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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: G. Serrurier-Bovy, Lüttich
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0049

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IXNEN-DEKORATIOX.

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sie wünschten nur, dass sie wie das Brot und die
Stücke Fleisch gross und prächtig waren. Hätte
man sich nur im geringsten mit dem Stil beschäftigt,
wären sie misstrauisch geworden.

Unsere Eltern erinnerten sich nur zu wohl,
dass der Menschheit, die in ihrem Verstände be-
strittene Befriedigung der Entstehung eines Stils,
teuer zu stehen gekommen war. Beim Anblick
eines Zimmers im Empirestil und vor allem im
Rokoko erlitten sie Todesqualen. Sie fühlten das
eisige Messer der Guillotine am Nacken, und so-
gleich ward die Erinnerung aller Greuelthaten wieder
in ihnen wach, deren Zeugen diese niedlichen weissen
Möbel gewesen waren. Unsere Eltern fanden diese
Zeugen zu lästig, weil sie solche Erinnerungen er-
weckten, und weil die Revolution nicht gut daran
gethan hatte, sie nicht alle vernichtet zu haben.
Wie sehr würden sie nicht Möbel ohne Vergangen-
heit, ohne Stil vorziehen, die nicht imstande wären,
die geringste Erinnerung wach zu rufen oder einen
Zukunftsgedanken zu erregen. Unbewusst hatte
sich der Anfang des Jahrhunderts zurechtgemodelt;
die Möbel ähnlich den Menschen dieses neuen Jahr-
hunderts, waren anfangs unterwürfig und trugen
das Zeichen ihrer demütigen und verständigen
Herkunft in sich.

Bei dem bescheidenen und verständigen Wesen,
das das gemeine Gemetzel der Revolution und die
grandiosen Züge Napoleons verschont hatten, zeigte
sich eine unmerkliche Spur von Luxus, einem Luxus,
der höchst trostlos sein würde, wenn er jemandem
schaden könnte, oder den Glauben an irgend eine
Bequemlichkeit, irgend welche neue Bedürfnisse
oder Ueppigkeit erregen könnte.

Die Sofas waren in der That prächtig, aber kaum
hätte man zu zweien darauf Platz finden können,
die Tische waren so hoch, dass man nie daran hätte
denken können, lange daran sitzen zu bleiben, weil
man die Ellbogen nicht auflehnen konnte, die Stühle
waren so rechtwinklig, dass man nicht daran denken
konnte sich anzulehnen, um das Lachen zu er-
leichtern und beim Gähnen sich auszurecken, die
Betten waren so wenig einladend und die Wasch-
tische so klein, dass niemand an Koketterie oder
raffinierte Korperpflege hätte denken können.

Nur langsam befreiten wir uns von dieser
Heuchelei und dieser falschen Bescheidenheit; wir
brauchten viel Zeit, um zu der Ueberzeugung zu
gelangen, dass wenigstens zwei sich auf dem Sofa
hinstrecken wollten, dass unsere Eltern gern lange
bei Tisch sitzen blieben, dass sie trotz der geraden
Stuhllehnen gestikulierten, und dass nichts ausser
dem wenigen Wasser auf den Waschtischen und
den kleinen Waschbecken, wahr war.

SERRURIER-HOVY. Ofen-Schirm, Kupfer getrieben (iSggJ.

Aber das Gefühl der Furcht und der schreck-
lichen Wiedervergeltung wurde auch schwächer,
und sobald sich unsere Eltern frei von dem Ge-
danken fühlten, dass es ihnen schaden könnte, offen
ihren Luxus zu verkünden, schien es ihnen, als ob
sie überhaupt diese Heuchelei teuer bezahlt hätten,
indem sie sich in ihren Häusern und ihren Möbeln
sehr ungemütlich fühlten. Wenigstens gaben die,
welche nicht davon überzeugt waren, dass jede
Neuerung eine schreckliche Zeit, eine Epoche von
Katastrophen, Unruhen und Hlut, mit sich bringen
musste, — den Mangel an Bequemlichkeit zu. Von
nun ab machte sich ein intensiver Wunsch nach
Komfort auf dem Kontinent bemerkbar, und beim
Anblick des ersten Lehnstuhls des englischen Klubs,
der auf dem Kontinent eingeführt wurde, spürten
die Menschen einen bis dahin unbekannten Schauder.
Dieser Lehnstuhl in einem bürgerlichen Milieu be-
deutete die gänzliche Befreiung, eine Heraus-
forderung an das Geschick und die rächenden
Stimmen. Unsere Väter hatten das Recht, sich
auszustrecken und sich den süssen Stunden der
Trägheit mit rauchender Cigarre zu überlassen,
wieder zurückerobert. Der Geist der ersten Offen-
barungen des Komforts war verführerisch genug,
um den zähen Glauben an die veralteten Möbel
 
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