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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Zimmern, Helen: Hubert Herkomer, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0043

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von ff. Zimmern

25

Wahrheit gemalt, wie sie nur bei so genauer Beob-
achtung der Form bis in die geringste Einzelheit zu
erreichen ist, daß hierin der gründlichste Realist nicht
mehr zu leisten vermöchte. Beim Betrachten spürt man
aber auch, daß hier noch etwas mehr vorhanden ist,
als die gigantischen Formen, daß eine Seele daraus
spricht, und es wird Einem sofort klar, daß der
Schöpfer eines solchen Bildes ein Poet, ein Seher
sein muß, keiner von denen, die nur geschickt mit
Pinsel und Palette zu hantieren verstehen. In dem
1880 in der Akademie ausgestellt gewesenen „God's
Shrine" finden wir den gleichen mystischen Hauch, doch
ist hier das religiöse Moment deutlicher angegeben
durch den hölzernen Herrgottsschrein am Rande des
einsamen Bergpfades, der nach dem Gebirge jenseits
führt und sich zwischen den geheimnisvollen Höhen und
Schluchten verliert.

Als Vorläufer dieser beiden großen Werke
haben wir zwei bayerische Dorfszenen zu erwähnen,

„Dem Tode nah" und „Der Bittgang." Diese beiden
Bilder und besonders das letztere mit den schweren
Gewitterwolken, die über der Gruppe von Landleuten
schweben, welche für ihre Ernte beten, haben schon die
dem Künstler eigene kraftvolle Behandlung der Effekte
von Gebirgslandschaften erkennen lassen, wozu sich in
diesem Falle noch seine innige Fühlung mit dem Leben
der Bevölkerung seiner ländlichen Heimat gesellt. Auch
nach dem „Gloom of Jdwal" blieb er den bayerischen
Motiven treu, wie aus einem im Jahre 1885 aus-
gestellten Cyklus von Bildern ersichtlich ist, die Leben
und Treiben in den bayerischen Alpen veranschaulichen.

Als besonders anziehend darunter sind zu nennen:

„Kontraste", wo eine englische Dame und ihre Tochter
von einer Schar sie höflich begrüßender Dorfschulkinder
umringt werden, die soeben ins Freie gekommen, um ihr bescheidenes Mittagbrot zu essen; sodann „Gott
segne deinen Eingang und deinen Ausgang" — eine alte Frau mit einem Korb frischer Feldfrüchte, im
Begriff, sich in ihr Haus zu begeben, über dessen Thür der obige Text geschrieben steht; „Kühe, die von
der Alm Herabkommen", mit Guirlanden und andrem Schmuck behängen, der Kopf der Leitkuh sogar mit einer
Hülle von Goldstoff; „des toten Wilderers Vater", dieses ergreifende Werk, welches die dramatische Situation
darstellt, wo ein in der Dorfschenke sitzender alter Mann in dem Moment, da er den Wildhüter vorübergehen
sieht, der seinen Sohn erschossen hat, vor Wut ergrimmt von seinem Platz aufspringt, jedoch von den Um-
stehenden zurückgehalten wird. Dies sind einige dieser bayerischen Bilder, welche alle von der rührenden
Hochlandspoesie der Heimat des Künstlers durchweht sind.

Inzwischen hatten sich große Veränderungen in Herkomers Familienleben vollzogen. Die Mutter war
gestorben und der Vater 1879 zurückgekehrt, um wieder bei ihm zu leben. Zum Gedächtnis der braven Frau
hat ihr Sohn in Landsberg am Lech einen Turm erbaut, den er in rührender Pietät „Der Mutter Turm"
nennt. Auch dieser Bau ist eine Kunstschöpfung von ihm; die Zeichnungen, die Schnitzereien sind ganz sein
Werk und von ihm selbst oder doch unter seiner Leitung ausgeführt worden; und in der Wahl des Baumaterials —
rohe Mauersteine — hat er einen seiner eigenen, für die Architektur aufgestellten Grundsätze dargethan, wonach
er stets dasjenige Material angewendet sehen will, welches zur Hand liegt, damit das architektonische Kunst-
werk sich mit der Umgebung in Harmonie befinde.

Im Jahre 1881 hat Gott ihn in seiner Gnade von der Bürde erlöst, welche seine erste Gattin ihm
gewesen; 1884 heiratete er wieder und seine Erwählte war Miß Griffith, welche so lange schon die beste
Freundin der ganzen Familie gewesen. Das unbeschreibliche Glück dieser Verbindung hat nur wenige Monate
gewährt. Am Tage vor der Eröffnung der bayerischen Gemäldeausstellung starb Frau Herkomer plötzlich an
einem Herzleiden. Herkomer suchte seinen Schmerz durch fieberhafte Thätigkeit zu betäuben. Nachdem er einen
Anfall von Gehirnentzündung in New-Zjork überstanden hatte, kam eine Zeit, in welcher er eine wahrhaft

Die Kunst für Alle VI H



Svinmerabschieds-Kostiim. von L. Bechstein

(7g. Bd. 1883)
 
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