196 Die Bewaffnung;
Eine besondere Betrachtung erfordern die Beinschienen des Achill,
welche nach zwei Angaben der Ilias’) aus καΰβίτερος bestanden. Da
dieses Wort in der späteren griechischen Sprache das Zinn bezeich-
net, so ist die nächstliegende Annahme die, dafs die epischen Dichter
dasselbe in der gleichen Bedeutung gebrauchten. Jedoch mufs die
Verarbeitung des Zinnes zu Beinschienen notwendig befremden; denn
dieses Metall ist wegen seiner Weichheit zur Herstellung von Rüstungs-
stücken ganz ungeeignet. Dazu kommt noch, dafs die Dichtung2)
die Beinschiene der Peliden, als sie von dem Speere des Agenor ge-
troffen wird, furchtbar erklingen läfst, während bekanntlich das Zinn,
wenn es angeschlagen wird, nur einen dumpfen Ton von sich giebt.
Ähnliche Schwierigkeiten stellen sich beinah überall heraus, wo das
Epos von Arbeiten aus καββίτερος berichtet.3) Wenn einige Gelehrte4)
deshalb annehmen, dafs dieses Wort nicht ausschliefslich das Zinn,
sondern auch das Werkblei bezeichnet habe, so ist hiermit nicht viel
geholfen, da das letztere Metall noch weicher und demnach für den
in Rede stehenden Zweck noch ungeeigneter ist als das erstere.6)
Vielleicht sind die aus καβΰίτεροξ gearbeiteten Gegenstände, von
denen das Epos berichtet, zum Teil Gebilde der dichterischen Phan-
tasie. Wir dürfen annehmen, dafs während des homerischen Zeit-
alters reines Zinn aus seinen fern gelegenen Fundstätten nur selten
und in geringen Quantitäten nach Kleinasien und Griechenland ge-
langte.8) Es scheint demnach möglich, dafs die Dichter des seltenen
Metalles nur gedachten, um ihrer Schilderung den Reiz des Wunder-
baren zu verleihen und ohne sich von den Eigenschaften des Zinnes
gehende Anin. 1. Vofs übersetzt nicht unpassend „mit silberner Knöchelbe-
deckung“. 1) II. XVIII 613, XXI 592. 2) II. XXI 592: αμφ'ι δέ μιν κνημ'ις
νεότευκτου κασσττέροιο | σμερδαλέον κονάβησε. 3) Es gilt dies für II. XI 34,
wo dem Schilde des Agamemnon zwanzig Omphaloi aus κασσίτερος zugeschrieben
werden, wie für II. XXIII 503 (oben Seite 90, Anm. 8), wo es heifst, dafs der
Wagen des Diomedes mit Gold und κασσίτερος beschlagen ist. Es leuchtet
ein, dafs sich das weiche Zinn weder zur Herstellung von Omphaloi, welche
die Widerstandskraft des Schildes vermehren sollten, noch zum Beschlage eines
Wagenstuhles eignet (vgl. oben Seite 103). Ebenso auffällig ist die Angabe,
dafs auf dem Schilde des Achill der Zaun des Weinberges aus κασσίτερος, die
Rinder aus dem gleichen Stoffe und aus Gold gearbeitet waren (11. XVII1 565,
574). Die Verwendung des Zinnes würde neben dem in derselben Beschreibung
erwähnten Silber (Vers 577) vollständig wirkungslos gewesen sein. Endlich
finden zinnerne Omphaloi, Wagenbeschläge und aus diesem Metalle ausgeführte
figürliche Motive in dem monumentalen Materiale keine Analogie. Uber die
Schichten aus Bronze, κασσίτερος und Gold, aus denen der Schild des Achill
zusammengesetzt war (11. XX 269—272), ist der XXIII. Abschnitt zu vergleichen.
4) So Beckmann, Geschichte der Erfindungen IV p. 346 ff. und Iiiedenauer,
Handwerk und Handwerker in den homerischen Zeiten p. 112 — 113, p. 206—207.
5) Vgl. Lenz, Mineralogie der Griechen und Römer p. 6 Anm. 13. 6) Vgl.
von Baer, historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaften beantwortet
p. 329 ff.
