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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Weihnachtsbücherschau
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58

Weibnachtsbücherschau

Kunst irgend etwas hätten, was uns einen einzelnen deutschen
Bolksstamm mit solcher Schärfe und zugleich so köstlichem Humor
in allen seinen verschiedenen Ständen schilderte. Denn wenn die
Frau Schneidermeisterin ihre Einladungskarten zu ihrer Hochzeits-
seier verschickt, so beglückt sie damit nicht nur andre Kollegen ihres
Mannes, sondern auch Leute wie Klaus Groth und unfern Maler
selber, Offiziere, Studenten und Ärzte, Kanfleute und ein zahl-
reiches weibliches Geschlecht aller Gattungen, oder was noch mehr
ist, aller Altersstufen. Ja, sie entzündet unter ihren Gästen einen
wahren Wetteifer, das offenbar besonders beliebte Jubelpaar durch
allerhand Veranstaltungen, so zunächst durch die Aufführung eines
eigens gedichteten Festspiels, zu verherrlichen. — Wie immer in
Deutschland, speziell aber in Hamburg, bildet das alles indes; nur
die Einleitung zu dem großen Festmahl, in dessen allein drei Blätter
füllender Schilderung Alters mit den Hochzeiten des Paul Veronese
wetteifert und ihn dabei wenigstens an drolligem Humor entschieden
übertrifft, an Schärfe der Charakteristik kaum hinter ihm bleibt.
Fürwahr, die Hamburger können sich Glück wünschen, einen solchen
Künstler als ihren Schilderer zu besitzen, der sie in ihren besten
Eigenschaften der Nachwelt überliefert, statt sie, wie Heine, an den
Pranger zu heften. Denn das ist gar keine Frage, daß man sie
bei Alters lieben und achten lernt, selbst wenn man über sie lacht.
Jedenfalls haben nur seit Menzel, Knaus und Defregger oder
Passim keinen Charakterdarsteller von solcher Schärfe und so fröh-
lichem Humor mehr hervorgebracht. Ja er kann einem durch seine so
anspruchlosen als meisterhaften Schilderungen den Glauben an
unsre Kämst wieder frisch befestigen, den so vieles in neuerer Zeit
zu trüben geeignet war. Der Reiz dieser Blätter wird allerdings
noch sehr durch ihre vortreffliche Wiedergabe in Lichtdruck gesteigert,
die so täuschend ist, daß man immer die Originalzeichnungen
selber vor sich zu haben glaubt.

Daß indes; Kupferstich und Radierung weit entfernt davon
sind, die Waffen vor der immer thätigcren.Photographie zu
strecken, ja daß sie ihr neuerdings sogar eher Terrain abgcwouncn
haben, dies zeigt sich Heuer noch deutlicher als früher. Haben wir

Die NuMngrkvmmijswn. von L. INanzcl

Aus „Berliner Pflaster"

doch eine ganze Reihe hochbedeutender neuer Publikationen beider
Kunsttechniken zu besprechen. So vor allem die riesige Ra-
dierung (ca. 50 cm hoch, 100 cm breit) von Paul Veroneses
berühmter Hochzeit zu Kanaan (Markdruck 400 M., vor der Schrift
200 M., mit der Schrift 60 M.) in der Dresdener Galerie durch
Prof. Raab hier, die das herrliche Bild mit all dem feinen Ver-
ständnis und jener Selbstaufopferung wiedergibt, die man an
diesem gediegenen Künstler gewöhnt ist. Raab hat nicht die
Bravour Köppings oder Ungers, oder vielmehr er will sie nicht
haben, um ganz die Handschrift seines Originals wiedergebcn zu
können. Das gelingt ihm denn auch besser als den meisten andern,
und besonders bei den vom Maler mit kolossaler Sicherheit hin-
geschriebcnen Gewändern glaubt man jeden Pinsclstrich wieder zu
erkennen. Die Köpfe aber, die hier von so großer Schönheit
sind, hat Raab jedenfalls feiner und charakteristischer durchgesührt,
als alle seine Vorgänger. — Ist das Pariser Bild als Gcsamt-
kompositiou unleugbar von größerem malerischen Reiz, so hat doch
der göttliche Paolo seine Zeitgenossen und Freunde nie mehr so
ausführlich und mit solch geistvoller Auffassung geschildert, darin
ist unser Bild unübertroffen. Das ganze große Blatt gibt darum
eine unvergleichliche Wandverzicrung für jeden Speisesaal ab, weil
es uns die heitere Schönheit venezianischen Lebens jener Zeit so
köstlich widerspiegelt.

