Teleologie der Malerei
Selbstporträt und Zukunftsreflexion bei Poussin und Veläzquez
i. Der Kontext im Text
Um zu Poussin und Veläzquez zu gelangen, fange ich am anderen Ende der Welt und der
Kulturgeschichte an, bei den Melangganen New Irelands, einer Insel des Bismarck-
Archipels. Ich stieß im Zusammenhang dieser hölzernen Ritualstelen (Abb. i) auf eine
Problematik, die es mir, im Gegenschnitt sozusagen, ermöglicht klarzumachen, worauf
ich hier hinauswill. Als »gifts to God« erfüllen diese Skulpturen ihre Funktion im Toten-
kult, wenn sie zerfallen und verrotten und so den Erinnerungsträger Geruch, Duft erzeu-
gen — Verrottung, Geruch und Substanz der Seele sind in der Sprache dieser Region iden-
tisch. In unseren Museen dagegen werden sie konserviert und als ästhetische Objekte
rezipiert. Dazu die Anthropologin Susanne Küchler in einer 1988 erschienenen Publika-
tion: »Sammlungen von Objekten, welche zur Vernichtung geschaffen wurden, bleiben
so lange für die Analyse unerschlossen, als wir an westlichen Kunstwerken gewonnene
Kriterien an sie herantragen und die besonderen konzeptionellen Bedingungen ihrer
Herstellung vernachlässigen. Wir nehmen z.B. stillschweigend an, daß das Faktum Zer-
störung keine Relevanz hat für die Art und Weise, wie sie hergestellt werden und wie sie
im Vorgang der Herstellung ihre Form finden. In den Sammlungen unterschlagen wir also
die Relation zwischen Objekt und Zeitlichkeit des Objektes [...].«* Ich brauche für die
Zwecke meiner Untersuchung und damit für die Bedingungen und das offenbare Ziel
westlicher Kunst, das Dauer, Überleben, Traditionsbildung heißt, nur weniges umzu-
schreiben, um ein auch für die westliche Kunstgeschichte geltendes generelles Defizit an-
zudeuten: Wir nehmen für Werke der westlichen Kunst stillschweigend an, daß das Ziel
Dauerhaftigkeit keine oder nur kunsttechnologische Relevanz hat für die Art und Weise,
wie sie hergestellt werden und wie sie im Vorgang der Herstellung ihre Form finden. Dazu
noch ein Gedanke, den die Melanggane nahelegen, bevor ich diese für meine Zwecke fallen
lasse: Das Telos Zerstörtwerden erfüllt sich ebenso wie das Telos Überdauern im Ritual
bzw. im erstarrten Ritual, in der Institution. Seit dem 15. Jahrhundert verwirklicht sich ein
Gutteil abendländischer Kunstproduktion in einem der fragilsten Medien, das man sich
vorstellen kann, als Tempera- oder Ölmalerei auf Leinwand. Aus eigener Kraft überleben
diese Werke nicht; sie sind existentiell auf einen gesellschaftlichen Rahmen angewiesen,
der ihre Zukunft sichert, so wie umgekehrt die aus gutem Holz und von Spezialisten ge-
fertigten Melanggane des melanesischen Totenkults bedürfen, um ihrem Endziel Zerstö-
rung entgegenzugehen. Mit den Worten des Soziologen Michael Thompson: »Dauerhaf-
i S. Küchler, Malangan: Objects, Sacrifice and the Production of Memory, American Ethnologist 15, 1988,
S. 626.
Selbstporträt und Zukunftsreflexion bei Poussin und Veläzquez
i. Der Kontext im Text
Um zu Poussin und Veläzquez zu gelangen, fange ich am anderen Ende der Welt und der
Kulturgeschichte an, bei den Melangganen New Irelands, einer Insel des Bismarck-
Archipels. Ich stieß im Zusammenhang dieser hölzernen Ritualstelen (Abb. i) auf eine
Problematik, die es mir, im Gegenschnitt sozusagen, ermöglicht klarzumachen, worauf
ich hier hinauswill. Als »gifts to God« erfüllen diese Skulpturen ihre Funktion im Toten-
kult, wenn sie zerfallen und verrotten und so den Erinnerungsträger Geruch, Duft erzeu-
gen — Verrottung, Geruch und Substanz der Seele sind in der Sprache dieser Region iden-
tisch. In unseren Museen dagegen werden sie konserviert und als ästhetische Objekte
rezipiert. Dazu die Anthropologin Susanne Küchler in einer 1988 erschienenen Publika-
tion: »Sammlungen von Objekten, welche zur Vernichtung geschaffen wurden, bleiben
so lange für die Analyse unerschlossen, als wir an westlichen Kunstwerken gewonnene
Kriterien an sie herantragen und die besonderen konzeptionellen Bedingungen ihrer
Herstellung vernachlässigen. Wir nehmen z.B. stillschweigend an, daß das Faktum Zer-
störung keine Relevanz hat für die Art und Weise, wie sie hergestellt werden und wie sie
im Vorgang der Herstellung ihre Form finden. In den Sammlungen unterschlagen wir also
die Relation zwischen Objekt und Zeitlichkeit des Objektes [...].«* Ich brauche für die
Zwecke meiner Untersuchung und damit für die Bedingungen und das offenbare Ziel
westlicher Kunst, das Dauer, Überleben, Traditionsbildung heißt, nur weniges umzu-
schreiben, um ein auch für die westliche Kunstgeschichte geltendes generelles Defizit an-
zudeuten: Wir nehmen für Werke der westlichen Kunst stillschweigend an, daß das Ziel
Dauerhaftigkeit keine oder nur kunsttechnologische Relevanz hat für die Art und Weise,
wie sie hergestellt werden und wie sie im Vorgang der Herstellung ihre Form finden. Dazu
noch ein Gedanke, den die Melanggane nahelegen, bevor ich diese für meine Zwecke fallen
lasse: Das Telos Zerstörtwerden erfüllt sich ebenso wie das Telos Überdauern im Ritual
bzw. im erstarrten Ritual, in der Institution. Seit dem 15. Jahrhundert verwirklicht sich ein
Gutteil abendländischer Kunstproduktion in einem der fragilsten Medien, das man sich
vorstellen kann, als Tempera- oder Ölmalerei auf Leinwand. Aus eigener Kraft überleben
diese Werke nicht; sie sind existentiell auf einen gesellschaftlichen Rahmen angewiesen,
der ihre Zukunft sichert, so wie umgekehrt die aus gutem Holz und von Spezialisten ge-
fertigten Melanggane des melanesischen Totenkults bedürfen, um ihrem Endziel Zerstö-
rung entgegenzugehen. Mit den Worten des Soziologen Michael Thompson: »Dauerhaf-
i S. Küchler, Malangan: Objects, Sacrifice and the Production of Memory, American Ethnologist 15, 1988,
S. 626.