unnatürlichſten
Bedingungen, fremd in der Fremde. Doch wie konnte

ſie wieder nur an ſich denken in dieſem Augenblick, in

welchem vielleicht Tauſende ihrer Mitbürger in der
Heimath Glück und Leben füör eine erhabene Sache opfer-
ten? Wie egoiſtiſch machte ſie dieſe Liebe!
nete ihre Thränen und ging hinunter in den Garten, der
in dieſer Stunde von Niemand ſonſt beſucht wurde. Ab-
ſichtslos ſchlug ſie den zunächſt liegenden Weg ein.
Er führte ſie nach manchen Windungen auf eine
Bank, die, unter Gebüſch verborgen, hart am Waſſer
ſtand, mit dem Rücken an Miß Alice's Pavillon lehnte
und nur an der einen Seite, von der ſie gekommen, zu-
gänglich war. Ein ſtill abgeſchloſſenes Plätzchen, mit
dem Blick auf die weite Waſſerfläche und den freien

Horizont.
(Fortſetzung folgt.)

Ein Tiebesbrief an Robespierre.

In einem Pariſer Blatt finden wir ein ſehr intereſſantes

Schriftſtück veröffentlicht, nämlich einen Liebesbrief, den

im Jahre 1793 eine junge Frau aus Nantes an
Robespierre geſhrirorn hat. Dieſer Brief lautet wört-
lich: „Mein kheurer Robespierre! Seit Beginn der
Revolution liebe ich Dich, aber ich war gebunden und
wußte meine Leidenſchaft zu unterdrücken. Heute aber
bin ich frei, indem ich meinen Gatten im Vendéer Kriege
verloren habe und Angeſichts des höchſten Weſens mache
ich Dir jetzt hier meine Erklärung. Ich hoffe, theurer
Robespierre, daß Du meinem Geſtändniß mit Zartgefühl
begegneſt; einer Frau koſtet ein ſolches Bekenntniß viel,
aber das Papier iſt geduldig und man erröthet von fern
weniger, denn von Angeſicht zu Angeſicht. Du biſt meine
höchſte Gottheit und ich kenne auf Erden keine Andere
außer Dir. Ich blicke zu Dir empor wie zu einem
Schutzengel und will nur leben unter Deinen Geſetzen;
denn dieſe ſind ſo mild, daß ich, vorausgeſetzt, daß Du
ebenſo frei biſt wie ich, feierlich ſchwöre, mich mit Dir
für das Leben zu vereinigen. Als Mitgift biete ich Dir
die wahren Eigenſchaften einer guten Republikanerin,
40,000 Franes Rente und mich ſelbſt, eine junge Wittwe
von 22 Jahren. Wenn Dir mein Anerbieten gefällt,
ſo anrworte mir, ich flehe Dich darum an! Meine Adreſſe
iſt: „Wittwe Jakin, Nantes, poste restante“. Wenn
ich Dich bitte, mir poste restante zu ſchreiden, ſo ge-

ſchieht es, weil ich fürchte, daß meine Mutter mir wegen

meiner Unbeſonnenheit zürnen möchte; wenn ich aber ſo
glücklich vin, eine günſtige Antwort von Dir zu erhalten,
ſo werde ich ſie ihr zeigen. Bis dahin aber — tiefſtes
Schweigen! Lebe wohl, Vielgeliebter! Gedenke Teiner
kleinen Freundin in Nantes, wie auch dieſer unglücklichen
Stadt, welche ſchwer unter der Geißel des Krieges leidet.
Da Dein Verdienſt Dir großen Einfluß in der Aſſemblée
verſchafft, ſo ſuche doch uns aus unſerem Elend zu er-
löſen. Ich ſpreche nicht für mich, ſondern für alle vraven
Sansculotten und guten Bürger. Antworte mir, bitte
wenn anders ich Dir nicht läſtig falle mit meinen Briefen.
Noch einmal, lebe wohl! Denke an die Unglückliche, die
nur für Dich lebt! Gebrauche nicht das Siegel des
Conventes, ſondern ſchreibe mir wie ein einfacher Privat-
mann“. — Es wäre gewiß intereſſant zu erfahren, ob
Madame Jakin auf dieſen Brief eine Antwort erhalten

Sie trock

oder ob Robespierre ſie grauſam hat ſchmachten laſſen.
Das letztere iſt wahrſcheinlicher, denn in dem Leben des
Revolutionsmannes, das von ſo vielen Hiftorikern durch-
forſcht worden, finden wir keine Spur der verliebten
Wittwe aus Nantes.

