Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

DOI Artikel:
Hausmann, S.: Der Kalender und die bildende Kunst, [1]: eine Neujahrsbetrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0139

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
von s. Kausmann


Die Advokaten, von Jean Beraub

umher, seiner Winke gewärtig, zwei weitere sind mit Fütterung der Hunde beschäftigt. Diesem Vollbilde gegen-
über finden wir auch auf dem eigentlichen Kalenderblatte —- außer den in den reichen ornamentalen Schmuck
desselben eingefügten Heiligenfiguren — am unteren Rande das Januar-Motiv wieder, und zwar in einem
reizenden Genrebilde: es ist ein Turnier zweier Trinker auf dem Eise, jeder sitzt, mit einer Art von Lanze
bewehrt, auf einem Fasse, das auf einem Schlitten ruht, und je vier Bursche ziehen die Faßreiter gegen ein-
ander — gewiß ein köstlicher Einfall, der mit liebevollster Sorgfalt durchgeführt ist. Hat uns so das Haupt-
motiv des Januar an die reichbesetzte Tafel des Stadtherrn geführt, so führt uns der Februar in die Hiitte
des armen Bauern: der Vater wärmt sich am Kamin, die Mutter fitzt vor dem Feuer und strickt, der Knabe
vollbringt eine Verrichtung, an der die wütendsten Naturalisten unsrer Tage nichts auszusetzen hätten, über den
Hof kommt eine Frau, die in die erstarrten Hände haucht, im Hintergründe sieht man vor einer Stadt eine
Windmühle, von der ein Mann mit seinem Esel einige Mehlsäcke fortbringt, — am untern Rande des Kalender-
blattes aber wird von dem einen Holz gehackt, ein andrer hat sich gebückt, um einen Holzklotz zu spalten, zwei
Jungen, der eine mit zerrissenem Beinkleide, kommen vorsichtig über eine Eisfläche daher, ein letzter endlich
trägt einen Bündel trockener Zweige und schleppt gleichzeitig einen Baumstamm herbei — die dem Februar
zukommende Idee, Schutz gegen die Kälte des Winters, könnte kaum in reizvollerer Meise durchgeführt sein.

Ungleich naiver und in technischer Beziehung mit den hier besprochenen künstlerischen Erzeugnissen nicht
vergleichbar, wegen ihrer Bedeutung für die Entwickelung des Kunstgefühls im allgemeinen dagegen äußerst
bemerkenswert ist eine mittelalterliche Einrichtung, die zu den interessantesten Erscheinungen in der ganzen Geschichte
des Kalenders gehört: wir meinen die sogenannten Bilder- oder Bauernkalender. Bekanntermaßen waren im
Mittelalter die Kreise der Bevölkerung, denen die Kunst des Lesens geläufig war, ziemlich enge gezogen. Für
diese Kreise bot die Verallgemeinerung des Kalenders keine besondere Schwierigkeit: die sogenannten Briesmaler
(schon frühe in zunstmäßiger Organisation auftretende Abschreiber) sorgten unter anderm auch für die nötige
Verbreitung des Kalenders, indem sie die in den klösterlichen Kirchen- und Gebetbüchern befindlichen Kalendarien
in kleinerem Maßstabe, meist wohl mit dem Schmucke einfacher Miniaturmalerei, kopierten. Weniger einfach
 
Annotationen