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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Kurth, Betty: Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0096
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Betty Kurth Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient

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zahlreichen alten Tiroler Häusern in Bozen und Brixen, so gut wie in Innsbruck, Schwaz,
Hall und anderen Orten mehr. Es ist eine charakteristische Eigentümlichkeit deutscher
Bauweise153).

Schließlich bietet uns die Architekturvedute auf November und Dezember ;Taf. X) eine
für jene Zeit ganz überraschend gelungene Ansicht eines deutschen Städtchens aus dem
späten Mittelalter. Es füllt — ganz abweichend von der traditionellen Darstellung auf
italienischen Werken des XIV. und XV. Jhs., die solche Stadtveduten entweder auf die
Gipfel der Berge verlegt oder als Seitenkulisse in den Hintergrund des Bildes schiebt —
den vordersten Bildplan und bedeutet gewissermaßen den Mittelpunkt der Darstellung. Ein
Umstand, der sich ikonographisch wohl erklären läßt. Die Stadt ist in November und Dezember
als Zentrum des winterlichen Lebens, als Emporium des Bauern und Landmanns in den
Vordergrund der Darstellung gerückt, eine Deutung, die durch spätere Monatsbilder in
niederländischen und französischen Livres d'heures bestätigt wird, wo häufig der Dezember
der Illustration des Stadtlebens gewidmet erscheint154).

Unser Städtchen nun zeigt eine Stadtmauer mit unbefestigten Toren, ein deutsches
Kirchlein ■— man vergleiche insbesondere den Kirchturm, der hier mit dem Kirchenschiff
eng verbunden erscheint mit den ganz anders geformten freistehenden Campaniles Ober-
italiens — Häuser mit spitzen, steilen Dächern und Treppengiebel. Lauter Züge, die sich
in der so stark vom Norden beeinflußten veronesischen Kunst nirgends nachweisen
lassen.

Auch einzelne Gestalten weisen Abhängigkeit von deutschen Typen auf. So insbesondere
die Mäher bei der Grasernte (Taf. VIII i) oder die Bäuerin mit dem Korb auf dem Kopf auf
dem Augustbild (Taf. VIII 2) oder die Sennerinnen auf der Alm (Taf. VI) derbe, vierschrötige
Gestalten, deren Physiognomien an die Karikatur streifen, wie sie uns aus deutschen Werken
jener Zeit geläufig ist. Die höfisch gekleideten Frauen zeigen eine breite obere Gesichts-
hälfte, die sich zum Kinn verschmälert, und hohe Stirnen — ganz im Gegensatz z. B. zu
den Frauen im Tacuinum, die eine mehr rundliche oder ovale Kopfform und niedrige
Stirnen haben. — Auch zeigen erstere eine stärkere gotische Ausschwingung der Gestalt
als die Frauen in den Malereien Veronas. Man vergleiche die Dame mit dem Hund im
untern Plane des Maibildes, die schreitenden Frauen auf dem April oder die Edeldame auf
der Darstellung der Weinlese. Die Höflinge zeigen eine Vergröberung gegenüber den
zierlicheren, verweichlichteren Typen der veronesischen Kunst. Einzelne Männer auf dem
Hochzeitszug im Juni stehen deutschen Vorbildern unmittelbar nahe und die im Profil ge-
sehenen Höflinge mit den Zwickelbärten, einer im oberen Plan des Mai, zwei andere auf
dem Januar erinnern trotz ihrer größeren Schlankheit in Haltung und Kopfform an ähnliche
Gestalten in deutschen Kunstwerken, wie z. B. auf den Fresken des Neidhartzimmers in
Runkelstein, die in den letzten Jahren des XIV. Jhs. entstanden sein dürften (Fig. 43).

Auch der ikonographische Befund weist auf Deutschland. So insbesondere die Dar-
stellung des Turniers. Nicht nur daß wir in Italien, wo ja die Sitte des französisch-nordischen
Waffenspiels nicht so verbreitet war155), Turnierdarstellungen äußerst selten finden, und dann

153) Vergl. darüber Berthoi.d Rieht.: Die Kunst an schreibt ein glänzendes Turnier, das in Venedig stattfand,
der Brennerstraße. Leipzig 1908, pag. 22 ff. (La chronique des Veniciens. Archivio storico italiano vol.

154) So in den Heures de Turin (vergl. Paul Dur- VIII.) Vergl. Jui.. v. Schlosser: Tommaso da Modena und
rieu, Les Heures de Turin. Paris 1902) oder in dem Kod. die ältere Malerei in Treviso. Jahrbuch d. Samml. d. Allerh.
1954 der Wiener Hofbibliothek. Kaiserhauses XIX, pag. 242. — Doch bleiben diese Bei-

155) Der venezianische Chronist Martino da Canal be- spiele vereinzelt,

Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Koromission 1910 I0
 
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