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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 30.1915

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Six, Jan: Kalamis
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https://doi.org/10.11588/diglit.44516#0088
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J. Six, Kalamis.

KALAMIS.
In seiner vor kurzem im Jahrbuch erschienenen Behandlung der Inschrift
des delphischen Wagenlenkers hat A. Frickenhaus der alten Deutung auf Aristobulos
neue Stützen verliehen, damit die Urheberschaft des Amphion von Knossos abgelehnt
und die Bahn für die Suche nach dem Meister der wunderbaren Bronze wieder frei
gemacht. Er selbst neigt der Meinung zu, daß man diesen inAegina zu vermuten habe,
und verweist dafür auf Studniczka * 2) und B. Curtius 3). Studniczkas Zusammen-
stellung des Kopfes des Wagenlenkers (Abb. 2) mit dem des Harmodios, der ägineti-
schen Athena und des Capranesischcn Anadumenos hat mir nie so recht einleuchten
wollen. Es sind gewiß Beziehungen da, aber nicht stärker, als sie sich z. B. bei der
Zusammenstellung eines Madonnenkopfes von Perugino mit solchen der Verrocchio
und Lionardo ergeben würden. Jene antiken Köpfe haben allerdings den Charakter
ihrer Epoche gemeinsam, innerhalb welcher der eine die obere, der andere die untere
Grenze bezeichnet; aber als Richtung sind sie sehr verschieden. Der herbe scharfe
Geist, die feste eckige Formgebung, die man selbst in der Kopie des Tyrannenmörders
noch zu erkennen meint, die knappe Konstruktion des Athenakopfes, so schlicht
und regungslos, der feine, fast zarte und dennoch überlegte Bau des Capranesischen
Kopfes stehen dem glatten Ovalrund des Wagenlenkers sehr fern, der das Knochen-
gerüst, wenn es auch nicht fehlt, nur eben erkennen läßt; hingegen spricht hier das
Außere eines nicht besonders intelligenten Menschen von innerer Erregung, als wäre
er von einem höheren Geiste ergriffen. Lieber als abermals an Peruginos ekstatische
Figuren erinnere ich hier an Memlings vanNieuwenhovcn, um zu veranschaulichen, was
mir an diesem Kopfe so ganz unäginetisch scheint: der Künstler drückt das seelische
Leben in seinem Siegerbilde aus. Will man bei greifbareren Dingen bleiben, so ver-
weise ich vor allem auf die Hauptformen. Der Schädel des Wagenlenkers ist rund im
Umriß von der Stirn bis zum Hinterkopf, selbst dem Tyrannenmörder gegenüber, ob-
gleich auch dieser keine Schädeltiefc hat, wie sie der Capranesische Kopf zeigt
und die Athena unter ihrem Helm vermuten läßt. Und wenn auf Studniczkas Tafel
die Vorderansichten der Köpfe nicht allzu abweichende Umrißlinien zeigen, so wäre
diese Übereinstimmung rasch zerstört, wenn man sie bei der Aufnahme mehr nach
vorn geneigt oder eine Dreiviertelansicht hinzugefügt hätte. Das Kinn der beiden
oberen Köpfe (Harmodios und Wagenlenker) ist nämlich breit, die Backen sind voll;
bei den unteren ist das alles zu einem schmaleren Oval verfeinert durch Abflachung
der Wangen und schärfere Begrenzung des Kinnes.
Die nächsten Verwandten des Wagenlenkers sehen anders aus. Homolle hat
die »boudeuse«, das Weihgeschenk des Euthydikos 4), genannt, ich füge den ludo-
visischen Kolossalkopf 5) (Abb. 1) hinzu. Die erstere ist wohl sicher älter, und da

1) XXVIII 1913 S. 52. 3) Zu Brunn-Bruckmann Taf. 601 S. 28.
2) Jahrbuch XXII 1907 S. 137. 4) Akropolis-Museum Nr. 686 und 699.
5) Helbig, Führer II Nr. 1288.
 
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