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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Presber, Rudolf: "Poberetto", [6]: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0120

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86

poveretto".

Novellette

und rein halten, will dir kochen und dich bedienen, daß
die häßliche Alte, die vorhin das Frühstück brachte, dir
nicht mehr vor die Augen zu kommen braucht. Siehst
du mich nicht lieber nm dich, wie sie?" Sic sagte das
mit einem reizenden, schelmischem Lächeln.

Ich schwieg; ich konnte nicht sprechen, Angst und
Glück, Freude und Schmerz kämpften in meiner Brust.

„Du sollst mich nie zu schelten haben; ich bin ge-
wohnt zu arbeiten und thue es gern; ich sorge so gern
für jemand, der der Sorge bedürftig ist!"

Sie sagte das ganz ohne mir weh thun zu wollen,
sicherlich; aber cs that mir weh, sehr weh; mit einem
Schlage war ich wieder ich selbst.

„Du kannst bleiben", sagte ich ruhig; und sie blieb.

Ich hatte nun für zwei zu sorgen, aber das machte
mir Freude; sie behandelte mich wie ein Kind, und da
ich ihr nie von Liebe sprach und nie ihr Liebe verriet,
so war sie so zutraulich, daß es mich oft schmerzte, zu
sehen, wie wenig sie in mir den Mann achtete oder
fürchtete; wie ein kränkliches Kind wurde ich von ihr
gepflegt; sie duldete nicht, daß ich ihr mein Zimmer
abtrat, und jeden Abend machte sie sich dort in der Ecke
ein primitives Lager zurecht aus dem Theaterkram. Ich
wagte nie, sie zu bitten, mir als Modell zu stehen;
einmal aber, als ich eine Skizze, die ich noch auf der
Akademie gemacht hatte, ausführen wollte und den Arm
nicht recht zu stände brachte, trat sie ruhig heran und
sagte: „Willst du nicht meinen Arm nehmen?" Und
damit entblößte sie ihren weißen, runden Arm bis zur
Schulter und ich hatte daran ein Modell, wie ich schöner
keines hätte finden können. Sie ging nur abends aus,
um den Bekannten, vor allem dem Vormund nicht zu
begegnen, der noch Gewalt über sie hatte, da sic erst
achtzehn Jahre alt war.

Manchmal nahm sie meinen Arm, oder zog ihn
leicht durch den ihrigen. Stube und Atelier glänzten
vor Sauberkeit und Ordnung, und wenn ich malte,
stand sie ruhig dabei und gab ein ganz verständiges
Urteil ab; nur wenn ich mir alte Gondoliere oder
sonstige Modelle, die ich billig bekommen konnte, aufs
Zimmer kommen ließ, blieb sie nebenan und schloß die
Thür; sie fürchtete, erkannt zu werden und zurück zu
müssen in das Haus ihres Oheims.

Ich kämpfte mannhaft an gegen eine Leidenschaft,
die täglich mehr meiner Herr zu werden drohte; ich
suchte die Seelenruhe und Zufriedenheit zu heucheln, die
mir lauge schon dahin waren; und sie war immer das-
selbe sorglose Kind voll Dankbarkeit, voll von jener
Zärtlichkeit, welche die Mutter für ihr Kind und jedes
Weib für den von der Natur vernachläßigtcn Kranken
hegt. Ost war ich nahe daran, ihr alles zu entdecken
und ihr dann zu sagen: „Geh liebes Kind, du hast bis
jetzt einen Lichtstrahl auf mein ödes Dasein geworfen,
aber nun geh, denn der Strahl fängt an zu sengen und
zn zünden: schone meiner, Kind, und geh!"