Ganz in eine ideale Welt voll reiner Seligkeit führt uns
dagegen K ohlscheins Stich der weltbekannten Himmelfahrt oder
„unbefleckten Empfängnis" Mariä des Murillo im Louvre.
(Markdruck 500 M., Künstlerdruck 300 M., Truck vor der Schrift
160 M.) Hier, bei der Wiedergabe des mystischen Zaubers dieses Bildes,
der vor allem in seiner wunderbaren Lichtverteilung beruht, war un-
streitig der Grabstichel mehr am Platze, weil er größere Kraft und
helleres Licht zu erreichen gestattet als die Radiernadel, was denn auch
unser Künstler vortrefflich auszunützcn verstanden hat. Die merk-
würdige Feinheit der Übergänge aus dem strahlendsten Licht ins
tiefste Dunkel, wie sie die Madonna zu einem Wunder von Kunst
machen, und nicht weniger das reizvolle Gewimmel der um sie
im Helldunkel herumgaukelnden Engelchen hat er in seinem un-
wiederstehlich fesselnden, rein musikalischen Zauber vortrefflich
wiederzugeben verstanden. Aber auch die jungfräuliche Reinheit
und Demut, das Hingebungsvolle der Jungfrau, deren schüchterne
Mädchenhaftigkeit so sehr im Gegensatz'zu'der stolzen Fraucnwürde
Rafaelscher Madonnen steht, ist ihm vollkommen befriedigend ge-
lungen, wie die naive Liebenswürdigkeit des Ganzen, die von der
ernsten Majestät einer Sisto so merkwürdig absticht.

Ist auch Kvhlscheins großer Stich vor allem als glänzende
Wandverzicrung gedacht, so scheinen dagegen die drei Blätter nach
Van Dyckschen Porträten, welche das 4. Heft des Galeriewcrkcs
der Wiener Gesellschaft für vervielfältigende Kunst bilden, vor
allem für die Mappen der Sammler berechnet. So gab Ludwig
Kühn eine köstliche Radierung nach dem Bildnis des Kupfer-
stechers Malcry in der Münchener Pinakothek, wo die Wiedergabe
der Weichheit des schwammigen Fleisches bei dem beleibten Herrn
ebenso gelungen ist, als der etwas kokett pathetische Ausdruck.
Nicht ganz dasselbe feine Formverständnis zeigt der Graf von
der Borgh aus der Dresdener Galerie von Sounenleiter, dagegen
ist sein Harnisch prächtig glänzend gestochen und offenbart der
Grabstichel hier seine ganze Überlegenheit für Wiedergabe derartiger
metallischer Dinge. Das bekannte Bildnis der Königin Henriette
von England in der Dresdener Galerie hat dann Hecht in einem
ganz meisterhaften Holzschnitt wiedergegeben, wie wir deren
noch nicht allzuviele in Deutschland zählen. Fleisch, Haare,
Juwelen, Spitzen und Atlas sind hier gleich musterhaft
charakterisiert, wenn auch freilich die Vertiefung des Raumes
und die Wirkungen der Lust für dies spröde Material schwer
zu erreichen bleiben. Immerhin muß man sagen, datz diese
drei Blätter nach Van Dyck sämtlich ein hohes künstlerisches
Interesse haben, da jedes die Vorteile seiner spezifischen
Technik mit großem Geschick ausnünt. Frankel in Nürn-
berg hat dann in einem großen Stich das bekannte Bild
Martins wiedergegeben, welches die Königin Luise in
ihrem Zimmer, ihren beiden Soldaten spielenden Knaben
zusehend, darstellt. (Markdruck 160 M., Künstlerdruck 100
Mark, vor der Schrift 80 M., mit der Schrift 50 M.)

Die fast vergessene Technik der Stcinzeichnung treffen
wir immerhin mit Glück angewandt bei Paul Webers
„Landschaftsstudien" (Dannstadl, C. Koehler, Pr. 6 Ai.),
welche uns lebhaft die einst einen Weltruf genießenden
Zeichenvorlagen Wagenbauers ins Gedächtnis zurückgerufen
haben, die im Grunde unerreicht geblieben sind, obwohl
sie später im patriotischen Deutschland durch die viel weniger
 
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