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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Schmidkunz, Hans: Dekorations-Kunst und Täuschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0237

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INNEN-DEKORATION.

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eines Liniengewirres ist kein künstlerischer Faktor.
— Ebenso verhält es sich mit der vielerörterten
Materialfrage. Man kann es ganz bedingungslos aus-
sprechen : jedeVortäuschung des einen Materials durch
ein anderes ist abermals unkünstlerisch. Darüber ist
bereits so viel gesagt worden, dass wir hier nichts
davon wiederholen brauchen. Scharf zu unterscheiden
ist jedoch von einer solchen wirklichen und unkünst-
lerischen Täuschung die Verwendung von Materialien,
die nicht als eben diese Materialien gelten wollen.
Dass uns der Bildhauer aus seinem Stein die Er-
scheinung eines lebenden Wesens vorzaubert, wird
niemand als eine Täuschung betrachten. Heikler
scheint die Sache zu liegen bei den dekorativen
Künsten. Hier wird allerdings in grossem Umfang
mit unedlem Material so gearbeitet, als wäre es
edles Material. Der Dekorations-Künstler wird sich
aber trotzdem nicht den Vorwurf einer Täuschung
oder eines Schwindels gefallen lassen. Anders
hinwider beim Kunstgewerbe, sofern wir es vom
eigentlichen Dekorativen zu unterscheiden haben.
Hier muss sozusagen die «Offenheit des Materials»
künstlerische Devise sein. Die Pappe, aus der
Dekorations-Stücke hergestellt werden können, und
gegen die kein künstlerischer Geschmack etwas
einzuwenden braucht, wird im Kunstgewerbe zum
Unrecht der Täuschung. Hier legen wir mit allem
Fug ein Gewicht auf ein Material, das auch durch
sich selber wirkt. Allerdings ist es abermals ein
Unrecht, das Interesse am Künstlerischen im Ge-
werbe durch das Interesse am Materiellen schädigen
zu lassen. Juwelen können in diesem Sinn Kunst-
feinde werden. Der ästhetische Wert ihrer Ein-
fassung kommt gegen ihren Eigenwert schwer auf.
Man hat deswegen bereits Proteste gegen eine
solche Zurückdrängung des Künstlerischen im
Schmuck-Gewerbe ausgesprochen; eine Verfolgung
der Geschichte der Goldschmiedekunst kann wohl
in diese Gegensätze näher einführen. Es lässt sich
hoffen, jede Ersetzung des Material-Interesses durch
ein Form-Interesse werde dem Kunstgewerbe neue
Kräfte geben. Auch hier wird das Arbeiten mit
minderwertigem Material in dem Maße weniger
kunstwidrig sein, in welchem wir uns dabei auf einer
Zwischenstufe zwischen eigentlichem Kunstgewerbe
und eigentlicher Dekoration befinden. Ein Schmuck
trägt bereits als solcher künstlerische Potenzen in
sich; umso weniger müssen wir in ihm die Kost-
barkeit des Materials als Aushilfe gegenüber einem
Mangel an Kunst erstreben. •— Trotz allem ist
jedoch das Stoffliche niemals für die Kunst gleich-
giltig, so wenig etwa das Tonmaterial für die Musik
gleichgiltig sein könnte. Die Edelheit des Materials
ist entschieden als kunstfördernd zu betrachten; die

Eigenschaften des Goldes bedeuten auch künst-
lerische Vorteile; und der Goldschmiedekunst
brauchen wir des Goldes wegen nicht das Unrecht
anthun, dass wir sie mit etwas künstlerisch Minder-
wertigem wie der Juwelen-Industrie verwechseln.
Insoferne kann auf diesen Gebieten ein Gegensatz
gegen Vortäuschungen edleren Materials durch
geringeres Material zu einem künstlerischen Vorzug
werden. — Noch eine weite Welt eröffnet sich uns
durch die Betrachtung alles dessen, was uns die
Farben an Sinnes- Täuschungen darzubieten ver-
mögen. Vor allem kommen hier die Kontraste in
Betracht. Helles erscheint neben dunklem noch
heller, dunkles neben hellem noch dunkler. Ebenso
erscheinen die sogenannten Komplementär-Farben,
wie rot und grün, gelb und blau durch ihr Neben-
einander-Stehen gegenseitig verstärkt. Ausserdem
erzeugt die eine dieser Farben unter gewissen Um-
ständen in unserem Auge die subjektive Empfindung
der anderen. Jedermann kann sich davon schon
durch die grünen Schimmer und Schatten eines
rotbeleuchteten Raumes überzeugen.

Nachdem endlich in unsere dekorative Kunst
eine Farbenfreudigkeit eingezogen ist, wird dieses
Gebiet der Farben-Täuschungen vielleicht noch un-
geahnte künstlerische Früchte tragen. Allerdings
ist es dabei dringend nötig, sich von der alten Legende
loszumachen, als sei die Neben-einander-Stellung jener
Kontrast-Farben eine selbstverständliche ästhetische
Regel; Camillo Sitte hat mit dieser Legende trefflich
und gründlich aufgeräumt. Man darf aber wohl weiter
gehn und die Liebhaberei für Kontraste überhaupt,
das Erzeugen von Täuschungs-Effekten durch sie als
eine im Allgemeinen recht primitive Kunstgepflogen-
heit bezeichnen. Thatsächlich hat sich denn auch die
neuere Kunst von dem Groben, das in derlei liegt,
mehr und mehr emanzipiert. Sie wird voraussichtlich
dazu gelangen, uns noch mancherlei Täuschungen
zu bescheren, die wir vielleicht noch nicht ahnen,
und die eine Verfeinerung unseres künstlerischen
Wahrnehmens bedeuten werden. Wie wir im Vorigen
gesehen haben, dass ausgefüllte Strecken länger zu
sein scheinen als unausgefüllte, so kann auch der
qualitative Abstand zwischen zwei Farbentönen
geringer scheinen, als er wirklich ist, wenn ihn
keine Zwischenstufe ausfüllt; und er wird weiter
erscheinen, wenn der Künstler ihn mit passenden
Zwischengliedern zu bereichern versteht. — Derlei
mag freilich nur ein Beispiel dessen sein, was eine
vertiefte Erkenntnis aller dieser Dinge uns aus
bereits vorhandenen Thatsachen der Dekorations-
Kunst zeigen wird, und was eine verfeinerte Kunst-
praxis noch an neuen Wirkungen herzuschaffen
vermag. dr. hans schmidkunz—berlin-halensee.
 
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