Eine besondere Betrachtung erfordern die Beinschienen des Achill,
welche nach zwei Angaben der Ilias’) aus καΰβίτερος bestanden. Da
dieses Wort in der späteren griechischen Sprache das Zinn bezeich-
net, so ist die nächstliegende Annahme die, dafs die epischen Dichter
dasselbe in der gleichen Bedeutung gebrauchten. Jedoch mufs die
Verarbeitung des Zinnes zu Beinschienen notwendig befremden; denn
dieses Metall ist wegen seiner Weichheit zur Herstellung von Rüstungs-
stücken ganz ungeeignet. Dazu kommt noch, dafs die Dichtung2)
die Beinschiene der Peliden, als sie von dem Speere des Agenor ge-
troffen wird, furchtbar erklingen läfst, während bekanntlich das Zinn,
wenn es angeschlagen wird, nur einen dumpfen Ton von sich giebt.
Ähnliche Schwierigkeiten stellen sich beinah überall heraus, wo das
Epos von Arbeiten aus καββίτερος berichtet.3) Wenn einige Gelehrte4)
deshalb annehmen, dafs dieses Wort nicht ausschliefslich das Zinn,
sondern auch das Werkblei bezeichnet habe, so ist hiermit nicht viel
geholfen, da das letztere Metall noch weicher und demnach für den
in Rede stehenden Zweck noch ungeeigneter ist als das erstere.6)
Vielleicht sind die aus καβΰίτεροξ gearbeiteten Gegenstände, von
denen das Epos berichtet, zum Teil Gebilde der dichterischen Phan-
tasie. Wir dürfen annehmen, dafs während des homerischen Zeit-
alters reines Zinn aus seinen fern gelegenen Fundstätten nur selten
und in geringen Quantitäten nach Kleinasien und Griechenland ge-
langte.8) Es scheint demnach möglich, dafs die Dichter des seltenen
Metalles nur gedachten, um ihrer Schilderung den Reiz des Wunder-
baren zu verleihen und ohne sich von den Eigenschaften des Zinnes
gehende Anin. 1. Vofs übersetzt nicht unpassend „mit silberner Knöchelbe-
deckung“. 1) II. XVIII 613, XXI 592. 2) II. XXI 592: αμφ'ι δέ μιν κνημ'ις
νεότευκτου κασσττέροιο | σμερδαλέον κονάβησε. 3) Es gilt dies für II. XI 34,
wo dem Schilde des Agamemnon zwanzig Omphaloi aus κασσίτερος zugeschrieben
werden, wie für II. XXIII 503 (oben Seite 90, Anm. 8), wo es heifst, dafs der
Wagen des Diomedes mit Gold und κασσίτερος beschlagen ist. Es leuchtet
ein, dafs sich das weiche Zinn weder zur Herstellung von Omphaloi, welche
die Widerstandskraft des Schildes vermehren sollten, noch zum Beschlage eines
Wagenstuhles eignet (vgl. oben Seite 103). Ebenso auffällig ist die Angabe,
dafs auf dem Schilde des Achill der Zaun des Weinberges aus κασσίτερος, die
Rinder aus dem gleichen Stoffe und aus Gold gearbeitet waren (11. XVII1 565,
574). Die Verwendung des Zinnes würde neben dem in derselben Beschreibung
erwähnten Silber (Vers 577) vollständig wirkungslos gewesen sein. Endlich
finden zinnerne Omphaloi, Wagenbeschläge und aus diesem Metalle ausgeführte
figürliche Motive in dem monumentalen Materiale keine Analogie. Uber die
Schichten aus Bronze, κασσίτερος und Gold, aus denen der Schild des Achill
zusammengesetzt war (11. XX 269—272), ist der XXIII. Abschnitt zu vergleichen.
4) So Beckmann, Geschichte der Erfindungen IV p. 346 ff. und Iiiedenauer,
Handwerk und Handwerker in den homerischen Zeiten p. 112 — 113, p. 206—207.
5) Vgl. Lenz, Mineralogie der Griechen und Römer p. 6 Anm. 13. 6) Vgl.
von Baer, historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaften beantwortet
p. 329 ff.