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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 27.1912

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Frickenhaus, August: Der Schiffskarren des Dionysos in Athen
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https://doi.org/10.11588/diglit.44287#0090
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A. Frickenhaus, Der Schiffskarren des Dionysos in Athen.

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Um diesen festen Kern ranken sich die entzückenden dichterischen Zutaten *),
der sprudelnde Wein, Löwe und Bär, die Verwandlung in Delphine. Entstanden
aber ist das Gedicht offenbar an einem Orte, wo jedermann das Schiff mit dem Gott
und dem Steuermann und der Laube darüber wohl kannte. Wo war das?
U. von Wilamowitz hat einst dargelegt, daß schon wegen der attischen Form
Διόνυσος der Hymnus in Attika entstanden sei2), und Crusius hat sich
bemüht nachzuweisen, daß auch einzelne dichterische Elemente auf das gleiche
Ursprungsland hindeuten. Er selbst glaubte ihn speziell in Brauron lokalisieren zu
sollen, aber seine Gründe sind wenig stichhaltig 3). Wo wir nun gelernt haben, daß
der Schiffskarren zu den Διονύσια έν άστει gehörte, scheint es mir wahrscheinlich,
daß der Hymnus in Athen selbst, etwa in der zweiten Hälfte des VI. Jahrh., entstand.
Ist das richtig und haben wir die Absicht des Gedichtes richtig gedeutet, so lehrt es
uns, daß die Athener selbst sich wunderten, daß der neue Gott immer auf dem Schiff
in die Stadt einzog, und deshalb eine mythische Begründung verlangten. Anderer-
seits aber wage ich auch den Hymnus — für den Fall, daß er wirklich attisch und
nicht etwa smyrnäisch sein sollte — für die Rekonstruktion des athenischen Zuges
heranzuziehen: auch hier hat vermutlich wie in Smyrna der Priester als Steuer-
mann in dem Schiff gesessen, trotzdem ihn unsere drei Skyphoi, die aber vermut-
lich von derselben Hand stammen und daher einen einzigen Zeugen vorstellen, nicht
wiedergeben.
Die Athener des VI. Jahrh. haben das Karrenschiff für den neugekommenen
Eleuthereus verwandt oder erfunden; durch seine alljährliche Wiederkehr hat es
außerordentliche Wirkungen hervorgerufen. Zwar in Athen selbst okkupierte Athena
immer mehr das Schiff des Dionysos, aber es inspirierte auch mehrere Vasenbilder
und vor allem einen prächtigen Hymnus, der seinerseits wieder reiche literarisch-
mythische Konsequenzen hatte und auch die bildende Kunst (Lysikratesmonument)
befruchtete. Außerhalb Athens aber imitierten andere Städte den carrus navalis,
ja in dem Worte Karneval scheint er noch auf unsere Tage fortzuleben, auf Wegen,
die die Kenner Italiens und des Mittelalters noch im einzelnen darzulegen haben.

Berlin.

August Frickenhaus.

T) Zu ihnen rechne ich auch die Jugendlichkeit
des Dionysos (vgl. Crusius 203): ein bärtiger
Mann konnte nicht gut geraubt werden, wohl
aber ein zarter Jüngling. Der Hymnus scheint
älter als Pindar (Crusius 204), gehört also einer
Zeit an, in der die bildende Kunst nur den
bärtigen Dionysos kannte.
z) Literatur und Belege bei G. Meyer, Griech.
Grammatik3 381. Die Form Διόνυσος beschränkt
sich aber nicht auf Attika.

3) Auf das einzelne kann ich nicht eingehen, aber
ich glaube (mit A. Mommsen, Feste der Stadt
Athen 455 Anm. 4) nicht einmal, daß es in
Brauron überhaupt Dionysien gab. Nur der
Scholiast von Aristoph. Frieden 874 ff. spricht
von ihnen, aber er hat sie erfunden, weil ihm
die unanständigen Witze des Aristophanes, die
offenbar auf die penteterischen Brauronien gehen,
ein Dionysosfest anzudeuten schienen.

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