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Kemp, Wolfgang; Heck, Kilian [Hrsg.]
Kemp-Reader: ausgewählte Schriften — München, Berlin: Dt. Kunstverl., 2006

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https://doi.org/10.11588/diglit.55647#0195

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Parallelismus als Formprinzip
Zum Bibelfenster der Dreikönigskapelle des Kölner Doms

»Alles Formale läßt sich auf das Prinzip des Parallelismus zurückfuhren«.
Gerald Manley Hopkins 1865 1
Die Glasgemälde im zweibahnigen Scheitelfenster der Dreikönigen-Kapelle des Kölner
Doms haben die Kunstgeschichte bisher vor allem aus ikonographischen und typologi-
schen Gründen interessiert: Die enorm erfolgreiche Bildformel des Bibelfensters können
wir hier zuerst greifen und die Versuchung ist groß, in diesem Falle ein »Primärwerk« im
Sinne George Kublers anzunehmen, eine Bildschöpfung, die aus besonderem Anlaß und
unter Mitwirkung eines besonderen Autors zustandekam und zahlreiche Folgewerke nach
sich zog. Was den Autor anbelangt, so liegt der Gedanke an Albertus Magnus nahe. Ikono-
graphie, Rezeption, Autorschaft sollen jedoch hier nicht oder nur am Rande gestreift
werden. Das Thema meines Beitrages ergibt sich aus dem kompositionsgeschichtlichen
Rang des Fensters; seine geistreiche und evidente Disposition soll der Anlaß sein, Argu-
mentationsweisen der Glasmalerei im 13. Jahrhundert, vor allem der deutschen Glasmale-
rei, systematischer zu untersuchen, als das bisher geschehen ist.
Die bis ins erste Viertel des 13. Jahrhunderts allein herrschende Form der einbahnigen
und relativ breiten Fensterlichte ist in der deutschen, der englischen und der französischen
Glasmalerei verschieden genutzt worden. Es hat den Anschein, als hätte es nach 1150 für
eine kurze Zeit eine Art internationalen Standard gegeben, der sich auf die hochentwickelten
Dispositionskünste der Rhein-Maas-Kunst berufen konnte, vor allem wenn es um kom-
pliziertere Themen wie die Typologie ging2. Die Fenster in Chälons-sur-Marne, in Soest,
in Canterbury sind da nicht sehr weit auseinander. Danach aber kommt es zu einer deut-
lichen Scheidung: Die vitrearii der großen französischen und englischen Kathedral-
neubauten entwickeln aus der schematischen Vorlage der typologischen Kompositionen
einen Fundus höchst variabler und komplexer Formgerüste - für viele Zwecke, narrative
wie thematische. In Frankreich und in England ist das Disponieren in geometrischen- und
hypotaktischen Figuren die vorherrschende Methode bis in die zweite Hälfte des 13. Jahr-
hunderts hinein. Erst danach, nach über hundert Jahren, hat ein anderer architektonischer
Umgang mit der Fensteröffnung und hat ein anderes Bildkonzept diese über aus kreative

1 G. M. Hopkins, Gedichte, Schriften, Briefe, hrsg. v. H. Rinn, übers, v. U. Clemen u. F. Kemp, München
1954, S. 260.
2 Zur Entwicklung vor allem der französischen Dispositionssysteme s. L. Grodecki, Le vitrail et l’architecture
au Xlf'me er XIILrne siede, in: Gazette des Beaux-Arts 33,1949, S.jff.; ders., Romanische Glasmalerei, Stutt-
gart 1977, S.iSff; L. Grodecki u. C. Brisac, Le vitrail gothique au XII Fmc siede, Paris 1984, S.tyff.; W. Kemp,
Sermo corporeus. Die Erzählung der mittelalterlichen Glasfenster, München 1987, S. I3ff. Zu den deutschen
s. R. Becksmann, Architekturbedingte Wandlungen in der deutschen Glasmalerei des 13. Jh. in: Akten des
10. Internationalen Colloquiums des Corpus Vitrearum Medii Aevi, Stuttgart 1977, S. 19h
 
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