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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Grasberger, Hans Nepomuk: Streich um Streich, [2]: Künstlernovelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0167

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Streich um Streich

Aünstlernovelle. von Dans Grasberger

(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte)


ie Nacht ist um eine gute Stunde weiter vorgerückt;
spätere Gäste sind kaum mehr zu erhoffen. Auch
Suschen schickt sich an, schlafen zu gehen.

Aber während dieses unbelauschten Geschäftes, wäh-
rend sie den Zopf entringelt und auflöst, so daß ihr
die Fülle dunklen Haares über die vollen Schultern
herabflutet, blickt sie wieder und wieder in den Spiegel,
und sie ist doch sonst kein eitles Geschöpf. Ihr Gesichtchen
drückt auch nicht Selbgcfälligkcit, sondern eher einen leisen
Kummer aus. Sie scheint ihre Gestalt zu messen. . .
Ist ihr bange, dem kurzen Röckchen doch noch nicht ganz
entwachsen zu sein?

Spricht sie nicht leise für sich hin?

So ist's.

„Endlich ist er wieder da! ... Wie er mich nur
so bloßstellcn konnte vor dem Fremden! ... Er wird
wieder nur Posten treiben; ein ernstes Wort wird mit
ihm kaum zu reden sein . . . Ach, und sein Bart ist noch
schöner geworden."

O, mit wie schweren Sorgen solch junges, schönes
Leben zu Bett geht! —

Der nächste war ein Sonntagsmorgen.

Als sich die Freunde trafen, lachten sie hellauf
gegeneinander.

„War das gestern Abend ein hartnäckiger, ritter-
licher Kampf um die Gunst der Dame!"

„Die den einen abgetrumpft und den andern kaum
gegrüßt hat."

„Eben deshalb war's echt Don Ouixotisch."

„Und weh' ihr, wenn wir uns umsonst ereifert
haben!"

„Wie meinst du das?"

„Wenn der unbestochene Tag ihr Lärvchen weniger
hold und eigen erscheinen läßt."

„Das besorge ich weniger..."

„Als?"

„Daß wir mit dem anmutigen Kind manche wert-
volle Stunde verplaudern werden."

Man war in die Gartenveranda getreten, des Früh-
stücks gewärtig. Susi brachte dasselbe.

Sie nahte so frisch und schön, daß sie selbst dem
jungen Tag ein Lächeln abzugewinnen schien.

Ums strenge Künstlerauge war's geschehen; es konnte
nicht länger unbefangen bleiben. Susi bestand die Probe
und dem Anscheine nach ward sie's sogar inne, daß sie
obsiege.

„Guten Morgen, meine Herren! Haben Sie gut
geschlafen?"

Pichler: „Leidlich unter diesem berüchtigten Dache."

Susi: „In eine Näuberherberge kehrt man, einmal
heil entkommen, sonst nicht wieder ein."

Vogl: „Es scheint eher eine Dame Kobold, ein be-
rückendes Hexlein hier sein Unwesen zu treiben."

Susi: „Hu, dann ging's wohl recht unheimlich her."

Pichler: „Ja, und wir haben einander gerade unsre
Träume erzählt."

Susi: „Ich bin zu wenig Lotterieschwester, und was

Ihr Traum aus mir macht, Hab' ich zu verantworten
keine Lust."

Und damit wandte sie sich ab, um in der Gaststube
nachzusehen. Es war ja um die Zeit zwischen dem Früh-
gottesdienste und dem Hochamte. Suschen hatte dem
ersteren beigewohnt — ein frommes Kind, das sie trotz
ihrer Munterkeit war — und sich, zurückgekehrt, eben nur
rasch ein blendend weißes Fürtuch umgebunden. Sonst
war sie noch ganz in ihrem Sonntagsstaat. Ter schwarze
Sammt hatte die beneidenswerte Aufgabe, ihre runde,
schmeidige Büste einzufangen, die silberne Perlenschnur
.so und so oft ihr schlankes Hälschen zu umranken; das
schwarze Kopftuch, das langflügelige, saß reizend auf ihrem
Scheitel, ein bischen zur Seite gerückt; das nußbraune
Haar quoll darunter hervor. Tadellos war das Oval
des Gesichtchens umschrieben, und darin war nur An-
mutendes zu schauen: Rehaugen unter der schmalen Stirn
und den feingezogenen Brauen, ein wohlgcbildetes Näscheu
und ein Mündchen mit doppelt geschwungener Oberlippe.
Individuell war namentlich die weiche Linie von den
Nasenflügeln die zarten Wangen herab, und die leise
schattenden Schläfen waren im Ton merklich blässer als
das übrige gesunde Braun. Sie verliehen dem Köpfchen
einen fast aristokratischen Zug. Der Wuchs war zierlich-
schlank, die Bewegung leicht und von natürlicher Anmut.

Und einer solchen Begegnung hatten sich nun Tag
für Tag Künstler zu erfreuen, die nicht einmal Genre-
maler waren!

Die beiden blieben nicht lang allein; Herr und Frau
Salomo kamen, sie zu begrüßen. Suschen war unver-
kennbar mehr der Mutter als dem Vater aus den Augen
gerissen. Aber Frau Martha war nun eine gemächliche,
würdige Erscheinung. Sie sprach umständlich und im
Tone der Wichtigkeit, so daß Tuschens Witz offenbar
vom Vater herrühren mußte. Sie war zum Kirchgang
gerüstet, und was damit zusammenhängt, betrieb sie mit
einer Art von Feierlichkeit. So setzte sie sich auch bei
den Gästen wie auf einen Kirchfluhl nieder, nur daß sie
das große silberbeschlagene Gebetbuch nicht schon entfaltete,
sondern bedächtig zur Seite legte — mit dem Bcschläg
natürlich obenauf.

Auf dieses Gebetbuch lenkte ein bedeutsamer Blick
Pichlers die Aufmerksamkeit des Freundes.

Der Salomo-Wirt war ein rüstiger Alter. Sein
Gesicht spiegelte Geradsinn, aber hinter seinen lebhaften
Augen durfte man wohl auch Verstand und Schlauheit
vermuten. Er sprach mit Laune und bezeigte an dem
Schaffen und Treiben der Künstler, welche am liebsten
bei ihm sich einnisteten, ein ungeheucheltes Wohlgefallen.
Er hatte selbst auch ein Stück Phantasieleben vor seiner
Ehehälfte voraus, und Suschen hielt er für so ganz nach
seinem Wesen und Herzen geartet.

Pichler hatte, weil er den letzten Sommer hier nicht
mitgemacht, viel zu fragen, und Salomo gab bereitwillig
Auskunft. Wer für Heuer bereits angesagt sei; ob er
im vorigen Jahr sein Haus besetzt gehabt habe; ob die
alte Banda vollzählig gewesen, wer zugewachsen, wer
 
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