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Heidelberger Familienblätter — 1879

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 34 (2. April - 30. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43709#0124

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wirklich behutſam in die Taſche der Dame griff, ein
Portemonnaie daraus hervorholte, und dann mit einer
raſchen Wendung ſich in das Menſchengewühl begab und
dem Bierbüffet zulief. Schnell waren aber die Drei hinter
ihm her und der Ruf: „Haltet den Taſchendieb!“ alar-
mirte in wenigen Minuten den ganzen „Bock“; es währte
auch nicht lange, ſo hatte man den eleganten Dieb er-
wiſcht; zehn Hände erfaßten ihn beim Kragen, bei den
Armen und an den Rockſchößen, ſo daß er ſich im wahren
Sinne des Wortes nicht rücken oder rühen konnte. „Herr,

wo haben Sie das Portemonnaie, welches Sie der Dame

aus der Taſche ihres Sammetpaletots entwendet haben?“
ſchrie man ihn von allen Seiten an. Der feine Herr
war wie vom Donner gerührt, er war ſo erſchrocken, daß
er im Moment keine Antwort geben konnte. Eine Stimme
in dem Knäuel ließ ſich vernehmen: „Seht doch, der
feine Herr hat eine Brillantaadel im Vorhemdchen, und
Edelſteine blitzen an ſeinen Fingern; der Mann iſt ge-
wiß kein Taſchendieb!“ Zwanzig Stimmen antworteten
dem Zweifelſüchtigen aber ſofort: „Sie ſind wohl der
Compagnon von dieſem langfingrigen Herrn? Viſttirt
ihn! Viſitirt ihn!“ Der Ergriffene war blaß geworden
wie eine Leiche: „Hier, meine Herren“, ſagte er, „hier
iſi das Portemonnaie, welches ich der Dame aus der
Taſche genommen habe, aber“ — Weiter kam er nicht;
die Menge ſchob und ſtieß ihn zu dem Tiſch, an welchem
die noch ahnungsloſe Beſtohlene ſaß. „Haben Sie Ihr
Potemonnaie, Madame?“ rief man ihr von allen Seiten
zu. Die Gefragte griff raſch in ihre Taſchen und rief
dann mit allen Zeichen des Schreckens: „Nein, man hat
es mir geſtohlen!“ Jetzt hatte ſich der Herr mit den
Brillantringen ſo weit erholt, daß er ihr laut zurufen
konnte: „Helene, befreie mich doch!“ Hier ſchrie die Dame
auf: „Mein Mann!“ Und in den Armen lagen ſich
beide und lachten vor Luſt und Freude. Unter dem
ungeheuerſten Jubel löſte ſich der Menſchenknäul auf.
Die Erklärung dieſes Vorganges läßt ſich in wenig Worten
geben. Die junge Frau des Fabrikanten N. war neu-
gierig den Bock kennen zu lernen; ihr Mann und mehrere
Bekannte begleiteten ſie dort hin, wo die kleine Geſellſchaft
an dem beſchriebenen Tiſche Platz nahm. Dem Fabrikanten
ſchmeckte nun das Bier ſo gut, daß ſeine Frau ihn in
beſorgter Stimmung bat, mit Trinken aufzuhören. Als
der Mann ihr lachend erwiderte: „Ich bin ja erſt an
der vierten Kanne,“ da nahm ihm ſeine Fran mit raſchem
Griff das Portemonnaie aus der Hand, ſteckte es in die
offene Taſche und ſagte: „So, nun ſieh zu, wie Du ohne
Geld Bier bekonmen wirſt.“ Der Mann entfernte ſich,
ſcheinbar ärgerlich, kam dann aber leiſe zurück und holte
mit großer Fingergewandtheit das Portemonnaie aus der
Taſche ſeiner Frau, wobei er von den drei Herren am
Nebentiſche beobachtet und als Taſchendieb feſtgenommen
wurde.

Verſchiedenes.

— (Folgen des Depeſchenſtils.) Die Wirth-
ſchafterin einer Berliner Familie bittet die Herrſchaft um
Urlaub, weil ſie ihren Vater beſuchen will. Man ſagt
ihr denſelben bereitwilligſt zu und ſie telegraphirt nach
Hauſe, daß ſie mit dem Zuge um 3 Uhr nach ihrer
Heimath — einem kleinen Städtchen an der Stettiner
Bahn — kommen werde. Als ſie ankommt, ſieht ſie ihren
Vater, ihre Schweſtern und die Verwandten mit ſehr be-
trübten, verweinten Geſichtern am Bahnhofe. Sie hatten
eine Tragbahre mit Betten bei ſich und erwarteten ſehr

