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P. Wolters, Bemalte Grabstele aus Athen.

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Ein zweiter nicht minder wichtiger Grund gegen die Deutung als Bücherrollen
liegt in der unverhältnismäßig kurzen Gestalt bei ziemlich bedeutender Di.cke. Eine
Durchmusterung etwa der von Birt in seinem Buch über die Buchrolle in der Kunst
zusammengestellten Beispiele lehrt, daß ein Buch im zusammengerollten Zustande
viel mehr einem mäßig dicken und nicht zu kurzen Stabe geglichen hat.
Birt hat in dem genannten Werke S. 125 eine Anzahl von ähnlichen, nicht
sehr breiten, aber verhältnismäßig langen, also im zusammengerollten Zustande
kurzen und dicken Rollen besprochen, und sie nicht für Bücher, sondern für Woll-
binden erklärt. Wie mir scheint, mit vollem Recht. Wollbinden fassen also die
kauernden Silene von der späten Bühne des athenischen Dionysostheaters, eine
Wollbinde liegt auf dem Tische des sitzenden Menander im Lateran (dort S. 178),
und eine Wollbinde trägt auch das Mädchen von Antium, wie zuletzt Furtwängler
dargelegt hat (Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 1907, 2, 3). Das von Birt
S. 127 beschriebene Wandbild von Boscoreale (jetzt im Neapeler Museum) zeigt auf
einem Tische liegend vier Rollen; die eine ganz geschlossen entspricht in der gesamten
Form denen unserer Stele, die anderen hängen zum Teil geöffnet über den Tischrand
herab 9). Die Umgebung, Kanne, Schale und dergleichen, und vor allem die Farbe,
Grün und Violett, verbieten es, hier an Bücherrollen zu denken. Als Binde im Kult-
gebrauch erweist sich auch die Rolle auf dem mit Benutzung der sandalenlösenden
Nike komponierten Relief in München durch die dargestellte Szene I0).
Zusammengerollte Tänien glaube ich also auch an unserer Stele aufgehängt
und am Boden liegend zu sehen. Für ihre Verwendung beim Schmuck des Grabes
und die dabei bevorzugten kräftigen Farben Rot, Blau, Violett sind die Belege jedem
zur Hand, namentlich von den Bildern weißgrundiger Lekythen JI) und von den
Grabstelen selbst I2). Während aber umgeschlungene, ausgebreitet hängende Tänien
so häufig sind, scheinen auffälliger Weise Beispiele der zusammengerollten Binde
fast ganz zu fehlen. Allerdings erscheinen in den Opferkörben neben den über den
Rand herabhängenden Tänien mitunter rundliche Massen, in denen man vielleicht
solche zusammengerollte vermuten dürfte (z. B. Fairbanks 203); auf einer Lekythos
in Boston (Fairbanks Taf. 12 S. 264) sieht man neben der Stele ein Mädchen mit
einem der üblichen Salbengefäße und in der anderen Hand einem viereckigen, an
mehreren dünnen Bändern getragenen Gegenstand. Auf einer Lekythos in Athen
(ebenda Taf. 9, 2 S. 261) hält ein Mädchen einen viereckigen Gegenstand in der Hand.
Beides könnten von der Seite gezeichnete Rollen sein, aber mit Bestimmtheit läßt
es sich nicht behaupten. Mehr Wahrscheinlichkeit hat diese Deutung aber in einem
anderen Falle. Auf einigen Grabmälern sehen wir im Giebelschmuck neben Sirene,

zwischen den beiden Schnittflächen, und wenn
wir dem »Lygdamus« nicht einen solchen Lapsus
zutrauen wollen, werden wir wohl ändern müssen.
9) Ich urteile nach einer Photographie.
10) Vgl. Furtwängler, Beschreibung der Glyptothek
Nr. 264; Brunn, Beschreibung Nr. 136; Hock,
Weihegebräuche 58.

") Für die älteren Lekythen reiche Zusammen-
stellung bei Fairbanks, Athenian Lekythoi (New
York 1907); vgl. Walters, Ancient pottery I 458;
II 157-
I2) Hierfür mögen als Beispiele Conze Nr. 1324 aff.
genügen.
 
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