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Bemerkungen
deUe. Die kolossale Schutzgottm der )lcropolis war laugst verschwunden.
— Niemand weiß, wer sie umgestürzt, niemand weiß, wo ste hingekom-
men, denn ihr alter Olymp war keine Heimath mehr für sie. —
Als die Erzeugnisse deiner Dichter und Schriststeller schon langst die
gebildete Welt zur Nachahmung und zum Wetteifer reizten, galten
deine Bautrümmer noch Iahrhunderte hindurch als abnorme Gestaltungen,
welche man im Anfang ihrer genauern Kenntnißnahme jungen Künstlern
als Muster darstellle, die man nicht nachahmen dürfte, weil — Vitruv
ihre Verhältnisse nicht gemessen und den Baufegen nicht über sie, wie
über die romifchen ausgefprochen hatte. —
Plotzlich wollten sie das an Euch begangene Unrecht gut machen und
stellten Euch griechifche Bauform als das einzig Befeligende, als das end-
liche Ziel aller Baukunst auf; aber sie bedachten nicht, daß das griechifche
Volk, und befonders griechifcher Geist, die ihnen das Leben gaben und zu
dem Riesenbaume der Vorzeit wachfen ließen, unter dessen über die Erde
verbreiteten Aesten antike Kunst Schutz und Zuflucht fuchte, längst dahin
waren, um nie wiederzukehren. —
Sie glauben, daß ein Gaukelfpiel affifcher Nachahmung, welches sie
jetzt mit deinen Säulen und Monumenten treiben, der wirklich herauf-
Leschworene Geist griechifcher Kunstgebilde fei. — Sie glauben, wenn fie
einen Tempel der Athenä bauen und Walhalla darüber fchreiben, fo wäre
das griechisch gebaut, oder wenn sie den Thefeustempel ängstlich nachbauen
und etwa ein Kreuz in sein Tympanon fetzen, so wäre das eine christliche
Kirche und sie hätten rein griechifch gebaut! — Kann man sich einen
lächerlicheren Unsug denken? — Aber das liegt leider alles fehr tief! —
Schon oft war ich im Verlaufe diefer Mittheilungen genöthigt, es zu fa-
gen, und ich muß es leidec wiederholen: daß es in unserer Unkraft liege,
daß wir den Angelstern aus dem Gesicht verloren haben, welcher den an-
tiken Völkern und denen des Mittelalters auf ihren Kunstfahrten wie eine
allmächtige Sonne strahlte und ihnen den richtigen Weg zeigte. >—- Jhr
Glaube und ihr Religionscultus waren diefer Stern! — Seit
etwa hundert Jahren ist unter den ohnehin geplagten Menfchenkindern
die Sucht entstanden, jeden fchönen Traum der Vorwelt zu zerstören,
um einer fchaudererregenden Leere und Oede des Gemüthes und der Phan-
tafie Raum zu geben, welche in ihren entfetzlichen Folgen entweder stumpf-
sinnige Sclaven oder Ungeheuer aus uns machen muß. - Den alten
Himmel wollen sie uns zertrümmern, ohne uns einen neuen zu schaffen,
die alten Sterne reißen sie fchadenfroh einen nach dem andern herunter
und glauben, die rechte Erkenntniß werde schon kommen, wenn erst finstre
Nacht uns umgeLen wird, und wir durch den Glanz der Himmelslichter
Bemerkungen
deUe. Die kolossale Schutzgottm der )lcropolis war laugst verschwunden.
— Niemand weiß, wer sie umgestürzt, niemand weiß, wo ste hingekom-
men, denn ihr alter Olymp war keine Heimath mehr für sie. —
Als die Erzeugnisse deiner Dichter und Schriststeller schon langst die
gebildete Welt zur Nachahmung und zum Wetteifer reizten, galten
deine Bautrümmer noch Iahrhunderte hindurch als abnorme Gestaltungen,
welche man im Anfang ihrer genauern Kenntnißnahme jungen Künstlern
als Muster darstellle, die man nicht nachahmen dürfte, weil — Vitruv
ihre Verhältnisse nicht gemessen und den Baufegen nicht über sie, wie
über die romifchen ausgefprochen hatte. —
Plotzlich wollten sie das an Euch begangene Unrecht gut machen und
stellten Euch griechifche Bauform als das einzig Befeligende, als das end-
liche Ziel aller Baukunst auf; aber sie bedachten nicht, daß das griechifche
Volk, und befonders griechifcher Geist, die ihnen das Leben gaben und zu
dem Riesenbaume der Vorzeit wachfen ließen, unter dessen über die Erde
verbreiteten Aesten antike Kunst Schutz und Zuflucht fuchte, längst dahin
waren, um nie wiederzukehren. —
Sie glauben, daß ein Gaukelfpiel affifcher Nachahmung, welches sie
jetzt mit deinen Säulen und Monumenten treiben, der wirklich herauf-
Leschworene Geist griechifcher Kunstgebilde fei. — Sie glauben, wenn fie
einen Tempel der Athenä bauen und Walhalla darüber fchreiben, fo wäre
das griechisch gebaut, oder wenn sie den Thefeustempel ängstlich nachbauen
und etwa ein Kreuz in sein Tympanon fetzen, so wäre das eine christliche
Kirche und sie hätten rein griechifch gebaut! — Kann man sich einen
lächerlicheren Unsug denken? — Aber das liegt leider alles fehr tief! —
Schon oft war ich im Verlaufe diefer Mittheilungen genöthigt, es zu fa-
gen, und ich muß es leidec wiederholen: daß es in unserer Unkraft liege,
daß wir den Angelstern aus dem Gesicht verloren haben, welcher den an-
tiken Völkern und denen des Mittelalters auf ihren Kunstfahrten wie eine
allmächtige Sonne strahlte und ihnen den richtigen Weg zeigte. >—- Jhr
Glaube und ihr Religionscultus waren diefer Stern! — Seit
etwa hundert Jahren ist unter den ohnehin geplagten Menfchenkindern
die Sucht entstanden, jeden fchönen Traum der Vorwelt zu zerstören,
um einer fchaudererregenden Leere und Oede des Gemüthes und der Phan-
tafie Raum zu geben, welche in ihren entfetzlichen Folgen entweder stumpf-
sinnige Sclaven oder Ungeheuer aus uns machen muß. - Den alten
Himmel wollen sie uns zertrümmern, ohne uns einen neuen zu schaffen,
die alten Sterne reißen sie fchadenfroh einen nach dem andern herunter
und glauben, die rechte Erkenntniß werde schon kommen, wenn erst finstre
Nacht uns umgeLen wird, und wir durch den Glanz der Himmelslichter