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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 30.1915

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Schröder, Bruno: Die polygnotische Malerei und die Parthenon-Giebel
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https://doi.org/10.11588/diglit.44516#0142
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120 Β· Schröder, Die Polygnotische Malerei und die Parthenongiebel.

werk oder Teil eines größeren Ganzen war. Die geringe Ausarbeitung des Rückens
möchte darauf schließen lassen, daß die Rückseite nicht sichtbar und etwa einer
Giebelwand zugekehrt war. Die Stellung ist ganz ruhig; man könnte sich daher die
Figur als die Mittelfigur einer Giebelkomposition denken. Nicht darf die
geringe Bewegung des Beines in Verbindung mit den wehenden Falten am linken
Oberschenkel zu der Vorstellung verleiten, als sei die Statue Teil einer größeren be-
wegten Gruppe, in der sie schreitend oder laufend mitagierte. Dafür sind die Beine
nicht genug gespreizt, und solch Flattern des Gewandes bei unbewegt stehendem
Körper kommt als Nachahmung eines eleganten Pinselstriches öfter vor T). Können
wir so Zeit und Benennung des Torsos bestimmen, so sind wir auch, wenn wir ihn
als Kunstwerk bewerten wollen, vor allem auf den Chiton angewiesen.
Der Chiton sieht aus wie dünner, durchscheinender Stoff, der sich in feinen
Falten den Körperformen eng anschmiegt. Der Körper ist erkennbar am unteren
Rande der breiten Brustmuskel und an der linken Hüfte, wo die Furche zwischen
Bauch und Oberschenkel sich einzeichnet. Eine reichere Masse von Stoff schiebt sich
vorn am Unterleib zusammen, wo, ähnlich wie an den drei Amazonenstatuen, das
Gewand über den unteren Gurt hochgezogen ist, so daß geschwungene Falten
nach den Schenkeln zu ausstrahlen und der obere Bausch hier etwas tiefer als rings
um den Körper hinabreicht. Wie nun die feinen Falten von den Schulterspangen
an über die Brust wegführen, sich am Gürtel zusammenschieben und sich am
Bauche stauen, ineinanderfließen, umbiegen, um dann wieder über die Schenkel
zu rieseln, das ist mit meisterhaftem Können und wunderbarer Leichtigkeit aus-
geführt. Solch ein vollkommen schönes Gewand tut der Schönheit des Körpers
keinen Eintrag. Vielmehr bleibt dessen Umriß ungestört, die Hauptformen sind voll-
kommen sichtbar, und selbst, wo die Falten eigentlich frei herabhängen und ein eigenes
Leben über dem Körper führen müßten, am linken Oberschenkel, werden sie, wie
durch einen Luftzug, in leicht fließenden Wellen an den Schenkel geweht, so daß auch
hier die Form erkennbar bleibt. Zudem ist das Gewand durch Bausch und Gürtel in
einem so schönen Verhältnis gevierteilt, daß dadurch die machtvolle Anlage des
Körpers noch gesteigert wird und die erhabene Schönheit ihre unmittelbare Wirkung
übt. Wir haben diese Art, Gewand zu stilisieren, als Erfindung der Malerei erschlossen
und sind durch die herangezogenen malerischen Bildwerke in die nächste Nähe des
Polygnot gelangt; durch die Skulpturen, die sich durch ihren Stil mit dem Torso
zu einer Gruppe zusammenschließen, wurden wir immer wieder an den thasischen
Meister erinnert; so dürfen wir es getrost eingestehen, wenn wir meinen, auch vor
diesem Torso Polygnots großen Geist zu verspüren.
Berlin. B. Schröder.

T) Amelung, Röm. Mitt. XVI 1901, 29. Dazu auf
einer Vase im Louvre Artemis in einem ähnlich

feinen und gegürteten Chiton. Furtw.-Reichh.,
Gr. Vm. Taf. 120, 4. Vgl. A. J. XXIX 1914, 153.
 
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