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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 15.1894

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.5906#0324
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292

Julius von Schlosser.

Hier fehlt noch jeder moralische Bezug; die Thiere sind jene gewöhnlich nicht näher charakteri-
sirten phantastischen Mischwesen, wie sie, ursprünglich aus der orientalischen Webetechnik stammend,
die Teppichweberei und die Decoration des Mittelalters überhaupt erfüllen und selbst auf den Münzen
dieser Zeit zu finden sind.

Den Moralitäten näher führt uns schon ein anderer, jedoch älterer Teppich derselben Sammlung.1
Je ein ritterliches Paar, Herr und Dame, hält ein phantastisches Ungeheuer an Ketten; als Geissei dient
ihnen ein Blüthenzweig. Hier finden wir schon das Einhorn, das von einer Dame am Hörne gehalten
wird; darüber sitzt das uns bereits bekannte Käuzchen, der Nocticorax.

Eine deutlichere Sprache spricht das Rücklaken im Schlosse Strassburg in Kärnten, welches von
A. Ilg im XVII. Bande der Mittheilungen der k. k. Central-Commission (1872), p. 40,2 publicirt wurde.
Hier sind es vier jugendliche wilde Männer, — ich erinnere an den Kupferstich: die wilde Frau mit
dem Einhorn im Schoosse — welche vier phantastische Thiere theils am Halfterbande führen theils
mit Geisseihieben vor sich her treiben.

Der Erste mit einem kameelartigen Thiere und dem Spruchbande:

biflc tierlin roil id) triben
onb tuil 011 bte weit beliben.

Der Zweite mit einem jener zweifüssigen seltsamen Wesen, wie sie auch auf den Sätteln vor-
kommen :

bos Ijan tri) mal ennjfljunöm

ju bifcn tirleitt jjmt id) mid) »erbttnben.

Der Dritte treibt einen Greifen vor sich her:

mit Mfni bterlein futt toter uns (?) began
bte roelt git boflm Ion

Der Vierte wendet sich zum Einhorn:

bie weit t(t »ntrentett fol,

mit biffen bierlein i|t mir rool.

Der Grund zeigt auf einem Fonds von Ranken ein Streumuster, abwechselnd Buchstaben, deren
Sinn ich jedoch nicht enträthseln kann,3 und Liebesknoten, die also die erotische Beziehung ver-
rathen. Es ergibt sich ein paarweiser Gegensatz schon durch die Art und Weise, wie die Waldleute
den Thieren freundlich oder feindlich gegenüberstehen. Die Spruchbänder bestätigen dies. Die beiden
äusseren Paare stehen —■ als Allegorien der Weltlust und der Zucht — einander gegenüber, ähnlich wie
die beiden inneren; denn die Legende des Zweiten: »das han ich wol empfhunden« etc. ist wohl die
Antwort auf die Devise des Dritten: »Die Welt gibt bösen Lohn.«

Während 1 und 3 ihre Thiere vor sich treiben, d. h. ihrer Lust fröhnen, hat 2 seine Triebe ge-
zähmt und 4 darf sich zu dem reinsten Thiere, dem Einhorn, gesellen.

Dagegen hat der Teppich der Wartburg, * worauf eine von Waldleuten vertheidigte Minneburg
durch wilde Männer, die auf ähnlichen phantastischen Thieren reiten, bestürmt wird, wie ich glaube,
keinen moralischen sondern den gewöhnlichen erotischen Sinn und die Art des Angriffes und der Ver-
teidigung mit Blumen entspricht ganz den Schilderungen, die uns von derartigen, wirklich aufge-
führten Schauspielen vorliegen.5

1 Heyne, a. a. O., Taf. II.

2 Nachtrag: ebenda, Bd. XVIII, 253.

3 Aehnlich ist auf der Abbildung Herzog Ludwigs von Bayern in Ostendorfcr's Turnierbuch (bei Hefner, Kunstwerke,
III, Taf. 89) über die Satteldecke ein ganzes Alphabet zerstreut.

4 »Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit« 1870, S. 92fr.

5 Schultz, Höfisches Leben, Bd. I, S. 577.
 
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