Heimatrecht für Bilder
Funktionen und Formen des Rahmens im 19. Jahrhundert
Wenn es nach der Ästhetik der autonomen Kunst gegangen wäre, die in der
2. Hälfte des 18. Jahrhunderts formuliert worden ist, hätte es mit dem Rahmen
in der Folgezeit keine Probleme geben dürfen. Der Rahmen würde danach nur
das vollziehen und bestätigen, was das Bild schon selbst, mit eigenen Mitteln
und in seiner eigenen Sphäre geleistet hätte, nämlich Einheit, Ganzheit,
Vollkommenheit zu sein. Karl Philipp Moritz: »Durch den Wert und Umfang
des Gemäldes zeichnet die Grenzlinie sich von selber ... Das Bild stellt etwas
in sich Vollendetes dar; der Rahmen umgrenzt wieder das in sich Vollendete.«1
Noch kürzer sagt es Friedrich Schlegel: »Jedes Kunstwerk bringt den Rahmen
mit auf die Welt ...« 2
Der Gedanke einer innenbestimmten Ästhetik des Verhältnisses von Bild und Rahmen
hat im 19. Jahrhundert seine Geltung behalten - in der Praxis und in der Theorie. Aber
man kann nicht sagen, daß dieser Ansatz hat verhindern können, daß der Rahmen im
19. Jahrhundert erst eigentlich zum Thema, zur Aufgabe, zur »kritischen Form« wurde und
daß ganz andere Ansatzweisen entwickelt worden sind. Dies alles nicht, weil Künstlerlaune
oder Zeitmoden das so wollten, sondern weil dieses Funktionselement, dieses Trenn- und
Bindeglied, das zwischen Innen und Außen steht, im 19. Jahrhundert von innen wie von
außen unter Druck gesetzt wurde: von neuen Formen des Bildes und von neuen Bean-
spruchungen des Bildes. Man merkt diese Belastung den theoretischen Verlautbarungen
an, auch und gerade denjenigen, welche der klassischen Theorie folgen. Georg Simmel hat
sie 1902 noch einmal wie ein Dogma zusammengefaßt: »Das Wesen des Kunstwerks aber
ist, ein Ganzes für sich zu sein, keiner Beziehung zu einem Draußen bedürftig, jeden seiner
Fäden wieder in seinen Mittelpunkt zurückspinnend.« Daraus resultiere für den Rahmen,
daß er »unbedingter Abschluß« sei, »der die Gleichgültigkeit und Abwehr nach außen und
den vereinheitlichenden Zusammenschluß nach innen in einem Akte ausübt.«3 Auffällig
ist bis in die Wortwahl hinein das kämpferische, »abwehrende« Moment, der Anta-
gonismus gegen das Außen und der Druck auf das Innen - zwei Argumente, die in der
entspannteren Definition von Moritz und Friedrich Schlegel noch ganz fehlen.
Daß schwierige Zeiten und Verhältnisse angesagt waren, erfährt man aus jener be-
rühmten Auseinandersetzung, die mit dem ersten nennenswerten Versuch eines Künstler-
1 Karl Philipp Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik hrsg. v. Hans Joachim Schrimpf, Tübingen 1962,
S. 210.
2 Friedrich Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur hrsg. v. Hans Eichner (Kritische Friedrich-Schlegel-
Ausgabe, Bd. 17,1), Paderborn/München/Wien 1981, S. 92.
3 Georg Simmel, Der Bilderrahmen. Ein ästhetischer Versuch Ü902), in: Zur Philosophie der Kunst, Potsdam
1922, S. 46.
Funktionen und Formen des Rahmens im 19. Jahrhundert
Wenn es nach der Ästhetik der autonomen Kunst gegangen wäre, die in der
2. Hälfte des 18. Jahrhunderts formuliert worden ist, hätte es mit dem Rahmen
in der Folgezeit keine Probleme geben dürfen. Der Rahmen würde danach nur
das vollziehen und bestätigen, was das Bild schon selbst, mit eigenen Mitteln
und in seiner eigenen Sphäre geleistet hätte, nämlich Einheit, Ganzheit,
Vollkommenheit zu sein. Karl Philipp Moritz: »Durch den Wert und Umfang
des Gemäldes zeichnet die Grenzlinie sich von selber ... Das Bild stellt etwas
in sich Vollendetes dar; der Rahmen umgrenzt wieder das in sich Vollendete.«1
Noch kürzer sagt es Friedrich Schlegel: »Jedes Kunstwerk bringt den Rahmen
mit auf die Welt ...« 2
Der Gedanke einer innenbestimmten Ästhetik des Verhältnisses von Bild und Rahmen
hat im 19. Jahrhundert seine Geltung behalten - in der Praxis und in der Theorie. Aber
man kann nicht sagen, daß dieser Ansatz hat verhindern können, daß der Rahmen im
19. Jahrhundert erst eigentlich zum Thema, zur Aufgabe, zur »kritischen Form« wurde und
daß ganz andere Ansatzweisen entwickelt worden sind. Dies alles nicht, weil Künstlerlaune
oder Zeitmoden das so wollten, sondern weil dieses Funktionselement, dieses Trenn- und
Bindeglied, das zwischen Innen und Außen steht, im 19. Jahrhundert von innen wie von
außen unter Druck gesetzt wurde: von neuen Formen des Bildes und von neuen Bean-
spruchungen des Bildes. Man merkt diese Belastung den theoretischen Verlautbarungen
an, auch und gerade denjenigen, welche der klassischen Theorie folgen. Georg Simmel hat
sie 1902 noch einmal wie ein Dogma zusammengefaßt: »Das Wesen des Kunstwerks aber
ist, ein Ganzes für sich zu sein, keiner Beziehung zu einem Draußen bedürftig, jeden seiner
Fäden wieder in seinen Mittelpunkt zurückspinnend.« Daraus resultiere für den Rahmen,
daß er »unbedingter Abschluß« sei, »der die Gleichgültigkeit und Abwehr nach außen und
den vereinheitlichenden Zusammenschluß nach innen in einem Akte ausübt.«3 Auffällig
ist bis in die Wortwahl hinein das kämpferische, »abwehrende« Moment, der Anta-
gonismus gegen das Außen und der Druck auf das Innen - zwei Argumente, die in der
entspannteren Definition von Moritz und Friedrich Schlegel noch ganz fehlen.
Daß schwierige Zeiten und Verhältnisse angesagt waren, erfährt man aus jener be-
rühmten Auseinandersetzung, die mit dem ersten nennenswerten Versuch eines Künstler-
1 Karl Philipp Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik hrsg. v. Hans Joachim Schrimpf, Tübingen 1962,
S. 210.
2 Friedrich Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur hrsg. v. Hans Eichner (Kritische Friedrich-Schlegel-
Ausgabe, Bd. 17,1), Paderborn/München/Wien 1981, S. 92.
3 Georg Simmel, Der Bilderrahmen. Ein ästhetischer Versuch Ü902), in: Zur Philosophie der Kunst, Potsdam
1922, S. 46.