E. Weigand, Baalbek und Rom, die römische Reichskunst in ihrer Entwickelung und Differenzierung. q [
Kulturkreis hat sich jedoch im übrigen eine selbständige, von der westlichen klar
unterscheidbare Formenwelt geschaffen, die ihren prägnantesten Ausdruck im Akan-
thusblattypus und der Behandlung des korinthischen Kapitells findet, sich aber
nirgends verleugnet. Innerhalb dieser östlichen Hauptgruppe setzt sich Syrien gegen-
über Kleinasien (und dem starr konservativen Griechenland) klar ab durch anders-
artige Ausbildung, Gruppierung und Auswahl bestimmter Schmuckformen, besonders
der Kymatien, seit der hadrianischen Zeit scheint sich die Differenzierung rascher
und deutlicher auszuprägen: Kleinasien zeigt eine größere Mannigfaltigkeit und
Freiheit der Bildungen bei stärkerer Zurückhaltung in der technischen Mache, Syrien
hält sich mehr an einen eng und kanonisch begrenzten Formenkreis, dem es aber
die reichste Wirkung durch üppige Formenbehandlung abzugewinnen vermag. Soweit
der Osten nach dem Westen übergreift, scheint Kleinasien (und Griechenland) die
Formgebung zu bestimmen. In der gesamten Entwickelung gehen Syrien und Klein-
asien parallel, die höchste Blüte erreichen beide um die Mitte des 2. Jahrhs., in der
hadrianischen und antoninischen Zeit, mit dem Ausgang des 2. Jahrhs. beginnt ein
Erlahmen, das sich im 3. Jahrh. fortsetzt: Baalbek bezeichnet den Höhepunkt der
römisch-syrischen Baukunst vor dem langsam einsetzenden Rückbildungsprozeß.
Für die römische Kunst bezw. Reichskunst scheint sich mir endlich wenigstens
einiges Sichere zu ergeben: Die Tatsache, daß sich in römischer Zeit zwei große,
in sich einheitliche Formgruppen bilden, die in und trotz allen provinziellen Sonder -
entwickelungen bestehen bleiben, schließt m. A. n. die Einheitsformel »Hellenismus«
aus. Daß die künstlerische Grenzlinie zwischen beiden zugleich die sprachliche ist,
beweist, daß hier kein Zufall und keine Willkür waltet, sondern tiefer liegende
Gründe bestimmend sind: die lateinische Kultur des Westens, Rom im weiteren
Sinne, hat sich in der Kaiserzeit einen ebenso gemäßen und notwendigen Aus-
druck seiner Wesensart geschaffen wie der griechische Osten. Es hat sogar mehr
getan: die oben gemachten Beobachtungen zeigen das augusteische Rom als künst-
lerisch fortgeschrittensten Punkt im ganzen Reiche; kraft eines Naturgesetzes übt
es darum auf die gesamte Richtung der künstlerischen Entwickelung einen un-
widerstehlichen Einfluß: wie von einem Hochdruckgebiete strömt er nach allen
Seiten aus, zugleich vernichtend und belebend. Die alten provinziellen Sonder-
formen gehen unter, die neuen Einheitsformen fassen Wurzeln; die weitere Ent-
wickelung geht in der Hauptsache den Weg, der in augusteischen Bauten des
Westens am frühesten vorgezeichnct ist.
Athen.
Edmund Weigand.
Kulturkreis hat sich jedoch im übrigen eine selbständige, von der westlichen klar
unterscheidbare Formenwelt geschaffen, die ihren prägnantesten Ausdruck im Akan-
thusblattypus und der Behandlung des korinthischen Kapitells findet, sich aber
nirgends verleugnet. Innerhalb dieser östlichen Hauptgruppe setzt sich Syrien gegen-
über Kleinasien (und dem starr konservativen Griechenland) klar ab durch anders-
artige Ausbildung, Gruppierung und Auswahl bestimmter Schmuckformen, besonders
der Kymatien, seit der hadrianischen Zeit scheint sich die Differenzierung rascher
und deutlicher auszuprägen: Kleinasien zeigt eine größere Mannigfaltigkeit und
Freiheit der Bildungen bei stärkerer Zurückhaltung in der technischen Mache, Syrien
hält sich mehr an einen eng und kanonisch begrenzten Formenkreis, dem es aber
die reichste Wirkung durch üppige Formenbehandlung abzugewinnen vermag. Soweit
der Osten nach dem Westen übergreift, scheint Kleinasien (und Griechenland) die
Formgebung zu bestimmen. In der gesamten Entwickelung gehen Syrien und Klein-
asien parallel, die höchste Blüte erreichen beide um die Mitte des 2. Jahrhs., in der
hadrianischen und antoninischen Zeit, mit dem Ausgang des 2. Jahrhs. beginnt ein
Erlahmen, das sich im 3. Jahrh. fortsetzt: Baalbek bezeichnet den Höhepunkt der
römisch-syrischen Baukunst vor dem langsam einsetzenden Rückbildungsprozeß.
Für die römische Kunst bezw. Reichskunst scheint sich mir endlich wenigstens
einiges Sichere zu ergeben: Die Tatsache, daß sich in römischer Zeit zwei große,
in sich einheitliche Formgruppen bilden, die in und trotz allen provinziellen Sonder -
entwickelungen bestehen bleiben, schließt m. A. n. die Einheitsformel »Hellenismus«
aus. Daß die künstlerische Grenzlinie zwischen beiden zugleich die sprachliche ist,
beweist, daß hier kein Zufall und keine Willkür waltet, sondern tiefer liegende
Gründe bestimmend sind: die lateinische Kultur des Westens, Rom im weiteren
Sinne, hat sich in der Kaiserzeit einen ebenso gemäßen und notwendigen Aus-
druck seiner Wesensart geschaffen wie der griechische Osten. Es hat sogar mehr
getan: die oben gemachten Beobachtungen zeigen das augusteische Rom als künst-
lerisch fortgeschrittensten Punkt im ganzen Reiche; kraft eines Naturgesetzes übt
es darum auf die gesamte Richtung der künstlerischen Entwickelung einen un-
widerstehlichen Einfluß: wie von einem Hochdruckgebiete strömt er nach allen
Seiten aus, zugleich vernichtend und belebend. Die alten provinziellen Sonder-
formen gehen unter, die neuen Einheitsformen fassen Wurzeln; die weitere Ent-
wickelung geht in der Hauptsache den Weg, der in augusteischen Bauten des
Westens am frühesten vorgezeichnct ist.
Athen.
Edmund Weigand.