Aber mein Stolz war zu mächtig; er schloß mir
die Lippen, er gab mir die Kraft, am Tage ruhig zu
scheinen, aber die Nächte, sie waren entsetzlich, reich an
Qualen, reich an Thränen, und mein schwacher Körper
wurde schwächer, aber auch mein starkes Herz drohte es
zu werden. Da kam die Wendung, aber von außen und
nicht aus uns selbst. —

Eines Tages, als ich gerade ein kleines Bild zum

Händler bringen und eben die Thür aufmachen will,
wird sie von außen geöffnet.

Ich sehe ein wohlbekanntes Gesicht, zwei starke
Arme umschließen mich herzlich, und ein alter Bekannter,
ein Freund von der Akademie, der etwas mehr als die
andern einst zu mir gehalten, drückt mir die Hand.
Richard ist sein Name, seinen Zunamen verschweige ich,
da Sie wohl später noch Bilder von ihm sehen werden;
er hat großes Talent und ist wohl auf dem Weg zu
Glück und Ruhm, denn er besitzt Genie und Rücksichts-
losigkeit in gleichem Maße.

Er begrüßte mich in seiner gewinnenden Weise,
warf dann einen Blick zu Maria hinüber, die den
schmucken, zwanzigjährigen Menschen nicht aus dem
Auge ließ.

„Spricht sie Deutsch!" fragte er leise.

„Nein."

„So", sagte er laut und unbekümmert, „also auf
solchen Wegen trifft man dich, deswegen kann man deine
Adresse nur mit Mühe und Not ausfinden; sieh, sieh,
das lob' ich mir; verschließt sich in solch kleines Paradies
und spielt Adam und Eva!"

Er lachte laut und herzlich über seinen Witz; aber
er war der einzige, der lachte. Das Mädchen verstand
ihn nicht, und ich hatte ein Gefühl in mir, wie Haß.

„Sie ist aber schön; ja, Junge, hast keinen üblen
Geschmack; wie oft hast du sie schon gemalt, gewiß
schon zwanzigmal?"

„Noch gar nicht", gab ich ärgerlich zurück; „laß
die Späße!"

„Noch gar nicht?" Er machte ein erstauntes Gesicht
und ging dann zu ihr hin, gab ihr die Hand und sprach
in einem schrecklichen Italienisch mit ihr, machte Witze
und lachte, enthielt sich aber jedes unfeinen Scherzes,
vielleicht, weil er mich eifersüchtig glaubte.

Die Kleine, belustigt von seinen Späßen und seiner
falschen Aussprache, blieb ihm keine Antwort schuldig,
und wie sie so lachend nebeneinander standen, mußte ich
mir grollend eingestehen, daß es zwei grundverschiedenere
Menschen wohl kaum geben könne, aber auch schwerlich
zwei schönere.

Richard blieb ziemlich lange da, er frühstückte etwas
mit uns, und ich bemerkte, daß ihn Maria eifriger bat,
zu bleiben, als ich. Später begleitete er mich nach der
Stadt und ich mußte ihm haarklein die Geschichte des
Mädchens erzählen.

„Und du spielst den Enthaltsamen?" fragte er dann.

„Ja, ich muß; und nun laß mich!"

„Du mußt, ich begreife dich nicht." Er sah mich
mit einem prüfenden Blicke an, dann setzte er langsam
hinzu: „Doch ja, ich glaube, ich begreife dich jetzt; du
hast Recht" — —

Von nun an kam Richard oft; allmählich stellte er
sich fast täglich ein; er nahm italienische Lektionen bei
ihr, und ich sollte dabei malen; er lehrte sie deutsche
Tänze tanzen : er wußte wohl, welche Verführungskunst
in einem solchen Tanze liegt.

Maria wurde täglich heiterer, ja oft ausgelassen
und ich sah mit Schrecken, daß der junge Leichtsinn sich
in ihr Herz geplaudert und getanzt hatte.

Wie es kommen mußte, so kam cs. Eines Tages
kam Richard zu mir und Maria ging sofort hinaus;
mir ahnte schon Schlimmes. Richard eröffncte mir, daß
 
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