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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Popp, Alexander: Baugesinnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0133

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INNEN-DEKORATION

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wohnschlafzimmer in einem alten hause: tiefe fensterleibungen als sitznischen ausgebildet

wird nur mehr zur Außenhaut des Bauwerks. Hier
muß mit derselben Ehrlichkeit die Form gesucht
werden, wie für die Baustoffe, die uns seit Jahr-
hunderten vertraut sind. Aber auch diese neue
Formensprache darf nicht zur Willkür führen. Es
darf dem Material und der Konstruktion nicht um
den Preis der Originalität Gewalt angetan werden,
man darf nicht vergessen, daß auch der innere Gehalt
und Zweck des Bauwerks nach außen hin zum Aus-
druck kommen muß. Bei gleicher Konstruktion und
gleichen Baustoffen wird sich ein Bahnhof von einer
Schule, ein Bankgebäude von einem Sanatorium,
ein Einzelwohnhaus von einem Mietshaus schon rein
äußerlich unterscheiden müssen. Den typischen Aus-
druck für jedes dieser Bauwerke zu finden ist eben
mit die Aufgabe des Baukünstlers.

Es zeugt vom Können des Schaffenden, wenn er es
versteht, den Besonderheiten, die jede Bauaufgabe
stellt, gerecht zu werden. Ein allgemein gültiges
Rezept für das Bauen gibt es nicht. Modern sein heißt
nicht, modische Äußerlichkeiten zu übernehmen und
rücksichtslos allgemein anzuwenden, sondern zurück-
zufinden zu einer wahren Baugesinnung, in der die
Tradition darin besteht, daß nicht Formales, sondern
Ursächliches früherer Gestaltung erkannt wird. Nicht
vorübergehende Einzelleistungen, sondern bleibende
aus einer einheitlichen Gesinnung heraus geschaf-
fene Werke müssen das Ziel unseres Bauens werden.

Kunst kommt von Können und Künden. Können
heißt: sein Handwerk verstehen. Künden heißt: über
das Verstehen hinaus die schöpferische Kraft spre-

chen lassen, die auch die kleinste Aufgabe zum
Kunstwerk machen kann. Nicht alle Bauwerke kön-
nen vom Künstler höchster Begabung geschaffen
werden. Aber aus jedem Bauwerk kann Können
und ehrliche Baugesinnung sprechen. Wie sehr ist
gutes handwerkliches Können verlorengegangen! Das
Handwerk hing sich das Mäntelchen des »Kunstge-
werbes« um, das vielfach zur formalen Spielerei führte
und am Ende weder mit Kunst noch mit Handwerk
etwas zu tun hatte.

Ein Bauwerk, einmal entstanden, kann nicht wie
ein schlechtes Bild von der Wand genommen werden,
kann ohne schwere wirtschaftliche Nachteile, kaum
geboren, nicht wieder entfernt werden, und darum
darf das Bauen auch nicht Sache des Einzelnen,
sondern muß Sache der Gesamtheit sein. Gemeinsinn
wird auch eine Baugesinnung erzwingen, frei in ihrer
schöpferischen Kraft, gebunden aber an Zweck,
Heimat und Werkstoff, nicht an Willkür und ver-
logene Modernität. Zum Werden eines Bauwerks
gehört nicht nur der schöpferische Wille des ge-
staltenden Künstlers, mag er auch die wesentlichste
Voraussetzung sein, sondern auch Wirtschaft und
Technik, und damit ist schon eine gegenseitige Ge-
bundenheit gegeben, die Gemeinsinn erfordert. Sd
wird jedes Bauwerk Ausdruck der kulturellen Höhe
oder des kulturellen Tiefstandes eines Volkes. Ein
neuer Baustil aber kann nur aus einer gemeinsamen
Baugesinnung geboren werden, und nicht der Ein-
zelne, sondern die Gesamtheit eines Volkes ist die
bildende Kraft für den Ausdruck einer Zeitepoche. a.p.
 
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