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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Grasberger, Hans Nepomuk: Streich um Streich, [2]: Künstlernovelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0169

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Streich um Streich. Künstlernovelle. Don H. Grasbergcr

weggeblieben, und ob sie sich mehr in den Bergen oder
zwischen den stillen Wässern Herumgetrieben; ob der
Händler aus München sich wieder eingestellt, ob und
was er gekauft habe; von wem die lustigsten Streiche
ausgegangen; ob es viele Häkeleien gegeben und wer
dabei den Kürzcrn gezogen: das und andres mehr sollte
in bunter Folge durchgegangen werden; denn die Künstler
sind ein neugieriges, ja sogar medisantes Völklcin und
wer an ihm Gefallen findet, wird nur zu leicht selbst
auch zum Merker und Mitschäker.

Und eben wollte Salomo von der Malerin Flora
erzählen, als Vogl eine herzliche Lache aufschlug.

Gleichzeitig rief die Frau Wirtin aus: „Jesus,
Maria und Joseph! Hat er richtig mein Gebetbuch in
der Hand und auf das gotteslästerliche Sprüchlein ist er
auch schon gestoßen. Ich habe ein rechtes Kreuz damit."

„Lies, lies!" drängte Pichler; „Frau Mutter, lesen
lassen!"

Und Vogl las mit köstlichem Nachdruck: „Wer nicht
liebt Wein, Weiber und Gesang, bleibt ein Narr sein
Leben lang — Or. Martinus Lutherus."

„Wie kommt dieser lose Reim in ein Gebetbuch, in
ein katholisches Gebetbuch, in Ihr Gebetbuch, Frau
Mutter?" fragte Pichler, der längst von der Sache wußte,
mit erstaunlichem Ernst. „Das ist ein Skandal!"

„Ja, das sag' ich auch", pflichtete die arme Frau
beklommen bei. „Aber raten Sie mir selbst, kann ich
dem Herrn, der's hineingeschrieben hat, die Schand'
anthun..."

„Es kurzweg auszustreichen, meinen Sie?"

„Ja, Herr von Vogl."

„Und wer ist denn der Missethäter, der so geschont
sein will?" schaltete Pichler ein.

„Einer, der eh' auch so heißt, wie Sie. Ein Dichter
soll er sein, ein Tiroler Dichter, aber ein berühmter..."

„Das ist er freilich."

„Ja wissen S, Herr von Vogl, davon Versteh' ich
nichts."

„Einem Dichter soll man so etwas wie ein Gebet-
buch nicht in die Hände fallen lassen — er weiß cs nicht
zu schätzen."

„Das mein' ich auch, Herr von Pichler, und die
Maler sollen nicht viel bester sein."

„Oho, oho, Frau Mutter!"

„Aber daß er ein gar leutseliger Herr ist gewesen
und daß man ihm gern zugehört hat, Hab' ich sagen
wollen."

„Er bleibt trotzdem verdächtig. Und daß Sie solche
Leute flugs als neue Heilige Ihrem Gebetbuch einver-
leiben, das, Frau Mutter, ist noch bedenklicher." So
stichelte Pichler.

„Unsereins hat kein Stammbuch, braucht auch keins;
aber seine guten Freunde möchte nian doch schön bei-
sammenstehen haben."

„Im Gebetbuch?"

„Vorn und rückwärts auf den leeren Seiten, auf
daß man nicht vergißt, ihrer zu gedenken. . ."

„Im Gebete? wie der verstockten Sünder, nicht?
wie der armen Seelen, nicht? Frau Mutter, das ist sehr
schmeichelhaft für Ihre Auserwählten." So Vogl.

(Die Fortsetzung

t-s

„Ich weiß ohnehin, daß Sie mich nicht aufkommeu
lassen. Meine Susi steht ganz oben angeschricbcn und
ist gottlob kein verlornes Kind."

„Wacker, Frau Mutter!" fielen beide Künstler ein.

Leicht versöhnt erhob sie sich, nahm ruhig das
Gebetbuch au sich und sagte zu ihreni Ehewirte, der
weidlich mitgelacht hatte: „Du kommst doch bald nach;
hörst du, sie läuten schon zusammen."

„Und, daß ich Ihnen von Fräulein Flora erzähle",
nahm nun Salomo das Wort; „Sie wissen ohnedies,
daß man sie nicht gern gehabt hat..."

„Sie war Aquarcllistin, verlegte sich ans Volkstypcn,
hatte eine böse Zunge, war eine Spaßverderber!», konnte

Bildnis des Fräulein H. von A. kynais

wenig und dünkte sich viel" — bemerkte zum Freunde ge-
wendet Pichler.

„Und man hat ihr eineu rechten Possen gespielt,
das muß ich schon sagen", fuhr der Wirt fort. „Sie
kennen vielleicht den Kohlenbrenner Lipp. Sein Bruder,
der Sepp, ist im Ausgeding. Sie sind dem Alter nach
nur um ein Jahr auseinander. Und sie sehen einander
zum Verwechseln ähnlich; das heißt, wenn man den einen
sieht, ist man leicht im Zweifel, ob es nicht der andre
sei. Hat man beide nebeneinander, dann fallen die
Unterschiede auf. Sie haben viel auf Kosten dieser Ähn-
lichkeit gesündigt, die alten Hallodri, aber gute Köpfe
haben sie, wie die Herren Maler zu sagen pflegen."
im nächsten Hefte)
 
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