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Hermann, Hermann Julius; Österreichische Nationalbibliothek; Schlosser, Julius von [Editor]; Wickhoff, Franz [Editor]; Österreichisches Institut für Geschichtsforschung [Editor]
Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich (8. Band = illuminierte Handschriften Nationalbibliothek Wien 1): Die frühmittelalterlichen Handschriften des Abendlandes — Leipzig: Verlag von Karl W. Hiersemann, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.69972#0068
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Altchristliche Handschrift.

rechtigt zu dem Schlüsse, daß wir es hier mit ver-
einzelten Beispielen einer ausgebreiteteren Richtung zu
tun haben.“ Als das früheste bekannte abendländische
Beispiel einer ausschließlich ornamental ausgestatteten
Handschrift gehört dieser Kodex zu den wichtigsten
Denkmälern der altchristlichen Miniaturmalerei.
f. 1—6’: Eusebius, Canones Harmonie! evangeliorum.
f. i: Zierblatt. [Tafel VII. ]
In der Mitte ein oben verdickter, von gelben
Randstreifen flankierter Kranz aus roten und dunkel-
blaugrauen Blättern; in der Mitte oben ein Medaillon
mit einer Rosette aus vier roten und vier graublauen
Blättern; rechts und links Medaillons mit roten vier-
blättrigen Rosetten. Im Innern des Kranzes ein gelbes
Kreuz, das auf einer dreieckigen Schleife eines gelb,
rot und blaugrau bemalten Bandes steht, das den
Blattkranz unten in der Mitte umschlingt und sich da-
runter in einen vertikalen Streifen fortsetzt, der sich in
zwei horizontale, wellenförmig gewundene, in pfeilspitz-
förmige, stilisierte Blätter endende Bänder teilt. Zu
beiden Seiten des Mittelstreifens sitzen auf den ersten
Windungen der Horizontalbänder zwei einander zu-
gewendete Pfauen, während die beiden äußeren Win-
dungen Zweige mit je drei roten stilisierten Blüten
tragen. Ebensolche Zweige sind oben rechts und links
zur Seite des Blattkranzes angebracht. Von dem rechten
ist jedoch nur ein Bruchstück erhalten, da in der rechten
oberen Ecke des Blattes ein zirka 3x/2 cm breites, 9 cm
langes Stück des Pergamentes herausgeschnitten ist.
Die Farben dieser Seite sind vielfach abgerieben.
Wickhoff a. a. 0„ S. 209 f. hat darauf hingewiesen,
daß die Elemente dieser Komposition bereits in der
Antike und zwar als Schmuck der Aren gebräuchlich
waren. An Stelle der heidnischen Symbole setzten die
christlichen Künstler natürlich christliche. Das läßt sich
an Münzen, namentlich aber an altchristlichen Sarko-
phagen feststellen, auf denen sowohl am Deckel als
auch an den Schmalseiten wiederholt der Kranz mit
den Bandschleifen vorkommt, in dessen Mitte das Kreuz
oder die Crux monogrammatica erscheint, während da-
runter Pfauen oder Tauben dargestellt sind. Solche
Darstellungen finden sich auf altchristlichen Denkmälern
verschiedenster Provenienz, doch hat Beer a. a. O„ S. 99
mit Recht auf die enge Verwandtschaft der Zierblätter
dieser Handschrift mit Darstellungen auf ravennatischen
Sarkophagen hingewiesen.1) So stimmt die Dekoration

