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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Über die Beurteilung von Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0205

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Uber Beurteilung von Bildern

lZt

der modernen Künstler beurteilt, die viel von sich reden
machen, und wie rücksichtslos strenge man jede Faser der
oft unter größter Anstrengung und mit eisernem Fleiße
erzeugten Schöpfungen der nicht „führenden" Meister be-
gutachtet. Die Armut und Häßlichkeit thronen nun einmal
im Reiche der Freilichtmaler und der Impressionisten,

Aus F. Rallmorgcns Skizzeubuch

aber die Armut und Häßlichkeit könnte, in Personifika-
tionen, doch zum mindesten beanspruchen, künstlerisch be-
handelt zu werden. Und wenn uns der Mangel an
richtiger Zeichnung — liebevolleBehandlung einer alten Frau
wagen wir gar nicht zu erbitten — doch nur durch schöne
Farbe ersetzt würde! Auch das nicht. Grau, Freund, ist
alle Theorie! Treten wir an einen Rembrandt hinan,

sehen eine alte Frau — wie wunderbar tritt das Alter
in die Erscheinung, geadelt und durchgeistigt von dem
Künstler! Erblicken wir eine alte Frau von Uhde, er-
faßt uns Unbehagen, und wir denken ä In Goethe: Warte
nur, balde alterst auch Du — keine Spur von künstlerischer
Empfindung ! Man vergleiche nur Gebhardts und Uhdes
Figuren. Gebhardts Christus und Uhdes Christus! Geb-
hardts Christus erscheint als edler Mensch, als der über-
zeugungsvolle Träger einer hohen Sendung — Uhdes
Christus tritt uns als abgehärmter müder Wandersmann
entgegen. Dieser Christus bringt der Menschheit kein
Opfer, wenn er seinen Leib für ihre Sünden hingibt —
wer so leivcnd erscheint, dem ist der Tod Erlösung!
Dieser Gedanke nimmt uns die Weihe der Stimmung,
die das Anschaueu eines ernst gewollten Bildes erheischt.
Und nun die Farbe? Dort ein Reichtum des Kolorits,
hier die Nebeneinanderstellung unerfreulicher Lokalsarbcn.
Dort Gedankentiefe, hier deutsche Übersetzungen von
Bastien-Lepage-Motiven. — Wir treten an die Beur-
teilung eines Bildes, das auf der letzten Münchener
Jahresausstellung Furcht und Grausen erregte, bei dessen
Betrachtung uns die Worte erstaunter Künstler in die
Ohren drangen: Ein sonderbarer Kauz — aber genial!
Wir stehen vor dem Luzifer von F. Stuck. Was sich
der Maler dabei gedacht hat, wird wohl jedem ein Ge-
heimnis bleiben. Der geflügelte Herr mit dem funkeln-
den Augenpaar kann nur als abschreckendes Beispiel ein.
Ausstellungsdasein fristen, den künstlerischen Wert zu be-
messen, fehlt der normalen Vernunft der Maßstab. Die
Farbe scheint in der Gedankentiefe abhanden gekommen
und der Gedanke auf dem Wege zur Leinwand erkrankt
zu sein. Ist das künstlerische Äußerung einer Genialität?
Wenn alle genialen Gedanken derart zur Anschauung
kommen, müßten an den Eingängen der Säle, in denen
sie plaziert sind, Warnungstafeln mit dem Vermerk an-
gebracht werden: Man mache sich auf alles gefaßt! Ohne
solche Vorsichtsmaßregeln könnte der Schreck für zartbe-
saitete Damen üble Folgen haben. Wie sollen wir das
Bild beurteilen? Sollen wir es als Staffelcibild be-
trachten oder als ein vergrößertes gemaltes Titelblatt zu
einem Werke über Licht und Finsternis? Als Kunst-
objekt fordert es, unsres Erachtens, kein Urteil heraus.
Wohin sind wir mit unsrer Beurteilung gekommen! In
dem Tonzeitalter der Malerei konzentriert sich die Auf-
merksamkeit auf die Tonwirkung des Bildes: „Schön im
Ton!" Mit dieser Parole ist jedem Kritiker der Grund-
ton angegeben. „Es geht gut zusammen" — „cs wirkt
famos" — „die Harmonie der Farben ist erstaunlich"
— „wie alles schön zusammenstimmt" — das sind Schlag-
worte der Beurteilung moderner Bilder! Ob die Zeich-
nung richtig, die Perspektive exakt, die Komposition
künstlerisch ist — scheint nicht von Belang. Uns wurden
Bilder von Leuten, die die Kompetenz des Urteils ge-
pachtet zu haben glauben, als Meisterwerke gezeigt, die
Fehler in der Zeichnung, in der Perspektive und Un-
schönheiten in der Komposition aufwiesen, die man ehedem
keinem jungen Akademiker verziehen hätte. Von dem
Verständnis der Farbenwerte wollen wir ganz abstrahieren.
Wenn die Farben nur gut Zusammengehen! UnS ist es
unbegreiflich, wie die extremen Freilichtmaler in Deutsch-
land überhaupt solchen Lärm und solche Attraktion aus-
üben können. Offen gestanden wurzelt ihre Schulung
doch in der französischen Kunst, und in Frankreich hat
 
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