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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: G. Serrurier-Bovy, Lüttich
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0053

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INNEN-DEKORATION.

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stellen, denen die Eigenschaften fehlen, die in
Serruriers Werken liegen. Diese Eigenschaften
aber waren vollständig verloren gegangen, ehe er
uns seine Möbel brachte, und ich kann nicht umhin,
Ihnen zu sagen, welches Aufsehen im Jahre 1895
die Ausstellung dieses Arbeitszimmers machte, dessen
Originalzeichnungen hier reproduziert sind. Es war
wie ein plötzliches Hell werden, wie eine glänzende
Bekräftigung des gesunden Menschenverstandes,
wie eine energische und siegreiche Wiedererlangung
der Logik in der Herstellung, wie eine Kundgebung
der Ueberlegenheit der einfachen Mittel. In diesem
Interieur erkannten wir das Leben, die Freude am
Leben und die Freude, mit der derjenige, welcher
dieses Werk hergestellt hatte, daran gearbeitet. Die
Entwürfe erscheinen heute sehr bescheiden, und
niemand wird beim Betrachten derselben denken
(es sei denn, dass es ihm vorher gesagt worden ist),
dass sie ein solches Aufsehen verursachten, und
dass ihnen eine so glänzende Zukunft bevorstand
In jener Zeit verwirklichte sich etwas in Belgien,
etwas nahm Gestalt an: es war der Gedanke, dass
den Künstlern dieses kleinen Landes die Aufgabe
wurde, den Geist der Unthätigkeit, der seit seinem
Entstehen auf ihm lastete, abzuschütteln. Seit 1830
lag diese geistige Unthätigkeit auf den Liefebenen,
sowie auch auf den Höhen des Landes gleich einer
schweren Novemberwolke; wer sollte diese Wolke
und diese Qual vertreiben, wenn es nicht die
Künstler waren? Wer vermochte es besser als
sie, in einem Lande, das keinen Krieg führen kann,
und dessen Bestimmung — in jenem Augenblick —
zu sein scheint, für die Existenz seiner zahl-
reichen Beamten zu sorgen. Vor 1890 sind die
lichten Punkte auf litterarischem Gebiet selten:
Ch. de Coster, Pirmez — viel später strahlte: Camille
Lemonnier — Edmond Picard glänzte auch. Aber
das war ungefähr 50 Jahre nach der Gründung
des Landes, und sie sind die ersten Zeichen des
Wiedererwachens; die freie Kunst und ihre An-
hänger datieren von damals, die Maler Felicien
Rops, les Stevens, de Groux, Boulanger, E. Smits
und Heymans, Artan und Rosseeis und Dubois,
Meyers datieren von damals; der Bildhauer Con-
stantin Meunier ebenfalls. Aus ihnen entstand die
Generation, welche gegen 1890 gegen das Dunkel
und die Unthätigkeit kämpfte und siegreich hervor-
ging. Die Alten sind zu jener Zeit noch fast alle
da, und als der Kreis der XX, die wahre Heimat
der Renaissance in der Kunst, in Belgien gegründet
wurde, gingen von ihnen die Ermunterungen aus.
Zum ersten Mal in Belgien begeisterte man sich
für die Schöpfungen der Kunst, die Leidenschaft
wurde zum äussersten getrieben, und in keinem

SERRURIER-bovy. Stuhl (ausgef. igooj.

Land der Welt war je ein so heftiger Federkrieg
provoziert worden; in den Ausstellungen wegen
der Bilder und Statuen, in den Salons wegen der
Artikel in den Zeitschriften, der Gedichte und
Romane, und in den Theatern kämpfte man ohne
Rückhalt wegen der neuen Stücke; zum ersten Mal
hasste man sich und trat man sich näher. Früher
waren dies unbekannte Gefühle gewesen, und wer das
eine oder das andere zu offenbaren gewagt hätte,
wäre als übertrieben und ungebildet erschienen!

Andere Faktoren in den übrigen Gebieten des
wirtschaftlichen und sozialen Lebens brachten die
Lässigkeit in Bewegung: die herrliche Schöpfung
der Kolonien und die Gründung einer dritten poli-
tischen Partei.

Von da ab machte sich erst in Belgien ein
intensives Leben fühlbar; ich will nicht behaupten,
dass einzig die Künstler meiner Generation oder
der vergangenen dies Leben erweckt haben, aber
offenbar haben sie es, eher als andere, voraus-
geahnt, und die Morgenröte nach der Art der
Vögel durch Ruf und Gesang v erkündet.

HENRY VAN DE VELDE.
 
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