INNEN-DEKORATI ON
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architekt richard herre-stuttgart »durchgang vom neuen zu den alten verkaufsräumen«
staltung schafft den Körper mit Fleisch und Farbe; auch, an den reicheren Ausdrucksmitteln unserer
versuchte Popularisierung aber gibt darüber hinaus europäischen Vergangenheit gemessen, einförmig
dem Raum ein vielleicht unnötiges Kleid oder gar scheinen. Wenn er auch aus mancherlei Gründen uns
ein ganz unnötiges Kostüm. nicht Vorbild sein kann, so bietet er doch Anlaß zu
• unterrichtenden Vergleichen. Dieser japanische Wohn-
Was zuerst Bekleidung der Rohform genannt räum, so leicht und scheinbar launisch, ist ein ge-
wurde, wird, inniger gesehen, die Forderung nach bauter, kein dekorierter Raum. Er enthält, da das
der lebendigen Organisation auch jenes Raumge- altjapanische Leben keine Stühle kennt, und da von
bildes, das dem Architekten als fremde Rohform den eingebauten Schränken nur Schiebetüren und
unter die Finger kam. Es gibt handfeste Organismen, oft nur deren Muscheln sichtbar bleiben, keine
»aus Fleisch und Blut«, doch auch subtilere, geisti- Möbel. Zu diesen beiden größten Unterschieden von
gere. Organist und Organismus scheinen zuweilen unserer Art zu wohnen, gesellen sich einige ebenso
verschiedener Art; sie scheinen es nur. auszeichnende Mittel der Form: der Verzicht auf
• Symmetrien, die gleichzeitige, im Kontrast harmo-
Es sei gestattet, nicht als auf ein Vorbild, aber als nische Verwendung von natürlichen und künstlichen
auf ein Beispiel, auf den japanischen Wohnraum hin- Werkstoffen, und das verfeinertste Empfinden für
zuweisen, der ein echter Organismus ist, ganz Ein- Verhältnisse, insbesondere das von groß zu klein,
heit von Konstruktion und Form, aus Fleisch und noch genauer gesagt von groß zu kleinst.
Blut und Geist, ja der durch seine Zucht sogar mora- Schade, daß diese vielleicht gebildetste Form
lisch wirkt. Aus einer sehr langen Tradition teils menschlichen Wohnens heute wohl auch nur
religiöser Art - die Andachtsnische Tokonoma! - weithin Vergangenheit und Erinnerung ist.
entwickelte sich in spielerisch scheinender Anmut Wie glücklich aber die Völker, die sich trotz ihrer
seine alles einbeziehende Konsequenz, mag diese großen Vergangenheit jung fühlen! herre
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architekt richard herre-stuttgart »durchgang vom neuen zu den alten verkaufsräumen«
staltung schafft den Körper mit Fleisch und Farbe; auch, an den reicheren Ausdrucksmitteln unserer
versuchte Popularisierung aber gibt darüber hinaus europäischen Vergangenheit gemessen, einförmig
dem Raum ein vielleicht unnötiges Kleid oder gar scheinen. Wenn er auch aus mancherlei Gründen uns
ein ganz unnötiges Kostüm. nicht Vorbild sein kann, so bietet er doch Anlaß zu
• unterrichtenden Vergleichen. Dieser japanische Wohn-
Was zuerst Bekleidung der Rohform genannt räum, so leicht und scheinbar launisch, ist ein ge-
wurde, wird, inniger gesehen, die Forderung nach bauter, kein dekorierter Raum. Er enthält, da das
der lebendigen Organisation auch jenes Raumge- altjapanische Leben keine Stühle kennt, und da von
bildes, das dem Architekten als fremde Rohform den eingebauten Schränken nur Schiebetüren und
unter die Finger kam. Es gibt handfeste Organismen, oft nur deren Muscheln sichtbar bleiben, keine
»aus Fleisch und Blut«, doch auch subtilere, geisti- Möbel. Zu diesen beiden größten Unterschieden von
gere. Organist und Organismus scheinen zuweilen unserer Art zu wohnen, gesellen sich einige ebenso
verschiedener Art; sie scheinen es nur. auszeichnende Mittel der Form: der Verzicht auf
• Symmetrien, die gleichzeitige, im Kontrast harmo-
Es sei gestattet, nicht als auf ein Vorbild, aber als nische Verwendung von natürlichen und künstlichen
auf ein Beispiel, auf den japanischen Wohnraum hin- Werkstoffen, und das verfeinertste Empfinden für
zuweisen, der ein echter Organismus ist, ganz Ein- Verhältnisse, insbesondere das von groß zu klein,
heit von Konstruktion und Form, aus Fleisch und noch genauer gesagt von groß zu kleinst.
Blut und Geist, ja der durch seine Zucht sogar mora- Schade, daß diese vielleicht gebildetste Form
lisch wirkt. Aus einer sehr langen Tradition teils menschlichen Wohnens heute wohl auch nur
religiöser Art - die Andachtsnische Tokonoma! - weithin Vergangenheit und Erinnerung ist.
entwickelte sich in spielerisch scheinender Anmut Wie glücklich aber die Völker, die sich trotz ihrer
seine alles einbeziehende Konsequenz, mag diese großen Vergangenheit jung fühlen! herre