dieses Zierblattes in ihrer Komposition vollkommen
mit dem Deckelschmuck eines Lämmersarkophags in
S. Apollinare in Classe2 3); man beachte, daß sogar die
Kranzschleifen, auf denen einander zugewendet zwei
Pfauen sitzen, in ganz ähnlich stilisierte Blätter enden.
Verwandte Beispiele sind ferner der sogenannte Sarko-
phag des heiligen Barbatianus im Dome zu Ravenna
(Dütschke a. a. O„ Nr. 14, S. 16 Abb. 5 a, Venturi a. a. O-,
I, Fig. 202), eine Schmalseite eines Sarkophags in
S. Apollinare in Classe (Dütschke a. a. O., Nr. 74, S. 76,
Abb. 30b), der sogenannte Sarkophag des Erzbischofs
Theodoros in S. Apollinare in Classe (Dütschke a. a. O.,
Nr. 79, S. 83, Abb. 85 a) u. a. m. Übrigens hat schon
Wickhoff a. a. 0., S. 213 auf Beziehungen zur ravennati-
schen Kunst andeutungsweise hingewiesen, doch kann
im Hinblick auf die relativ geringe Zahl der erhaltenen
altchristlichen Denkmäler (namentlich Unteritaliens) die
Lokalisierung dieser Handschrift nach Ravenna oder
ins Ravennatische nur mit allem Vorbehalte gegeben
werden.8)
Von hohem kunstgeschichtlichen Interesse ist die
Übersetzung plastischer Formen ins Zeichnerische, in
der Wickhoff a. a. O., S. 207 „die Entstehung eines
neuen Prinzips, die ersten Schritte zu einem dem Wesen
des Buches entsprechenden Flächen- oder Teppichstil“
sieht. Hand in Hand damit gehen Mißverständnisse
des Zeichners wie die Bandschleifen, die „sinnlos zur
Basis des Kreuzes“ gemacht wurden. Auch die Be-
malung dieser Schleifen in drei Farben erklärt sich
wohl aus einem Mißverständnis des Vorbildes, das offen-
bar ein auf den beiden Seiten verschieden gefärbtes
Band zeigte. Für die auffallende Verdickung des oberen
Teiles des Kranzes hat Wickhoff a. a. O., S. 211 ein aus
dem V. Jahrhundert stammendes Mosaik in der Kapelle
des heiligen Satyrus in Sant Ambrosio in Mailand heran-
gezogen, das ein von einem oben verdickten Kranze
umschlossenes Brustbild des heiligen Viktor darstellt.4 * *)
f. 2—Kanonestafeln.
Über die Beziehungen dieser Kanonestafeln, deren
Entstehung mit Eusebius in Verbindung gebracht wird,
zu spätantiken und frühmittelalterlichen Bauformen vgl.
Wickhoff a. a. O„ S. 204 f„ der auch für diese Kanones-
tafeln auf die Umgestaltung plastischer Formen ins
Flächenhafte hingewiesen hat.
f. 2—2': Kanonestafeln für die in allen vier
Evangelien korrespondierenden Stellen, be-
zeichnet als „%avwv a , Iv ol <T“.

*) Beer verweist namentlich auf einige bei Venturi, Storia dell’arte italiana, I, Fig. 209—215 abgebildete Sarkophage in S. Apollinare in Classe,
eine „Transenna“ in S. Apollinare nuovo u. a. m. Noch größer erscheint die Verwandtschaft mit den oben genannten Sarkophagen.
2) Vgl. Hans Dütschke, Ravennatische Studien (Leipzig 1909), Nr. 73, S. 72.
3) Das Motiv kommt eben auch außerhalb Ravennas vor, so z. B. auf einem Sarkophag im Museo Lateranense (Garrucci, Storia dell arte cristiana
V. Tafel 350, Nr. 2), auf einem Sarkophag in Manosque in Südfrankreich (Garrucci a. a. O., Tafel 351, Nr. 1) u. a. m.
4) Vgl. Pietro Toesca, La pittura e la miniatura nella Lombardia dai piu antichi monumenti alla meta del Quattrocento (Milano, Hoepli 1912)
Tavola I, S. 14: „Sacello di S. Vittore in Ciel d’oro“. Vgl. übrigens auch den Blattkranz als Rahmen der Miniatur auf f. >]' der Dioscorides-
handschrift der Nationalbibliothek (Med. graec. 1).
 
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