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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0061
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Betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

ex eo. Nocumentum. Remocio nocumenti usw. deutlich zu entziffern. Welchen Gegenstand
das erste Bild zu illustrieren bestimmt ist, konnte ich nicht entnehmen80). Dagegen ist das
erste Wort des zweiten Bildes, das den Gegenstand hier bezeichnet, lesbar. Es heißt: amil-
lum. (Amylum = Weizenstärke.) Der Vergleich mit dem entsprechenden Blatte Amillum des
Wiener Exemplars (Blatt 39 b) ergibt die große ikonographische Verwandtschaft und den un-
mittelbaren Zusammenhang der beiden Szenen81) (Fig. 14). Hier wie dort steht im Hinter-
grund des Ladens der Krämer hinter seinem Verkaufstisch, während eine Käuferin — in
der Wiener Handschrift ist sie als ältere Frau charakterisiert — zu dem letzteren heran-
tritt. Bewegungen und Kostüme weichen etwas von einander ab.

Hier ist uns durch ein interessantes Beispiel die häufig erörterte Frage über das Ver-
hältnis der Wand- zur Buchmalerei im späten Mittelalter unmittelbar nahegerückt. Sind
die Fresken nach Miniaturen kopiert oder umg'ekehrt? Logisch scheint die Lösung sehr
leicht. Der Umstand, daß den Wandmalereien der Text hinzugefügt ist, was an und für
sich mehr einem Buch- als einem Wandschmuck entspricht, und daß dieser Text im Ver-
hältnis zu den Bildern auf den Fresken einen bedeutend größeren Raum einnimmt als auf
den Miniaturen, weist deutlich auf ein Vorbild aus der Buchmalerei hin. Anderseits kompli-
ziert sich die Frage wieder dadurch, daß die Wandmalereien, soweit sich aus den zerstörten
Resten beurteilen läßt, älter erscheinen als die besprochenen Handschriften. Darauf deuten
insbesondere die Kostüme. So trägt z. B. der Jüngling auf dem ersten Bild den für das dritte
Viertel des XIV. Jhs. charakteristischen enganliegenden vorne geknöpften Rock mit dem
dicken schweren über den Hüften liegenden Gürtel. Auch die Perspektive scheint in den Hand-
schriften weiter vorgeschritten, wie ja auch der Schauplatz bei denselben reicher ausgestattet
ist. Ein abschließendes Urteil ist aus dem vorliegenden Material kaum zu schöpfen. Doch
scheint mir nicht undenkbar, daß es ähnliche Handschriften in Verona schon in früherer
Zeit gegeben hat, nach denen die Fresken kopiert wurden, und daß sich dann die Tradition
dieser Werkstatt bis zum Ende des Jahrhunderts erhalten hat. Eine Erscheinung, die ein
kunsthistorisches Analogon in der Werkstatt der Embriachi in Venedig- findet, die, wie
Julius v. Schlossers Forschungen ergaben, ebenfalls auf Grund stilähnlicher Erzeugnisse
durch mehrere Generationen nachweisbar istS2). Jedenfalls bieten uns die aufgefundenen
Wandgemälde einen neuen schlagenden Beweis dafür, daß die Lokalisation der Handschriften
auf Verona richtig war.

Doch kehren wir zu den Miniaturen zurück. Die neue Aufgabe, die die Illustration eines
derartigen Werkes bedeutet und die der Phantasie keine Fesseln anlegte, wurde von den
Künstlern unserer Werkstatt in überraschender Weise gelöst. Sie beschränkten sich nicht
auf die bloße bildliche Darstellung der einzelnen aufgezählten Objekte. Mit einer Fülle der
eigenartigsten Genreszenen, mit einem unerschöpflichen Reichtum an höfischen und bäuer-
lichen Darstellungen wurden die Blätter belebt. Es wird uns das Leben in der Hütte des
Bauern vorgeführt, in Feld und Wiese, höfische Geselligkeit, Jagd, Fischfang, Handwerks-
und Kaufmannsleben u. a. m. (Fig. 14—19). Nicht nach einem konventionellen Schema
sind diese Bilder komponiert. Hier hat wirklich die Natur als unmittelbares Vorbild

so) Möglicherweise ist es eine Illustration zum Feni- nicht völlig überein, wie ja auch die einzelnen Kodizes

culum (Fenchel), das im Pariser Kodex durch ein sich um- untereinander im Text wesentlich differieren. Überdies scheint

armendes Paar verbildlicht ist. Siehe L. dkosle: Traites der Text der Freskenfragmente unvollständig zu sein,
d'hygitne du moyen-äge. Journal des Savants Sept. 1896, 82) Jur.. v. Schlosser: Die Werkstatt der Embriachi

Nr. 41. in Venedig. Jahrbuch d. Samml. d. Allerh. Kaiserhauses

81) Die Textworte der beiden Darstellungen stimmen B. XX.
 
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