Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 2.1884

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Schneider, Robert: Über zwei Bronzebilder des gehörnten Dionysos
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5610#0060
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heber zwei Bronzebilder des gehörnten Dionysos.

5i

dorische Ideal des Gottes im Gegensatz zum jonischen, das die attischen Künstler geschaffen, und fast will es
scheinen, letzteres habe sich gegen das mystische Attribut gesträubt und es nur selten an späteren Erzeug-
nissen, wie an der kapitolinischen Büste, schüchtern anzudeuten gewagt, während es nicht ein blosses Spiel
des Zufalls sein dürfte, wenn die wenigen Repräsentanten des anderen Typus mit den Stierhörnern aus-
gestattet sind. Zum mindesten an zwei Orten im Peloponnese tritt das Symbol des Stieres im Kulte des
Dionysos zu Tage: in Elis, wo die Frauenchöre den Gott mit dem Stierfuss anflehten, im Geleite der
Chariten in den Tempel zu kommen,1 und in Argos, wo man ihn als Stiergeborenen unter Trompeten-
schall aus dem Wasser rief.2 Die beglaubigte Herkunft sichert in diesem Zusammenhange der bronzenen
Statuette der kaiserlichen Sammlung — vielleicht das älteste aller übergebliebenen gehörnten Bilder
des Dionysos — besondere Aufmerksamkeit. So klein und unfertig sie auch ist, so zeigt sie doch unver-
kennbar das Gepräge einer bestimmten Epoche. Gewisse formale Elemente, wie die Bildung der Stirne
und das Ueberwiegen der Gesichtstheile über den Schädel, sowie die liebevolle, im Hinblick auf die
geringe Grösse der Figur überraschend richtige und sorgfältige Durchbildung des nackten Körpers und
die Art des Sitzens, eine wie zufällig herausgegriffene und fixirte Lage aus einer Folge stets wechselnder
Stellungen, weisen auf die peloponnesische Schule hin, während der erregte, fast finstere Ausdruck des
Gesichtes, die individuellen Züge desselben, die Wendung des Kopfes, der Wurf des Haupthaares an die
Bildnisse Alexander des Grossen erinnern und es begreifen lassen, wie man in unserer Bronze einen Augen-
blick den Gott verkennen konnte. Man wird kaum fehl gehen, wenn man das kleine Werk in die frühere
hellenistische Zeit setzt, deren Stil sich unmittelbar an Lysippos und dessen Schülern heranbildete.

Finden wir den monumentalen Ueberresten nach das Attribut der Hörner verhältnissmässig erst spät
von der bildenden Kunst aufgenommen, so reichen in völligem Einklänge hiemit auch die litterarischen
Belege für dasselbe nicht über die Mitte des fünften Jahrhunderts. Stesimbrotos aus Thasos, ein Zeitgenosse
des Perikles,3 und Sophokles, welcher in einigen von Strabon citirten Versen einer verlornen Tragödie
die heilige Nysa als des gehörnten Bakchos liebste Nährmutter preist, 4 sind die ältesten Schriftsteller, die
dieses Symboles Erwähnung thun. Häufiger wird es von Euripides in den Bakchen5 und von den Ale-
xandrinern6 genannt, und von letzteren sind die von nun an nicht mehr seltenen darauf bezüglichen
Epitheta des Gottes auf die späteren griechischen7 und die römischen Dichter8 übergegangen.

1 Plutarch, Quaestiones graecae 36: Siä t( tot Aio'vuaov a'i twv 'HXeiajv yuvouxEs üu.vou<jai rapaxaXouai ßos'u jioSi
7capay!yv£a0ai r.foc, aurä;; lyu 8'ouxco; b !Sp.vos ■ sXOeiv, ¥,pw Aiovuae, 'AXe!cot (statt aXiou) £; vabv äyvOT, cuv Xocpfxsaaiv, e; vabv
Tüi ßoEw 71081 Ouwv eTra 015 E7Kt8ouaiv • a?iE xotupk. De Iside et Osiride 35: aS 8''HXe!u>v yuvacxEs xai napaxaXouaiv Eu^dpvEvai
rcoSt ßoe(ü) xbv Oeov eXOeTv 7ipb; auxa;.

2 Plutarch, De Iside et Osiride 35: 'ApyEfoi; Se ßouf£vr|s Aidvuao; srlxXrjv esx(v, ävaxaXouvxat 8' auxbv Wo oaXr.l-fitav
sE uoaxos, EjxßaXXovxE? Et? Trjv aßuaaov apva tw jxuXadyto, xä? 8e a&Xr.iyyxs h 8upaoi; cmoxptaxoutitv, tö; Zü)xpaX7)s ev xoi?
rapi 'Oafcov E"pr)XEv. Vgl. Symposiacon lib. 4, quaest. ö. 2.

3 C. Müller, Fragmenta historicorum graecorum vol. II, p. 58, Stesimbr., fragm. 16: 01 jaev Aiövuijov auxbv bvop.a-
£ouatv, oxt ouv xspocai fSvvtü|j.EV05 (oxt xEpaxosöpo; e^eXOwv Tzetz. Lyc. 209) e'vu^e xbv Aib; |jn)pbv.

4 Nauck, Tragicorum graecorum fragmenta, Sophoclis fragm. 871:

oOev xaxEtoov xt)v ßsßaX^ltüJJLE'vVJV
ßpoxoiijt xXeiv7)v Nüaav, i^v 6 ßouxE'pto;
"Iaxyo; auxw [j.aiav ffilavtfi ve'jj.ei,
otiou x(; ö'pvi; ouvj xXaYyavEi; ...

5 Euripides, Bacchae 100: exexev 8', ävfxa MoTpat

TE'Xsaav, xaupdxsptov Oeo'v.
920: xai xaüpo; ^[J-iv TCpo'aÖEV ^ysTaBat Soxsi;

xai aö x^para xpaxi npoar.ffMha\.

aXX1 fj raix'^a8a Oijp; xExaöpwaai yäp ouv. Vgl. ioiyf., 115g.

6 Nikander, Alexiph. 3i: SiXujvoi xspaoto Aituvüo-oio xiQrjvof — Euphorion fragm. i5 (ed. Meineke): °Yr) xaupoxspoixi
Aitüvüat.), vgl. Lykophron Cassandra 209.

7 Anth. Palat. IX, 524, 11: xspao'v, 23: )(puao'x£pcov — IX, 827, 1 EuxEpaoio tp(Xo? OEporaov Atovüaou — Nonnus Dionys.
IX, 15, XX, 314, XXVII, 23 und öfter. — Vgl. Lukian, Bacchus 2: . . . ayE'vEtov axpißto;, ou8' eV oXIyov xijv jtapstav xvoiovxa,
x£p aaip b po v, ßo'xpuaiv EaxEipavcofjiE'vov, [J^xpa x7)v xbjxrjv avaOESsus'vov, ev 7rop'^up{Si. xai /puo"?j Epißaoi.

8 Horatius, Carm. II, 19, 29 aureo cornu decorus — Tibullus II, 1, 3 Bacche veni dulcisque tuis e cornibus uva
pendeat — Propertius IV, 17, 19 — Ovid Metam. IV, 19 tibi cum sine cornibus adstas virgineum caput est; Ars amat.

7*
 
Annotationen