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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 5.1911

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Pollak, Oskar: Die Decken des Palazzo Falconieri in Rom und Zeichnungen von Boromini in der Wiener Hofbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.18127#0158
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Oskar Poi.i.ak Die Deeken des Palazzo Falconieri in Rom usw.

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Fig. 76 Neapel, S.S. Apostoli. Grabmal Filomarino, Oberteil

dann seinen ganzen Reichtum aus, jede einzelne Form mit Liebe und inbrünstiger Ver-
senkung durchbildend. Der individuelle Charakter der einzelnen Blume wird möglichst
gewahrt; ein Botaniker könnte bei jeder Rosette leicht bestimmen, welcher Pflanze sie
entlehnt ist.

Noch deutlicher als in diesen großen notwendigerweise immer noch stilisierten Rosetten
zeigt sich der Naturalismus Borominis in den Feldblumen, die teils zu Büscheln zusammen-
gebunden sind (Taf. XIX), teils aus Akanthusknospen und Wappenlilien entsprießen (Taf. XIX
und XVIII). Hier ist das Streben, jeder Form ihr eigenes Gesicht zu geben, sie bis aufs letzte
als Einzelding zu charakterisieren, noch schärfer betont. Aber es ist nicht nur der Wille
zur Individualisierung der Form, welche ihn diese freien Naturformen anwenden hieß,
sondern noch viel mehr der Wille zur Sprengung der festgefügten und geschlos-
senen Form, zur „Eroberung des Luftraumes" (Riegl). Es ist das etwas ganz Neues, für
Italien ganz unerhörtes. Das gleiche sieht man auch an seinen Blattkränzen (vgl. Decke I
und IV), die fast nie fest umschlossen sind, sondern aus denen allenthalben Blättchen und
Blüten in die freie Luft herausstehen. Dieser extreme Naturalismus und anderseits diese
Auflösung der strengen symmetrischen und geschlossenen Form sind Berührungspunkte, die
Boromini mit zwei nordischen Kunstepochen gemeinsam sind, mit der Gotik und mit dem
Rokoko. Übrigens sind sie nicht bloß Charakteristika des Borominischen Ornaments, sondern
seiner Schaffensweise überhaupt; es geht auf die gleichen Absichten zurück, wenn er seine
 
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