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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: G. Serrurier-Bovy, Lüttich
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0048

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1-

1 NN EN-DE KORATION.

g. serrurier-bovy—Lüttich. Tisch u. Stuhl (189g).

nach ihrer Art einen Schmuck schafft, anstatt sich
nach dem zu richten, was der industrielle Geist der
anderen Nationen ihr zustutzt.

Ich stelle mir um so leichter die Anstrengungen
vor, die Serrurier zu machen hatte, einen inneren
Ausbau der Wohnungen zu ersinnen, welcher unsern
Bedürfnissen und unserer normalen Fassungskraft
entspricht, als noch die Erinnerung der Umgebung
in mir lebendig ist, in der wir selbst während
unserer Jugend zu leben gezwungen waren. Wenn
man die Ausstattung der Wohnungen betrachtet,
in welchen unsere Vorfahren seit ungefähr 11/a
Jahrhunderten gelebt haben, muss man daraus
schliessen, dass sie keinen Begriff ihrer eigentlichen
Bedürfnisse, noch eine Idee von dem hatten, was
der wahre Zweck ihrer Hausgerätschaften war.
Es scheint, dass zwischen ihnen und ihrem Haus,
ihrem Mobiliar und ihrer Kleidung ebenso wenig
Berührungen stattfanden, wie zwischen den Ma-
schinen auf einer Ausstellung und einem Bauers-
manne, der sie betrachtet. Ihre Majestät ist ihm
nicht einmal ein Rätsel, denn er ist gänzlich gleich-
gültig gegen sie, wie es sein leerer, müder Blick,
seine gekniffene Nase und sein offener Mund be-
zeugen. Bei dem Bauern erklärt sich dieser Mangel
an innerem Zusammenhang; denn diese Welt von
Dingen ist ihm wirklich unbekannt; es ist kein
Grund da, dass er dazu verleitet würde, sie kennen
zu lernen oder zu schätzen. Der Abstand, welcher

ihn vom Mechanismus dieser Maschinen, ihrer
ganzen wissenschaftlichen und sozialen Tragweite
trennt, entspricht einer späteren Generation, während
die Teilnahmlosigkeit unserer Vorfahren sich in
umgekehrtem Sinn vollzogen hat. Die Grosseltern
unserer Grosseltern liebten die Architektur, Möbel,
Gewebe und die Goldschmiede-Arbeiten leiden-
schaftlich; der Abstand, der zwischen ihrer Leiden-
schaft für die Dinge des materiellen Lebens und der
Geringschätzung unserer Eltern liegt, existiert seit
kaum 2 oder 3 Generationen. Was ist da vorge-
gangen? Man muss schon annehmen, dass unser
Geist durch einen gewaltigen Stoss erschüttert
worden ist, der so stark war, dass er die Menschen
verdummte, sie unfähig machte zu erkennen, dass
sie nur lebten, und dass das materielle Leben Be-
dürfnisse hat, durch deren Befriedigung der Mensch
Glück und Wonne geniesst. Ich finde wohl unter
den Bedürfnissen des materiellen Lebens diejenigen
heraus, denen sie einen Teil ihres Glücks und ihrer
Freude zuerkannt haben: Das Essen und Trinken
und das Uebrige, nämlich alles das, was sie heim-
lich geniessen konnten. Aber der Luxus des
Mobiliars, der Kleidung, der allgemeine Luxus der
Ausfahrten und der Equipagen verursachte ihnen
wahren Schrecken und erschien ihnen wie etwas
Unerlaubtes. Eine gänzliche Erstarrung lag auf
dem Geist unserer Eltern; die Gewalt und das un-
sinnige Gemetzel der französischen Revolution trieb
sie zu heuchlerischer Einfachheit, zu dem Schein
eines asketischen Lebens und zu einem Dasein frei
von allen Bedürfnissen. In Wirklichkeit aber steckten
sie, unter anderen Notwendigkeiten, den Kopf in eine
Schlafmütze und die Nase voll Tabak, und hätten
im Winter nicht ohne Wärmflasche unter der Bett-
decke schlafen können. Unsere Eltern hatten also
sicher genau so viele Bedürfnisse wie wir, nur waren
die ihrigen von denen unserer Tage verschieden.

Wir erinnern uns noch deutlich in einem wilden
Durcheinander von Möbeln und anderen Gegen-
ständen gelebt zu haben, welche der Zufall von
Gelegenheitskäufen dahin versetzt hatte, wo sie nun
in Zimmern mit Möbeln und Sachen zusammen-
standen, die kein inneres Band verknüpfte, und die
durch keine Verwandschaft im Stil je dazu bestimmt
worden waren, hier einmal vereint zu werden. Die
Idee einer Harmonie im Mobiliar kam ihnen nicht
in den Sinn, ebenso wie sie den Mangel an Stil
bei allem, was sie umgab, nicht empfanden. Die
Möbel und Gewebe waren für sie nur Waren, die
einen ebenso wenig idealen Karakter trugen, wie
das Brot, das Fleisch und die Wertpapiere. Sie
erwarteten von den Gegenständen eine gleiche
Dauerhaftigkeit wie von den Wertpapieren, und
 
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