*Sprachen im Türkenreich.

Ein Freund theilt dem Einſender dieſer Zeilen intereſſante
Probeſtücke von ſämmtlichen Sprachen mit, die im weiten
türkiſchen Reiche geſchrieben und gedruckt werden. Wir ſtellen
die merkwürdige Sammlung den Leſern Ihres Blattes zur
Verfügung, wobei wir bemerken, daß die Muſterſtücke einem
größeren Werke entlehnt ſind, welches die Londoner Bibel-
geſellſchaft im Hinblick auf die Weltausſtellung und mit Hülfe
ihrer in allen Welttheilen thätigen Zweigvereine veröffentlicht
hat. Das Büchlein iſt auch in deutſcher Ausgabe mit

134 Sprachmuſtern und 44 Schriftarten zu Berlin

(Verlag von Georg Palmer⸗Davis, Wilhelmſtraße 33)
zu 28 Pf. portofrei zu kaufen. Welche Zerriſſenheit
muß in dem Conglomerat von türkiſchen Ländern herrſchen,
in welchen ſo grundverſchiedene Sprachen und National-
ſchriften vorhanden ſind!
In Bezug auf die brennenden Zeitfragen bemerken
wir, daß die rumäniſche Sprache die ächte Tochter der
lateiniſchen, der rumäniſche Stamm das Brudervolk der
Italiener iſt. Klingt im beigefügten Probeſtücke das
rumäniſche Wort Dumne deu oder das Wort vieta
eterna nicht wie das lateiniſche Domine deus und wie
das italieniſche vita eterna? Mit freudigem Erfraunen
bemerken wir, daß die Neugriechen noch ganz, buch-
ſtäblich ganz, dieſelbe Sprache reden, in welcher die
klaſſiſchen Meiſterwerke des Alterthums geſchrieben wur-
den. Die geiſtige Ueberlegenheit der Griechen iſt ſo groß,
daß man für ihre roheren Nachbarn, die nur bei den
Griechen leſen lernen können, die Bibel in türkiſcher und
in albaneſiſcher Sprache, aber mit griechiſchen Lettern
drucken mußte. Auch das ſerbiſche und das bul-
gariſche Alphabet ſind weit ausgebildeter, als die un-
förmlichen türkiſchen Schriftzeichen. Von einer Stamm-
verwandtſchaft zwiſchen Un garn und Türken, die
zur Hunnenzeit zurückreichen ſoll, konnten wir bei der
Vergleichung der magyariſchen Bibel mit der türkiſchen
auch nicht die leiſeſte Spur entdecken.

Verſchiedenes.

— Ein Schulfreund macht uns auf die klein ge-
druckten Bücher aufmerkſam, deren man ſich in vielen
Schulen bedient. „Ich bin, berichtet er, im Beſitz von
zwei Bildern, die von einem Rabbiner Hillel Bravermann
gezeichnet oder vielmehr geſchrieben worden ſind. Das
Eine ſtellt den König David mit der Harfe, das Andere
den König Salomo mit der Geſetzesrolle dar. Die
Linien der Kronen, die Geſichtszüge, die Barthaare, die
Falten der Mäntel, die Saiten der Harfen, die Rahmen
der Bilder beſtehen aus lauter microſcopiſchen Buchſtaben,
ſo daß das erſte Bild das ganze fünfte Buch der Pſal-
men, das zweite das Hohelied und den Prediger Salo-
mos enthält. Die beiden Kunſtwerke koſteten mich zu-
ſammen 4 Mark. Ich ſah auch eine Thora (Geſetzbuch
Moſes), welche auf einer langen und fingersbreiten
Papierrolle geſchrieben war. Die Rolle war in einem
ſilbernen Cylinder eingeſchloſſen, den man bequem in die
 
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