beſorgt die Ankommennde. Als ſie endlich dieſelbe wohl
und geſund wiederfinden, ſind ſie überaus erſtaunt, daß

dieſelbe mit geraden Gliedern ankomm.. Endlich
klärt ſich das Mißverſtändniß auf. Die Depeſche war
in folgender Weiſe angekommen: „Komme um 3 an“
und darunter hatte das Telegraphenamt den üblichen Ver-
merk gemacht: „Verſtümmelung wird vermuthet.“ Mit
Entſetzen hatten die Verwandten vernommen, ſie würden
ihre Angehörige mit zermalmten Gliedern wiederſehen,
und ſie hatten für eine Tragbahre mit Betten und einen
Arzt geſorgt.

— Laut ſtatiſtiſcher Aufſtellung befinden ſich in New-
York 489 Kirchen, mit einer Sitz⸗Capacität für 375 000
Perſonen, darunter 396 proteſtantiſche mit einer Sitz-
Capacität für 275 000 Perſonen.

— (Im mer praktiſch.) Der Lehrer der Natur-
kunde ſetzt in einer höheren Klaſſe der Töchterſchule die
gefährlichen Wirkungen der Kohlenſäure auseinander und
will an einem praktiſchen Beiſpiele die allenfalls anzu-
wendenden Vorſichtsmaßregeln erläutern. Lehrer: Nun,
Wilhelmine, wenn Du zum Beiſpiel eine junge Hausfrau
wäreſt und in Deinem Keller eine gefährliche Entwick-
lung dieſes Gaſes befürchten müßteſt, wie würdeſt Du
Dich auf eine vorſichtige und allem Schaden vorbeugende
Weiſe überzeugen, ob Gefahr da ſei? — Wilhelmine (nach
kurzem Beſinnen): Ich würde mein Dienſtmädchen hinunter
ſchicken. (Schalk.) ö

— (Am erſten Oſterfeiertage.) „Wo kommen
Sie denn her, gnädige Frau? Sie ſehen recht angegriffen
aus?“ — „Ja, Herr Baron, ich habe heut den ganzen Vor-
mittag mit Frau v. Gack im Garten Eier gelegt.“ (Schalk.)

— (Bedenkliche Antwort.) Lieutenant: Warſt
Du bei Herrn Goldheim und haſt Du ihm geſagt, daß
ich Geld brauche und daß er mir noch heute etwas be-
ſchaffen muß? — Burſche: Zu Befehl, Herr Lieutenant,
er hat geſagt, in einer ſchwachen Stunde würde e
hier ſein.“ (Schalk.)

Vom Büchertiſch.

— Der 13. Band der ihrer Vollendung entgegengehenden
zwölften Auflage des großen Brockhaus'ſchen „Conver-
ſations⸗Lexikon“ liegt mit dem 156. Hefte abgeſchloſſen vor.
Er umfaßt die Artikel Salz bis Stabilität, unter denen viele
der größern werthvolle monographiſche Abhandlungen bilden.
Dahin gehören: Sanct⸗Gotthard (von Waeber Lindt), Sauer-
ſtoff (von M. Willkomm, Schulen (von K. Pilz), Schutzzollſyſtem
von V. Böhmert), Socialdemokratie und Socialismus (von
demſelben), Sehen (von A. Graefe), Spiritismus (von W. Win-
delband), Staat (von Bluntſchli,. Wie in den naturwiſſen-
ſchaftlichen und techniſchen, finden ſich auch in den geſchichtlichen
und geographiſchen Artikeln bereits alle neuern Ergebniſſe der
Forſchung verwerthet. So iſt, um nur ein Beiſpiel anzuführen,
der Siebenjährige Krieg auf Grundlage der Berichtigungen um-
gearbeitet, die Ranke's archivaliſche Studien unlängſt zu Tage
gefördert haben. Desgleichen ward überall die einſchlägige Lite-
ratur mit bibliographiſcher Genauigkeit bis zur Gegenwart nach-
getragen, in welchem Punkte ſich das Werk von jeher auszeich-
nete. Von den Biographien dieſes Bandes erwähnen wir die
des Generals Scharnhorſt, der Philoſophen Schelling, Schopen-
hauer, Spinoza, der Schriftſteller und Dichter Gregor Samarow
(Meding), George Sand, Schiller, Walter Scott, Shakſpeare
(von Delius und Gildemeiſter) u. a. Hoffentlich werden die
letzten zwei Bände eben ſo raſch folgen, wie der 13. Band ſeinem
Vorgänger gefolgt iſt. Das erſte Heft des 14. Bandes (Heft 157)
liegt bereits vor. ö

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling u. Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich Ad. Emmerling.
 
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