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Hermann, Hermann Julius; Österreichische Nationalbibliothek; Schlosser, Julius von [Hrsg.]; Wickhoff, Franz [Hrsg.]; Österreichisches Institut für Geschichtsforschung [Hrsg.]
Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich (8. Band = illuminierte Handschriften Nationalbibliothek Wien 1): Die frühmittelalterlichen Handschriften des Abendlandes — Leipzig: Verlag von Karl W. Hiersemann, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.69972#0018
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Kopien nach spätantiken Handschriften.

Die ursprüngliche Anlage des Kalendariums des
Chronographen von 354 — einer der ältesten illuminierten
Handschriften — haben erst die Untersuchungen Theo-
dor Mommsens a. u. a. O. klargestellt. Mommsen unter-
scheidet zwei Gruppen von Handschriften. Zur ersten
Gruppe gehört ein Fragment des IX. Jahrhunderts in
der Kantonalbibliothek zu Bern (Cod. Nr. 108); auf diese
oder auf eine dieser ähnliche Handschrift geht die am
Anfang des XVI. Jahrhunderts entstandene Kopie
der Wiener Nationalbibliothek (Cod. Nr. 3416) zurück,
deren Bedeutung vor allem
darin liegt, daß sie die ein-
zige Handschrift ist, in der
alle 12 Monatsbilder er-
halten sind. Strzygowski
a. u. a. O. hat diesen Hand
Schriften noch eine Hand-
schrift der Stiftsbibliothek
zu St. Gallen (Cod. Nr. 878,
IX—XI. Jahrhundert) an-
gereiht, die jedoch keine
Zeichnungen enthält. Die
zweite Gruppe geht auf
eine Handschrift des IX.
Jahrhunderts zurück, die
seit der ersten Hälfte des
XVII. Jahrhunderts ver-
schollen ist. Eine Kopie
des XVI.—XVII. Jahrhun-
derts besitzt die Biblio-
theque royale zu Brüssel
(Cod. 7524—55), eine zweite
Kopie, die der berühmte
französische Archäologe de
Peiresc anfertigen ließ und
1620 an Girolamo Aleandro
(gest. 9. März 1629) nach
Rom schickte, kam aus der
barberinischen Bibliothek
als Cod. Barberini XXXI, 39
in die Vaticana, die in Cod.
Vat. lat. 9135 zugehörige
Fragmente besitzt.
Strzygowski a. a. O. hat
den Nachweis erbracht, daß das antike Original im
Jahre 354 entstanden ist, von dem Kalligraphen des
Papstes Damasus, Furius Dionysius Filocalus, geschrieben
und einem gewissen Valentinus, dessen Persönlichkeit
noch nicht gesichert ist, gewidmet wurde.
Nur die Wiener Handschrift enthält eine voll-
ständige Serie der Monatsbilder, hingegen fehlen in
ihr die übrigen Zeichnungen des Kalendariums und zwar
die vier Stadtpersonifikationen, die Victoria, die Natales
caesarum, die Planetenbilder und die Fürstenbilder.
Das Titelblatt (f. l) ist — wie Strzygowski nachge-

wiesen hat — erst von einer Hand des XVII. Jahr-
hunderts nach einem Stiche des Bucherius von 1633
nach dem Brüsseler Codex nachgetragen und zwar
vor 1671, da es in dem in diesem Jahre erschienenen
IV. Bande der Commentarii des Lambeccius in einem
Stich von Tobias Stadler bereits abgebildet ist.
Die Monatsbilder der Wiener Handschrift sind mit
der Feder in schwarzgrauer Tinte gezeichnet und in
den Schatten grau angetuscht. In den beiden ersten
Bildern (Januar und Februar) sind ferner die Gesichter
und Hände der Figuren so-
wie Einzelheiten der Attri-
bute, wie die Flammen auf
dem Kandelaber im Januar-
bilde f. 2' oder die drei
Tiere (Gans, Storch und
Fisch) im Februarbilde f. 3 '
in hellem Rot laviert, eben-
so die Haare der weiblichen
Figur des Februarbildes
rötlich-braun bemalt. Ge-
genüber der vatikanischen
Handschrift (Cod. Barberini
XXXI, 39) ist vor allem
hervorzuheben, daß in der
Wiener Handschrift die Um-
rahmungen der Monatsbil-
der fehlen.
Der Stil der Zeich-
nungen verrät die Hand
eines gewandten Künstlers
vom Anfänge des XVI. Jahr-
hunderts, der zweifellos dem
Nürnberger Kunstkreise Al-
brecht Dürers nahesteht.
Namentlich die beiden ers-
ten wesentlich sorgfältiger
ausgeführten Monatsbilder
lassen deutlich erkennen,
daß ihr Zeichner sich unter
dem Einflüsse Dürers ge-
bildet hat. In der Ausdrucks-
fähigkeit der Linienführung
steht er allerdings weit
hinter Dürer oder dessen engerem Kreis zurück. Auf
Nürnberg weisen auch die spätgotischen Formen der
dargestellten kunstgewerblichen Gegenstände wie Kande-
laber, Körbe u. drgl., an denen namentlich die Ver-
wendung von Schnecken als Füße (z. B. f. 3') Beach-
tung verdient, wie sie auch Peter Vischer d. A. an
seinem Sebaldusgrab anbrachte.
Die völlige stilistische Umwandlung der karolin-
gischen Vorlage macht es selbstverständlich, daß die
Wiener Handschrift zwar eine Vorstellung von dem
Inhalt und von der Komposition der Monatsbilder des


Fig. 1. Titelblatt zum Kalender des Chronographen vom Jahre 354.
Nr. 1. Cod. 3416, f. 1.
 
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