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E. Petersen, Der kretische Bildersarg. 163

die Hauptsache hätte der Maler weggelassen, setzt der Interpret hinzu. Fehlt doch
unter dem Eimer, der, selbst durchlocht, ein schlechter Trichter wäre, auch jede
Andeutung einer Grube oder sonstwie zur Aufnahme des Blutes bereiteten Stätte.
Also vielmehr nach oben, scheint es, auf die zwei mit Grün umkleideten Pfeiler hat
man die Darbringung zu beziehen, wie sie unten auf beide sich gründet. Eben die
Pfeiler sind von größter Bedeutung, um so mehr, als auch auf der andern Langseite
des Sarges, an demselben Kopfende, wie ich vermute, der ministrierenden Priesterin
wieder ein solcher mit Doppeläxten gekrönter Pfeiler gegenübersteht. Der Zu-
sammenhang der beiden heiligen Handlungen wird aber noch offenbarer und be-
deutungsvoller durch die ausgesprochene Gegensätzlichkeit: hier nur ein Pfeiler,
dort zwei; diese zwei mit grünem Laub umkleidet, jener eine kahl und ohne Grün;
auf den zwei grünen Pfeilern die Vögel von der Priesterin abgewandt, wie scheidend,
auf dem einen kahlen der Vogel ihr zugekehrt, wie ankommend. Also dort Paarung,
hier Vereinzelung; dort Scheiden, hier Kommen; dort die heiligen Symbolträger
grün, hier kahl und laublos. Und das ist, wie wir sehen werden, noch nicht alles,
doch schon genügend, uns den Gegensatz des Naturlebens in Sommer und Winter
vorzustellen. Sind doch auch die Doppeläxte als Symbol des Himmelsgottes an-
erkannt. Hat nicht ferner Paribeni mit Recht bemerkt, daß jene Vögel nicht sym-
bolische »Seelenvögel« seien, sondern wirkliche? Als Boten des Höchsten bei Homer
allbekannt, spielen sie ja in der griechischen Mythologie, grade auch bei dem Wechsel
des Naturlebens, ihre Rolle. Lehrte nicht 0. Jahn uns in seinem inhaltsschweren
Europeaufsatz die Münzbilder der Kreterstadt Gortyn verstehen, wo die ein-
same Europe trauernd auf der Platane sitzt, bis ihr Zeus als Adler naht und zu-
letzt in den Schoß fliegt? Als Schwan, vom Adler gejagt, derselbe in den Schoß
der Nemesis. Und wie den Schwan der Adler, so scheucht den Kuckuck, durch dessen
Ruf Zeus in Hesiods Tagw. 486 den fruchtbaren Frühlingsregen verkündet, ein Regen-
sturm in den Schoß der Hera, die einsam, in Trauer wie Europe, in Groll wie De-
meter, sitzend aus andern Sagen bekannt ist. Weil er als Kuckuck der Göttin -ge-
naht war, die Widerstrebende gewonnen hatte, sollte Polyklet das Szepter seiner
goldelfenbeinernen Hera mit diesem Vogel gekrönt haben 4).
Welche Vögel sind es nun, die auf den Pfeilern unserer Urne sitzen? Man
hat sie als Adler, als Tauben, als Raben, als Spechte gedeutet. Doch spricht gegen
Adler und Raben der Schnabel und die Farbe, diese aus dunkel und hell gemischt;
gegen Tauben und Spechte das Sitzen auf einer Spitze und gegen letztere die Größe.
An den Kuckuck ließ mich zuerst die Haltung der Flügel denken, da er sich mir
jüngst wiederholt, grade zozzuCcdv, oben auf einem Wipfel sitzend zeigte, mit losen,
nicht angeschlossenen Flügeln, wie die Vögel unserer Urnenbilder, entgegen der
Gewohnheit der andern genannten Vögel. Freilich könnte man sagen, daß dort das
vorausgegangene oder folgende Fliegen des kommenden oder der scheidenden Vögel
angedeutet sei. Aber auch so scheint mir der Kuckuck den Vorzug zu haben. Übrigens,
wenn auch der Maler sicher einen bestimmten Vogel meinte, so zeigen doch die
verglichenen Mythen, daß in ihnen verschiedene Vögel dieselbe Rolle spielten.
4) Vgl. Weickers Griech. Götteri. I 360.

Jahrbuch des archäologischen Instituts.

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