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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Erlebnisse eines Malers in einer Droschke zu Amsterdam
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0242

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Erlebnisse eines INalcrs in einer Droschke zu Amsterdam

mir sehr, und ehe sich mein Freund auf dem Bock
die Folgen klar machen konnte, hatte ich sein Pferd aus-
gespannt, an einen Werftpfosten gebunden und das Innere
seiner Droschke in ein Atelier verwandelt.

In fünf Minuten bemerkte ich, daß ein droschkenloses
Pferd und eine pierdclose Droschke, über welche ein niit
einem Schirmstock bewaffneter Droschkenkutscher präsidierte,
kein alltäglicher Anblick in Amsterdam waren. Ich hatte
auf dem Steinguai Aufstellung genommen, etwas abseits
von der Straße, wo ich niemandenftim Wege war. Ich
wünschte mir Glück zu meiner Lage und war sicher, daß
ich nicht gestört werden würde. Mir zur Linken befand
sich der Kanal, gedrängt voll Marktboote, die mit Gar-
tenerzengnissen beladen waren; zur Rechten die enge
Straße, verstopft durch den Verkehr der Stadt.

Plötzlich stand der Handel von Amsterdam still.
Alle Leute, die auf den großen Booten waren, kletterten
schnell in kleinere und ruderten schnell ans Ufer. Alle
Leute auf der Straße sprangen im selben Augenblick von
Karren, Wagen und Thürstufen, und in zwanzig Sekun-
den war ich von der wogenden Menge überflutet, die
mein vierrädriges Fuhrwerk nmspülte. Mein einziges
Fenster war von besorgten und fragenden Gesichtern
blockiert.

Ich hatte mich schon öfter in solchem Gedränge
befunden und wußte genau, was ich zu thun hatte.
Sphinxgleiches Schweigen und Bewegungslosigkeit des
Gesichts sind geboten. Wenn Du weder sprichst noch
lächelst, so stößt das dem Pöbel eine Achtung vor Dir
ein, die sich fast zur Ehrfurcht steigert. Die Nächststehen-
den, die etwas sehen können und gerne mehr sehen
möchten, werden unbewußt Deine Vertreter und machen
denen, welche nichts sehen können, Vorstellungen, den
Maler nicht anzustoßcn und ihm die Aussicht nicht zu
versperren.

Diese Menschenmasse machte keine Ausnahme von
der allgemeinen Regel. Ich bemerkte jedoch eine Eigen-
tümlichkeit. Jeder Amsterdamer, der bis zu meinem
Fenster vorgedrungen war, betrachtete schweigend meine
Leinwand und sagte dann: „Ah, teekenmeester". Bald
ging das Wort von Mund zu Mund und erreichte die
verspäteten Bürger, die herbeistürzten, stehen blieben
und befriedigt schienen, wie sie alle ausricfen: „Ah,
teelcenmeester."

Endlich ergriff der Handel das Szepter wieder.
Die Straße entwirrte sich. Der Kohlmarkt belebte sich
wieder, und ich wurde in verhältnismäßiger Ruhe gelassen,
natürlich immer mit Ausnahme der kleinen Jungen.
Die Sorte hier war besonders störend. Sie stiegen auf
das Dach, blockierten die Fenster, kletterten auf den Bock,
bis der Kutscher eine genügende Geschicklichkeit in der
Benutzung des praktischen Endes meines Schirmstockes
erlangte, worauf sie sich in respektvoller Entfernung
hielten.

Endlich' senkte sich Ruhe über das Ganze. Ter
Regen fiel leise und beständig. Das Sprungsedcrvieh
ruhte abwechselnd bald auf diesem, bald auf jenem Bein,
und die Jungen betrachteten mich von weitem. Mein
Kutscherchen lehnte in dem andern Fenster und machte sich
mir nützlich, indem er mein Malwasser hielt, und ich war
dabei, meine erste Skizze in Holland schnell zu beendigen,
als plötzlich das Licht abgeschlossen wurde. Als ich auf-
sah, erblickte ich den Kopf eines Polizeibeamten. Er

musterte scharf — mich, meine Skizze und meine inneren
Einrichtungen — und dann gab er mir mit rauher
Stimme einen Befehl auf Plattholländisch. Ich deutete
auf meinen Stabhalter und fuhr fort zu malen. Im
nächsten Augenblick steckte der Beamte den Kopf durch
das andre Fenster und wiederholte seinen Befehl aus
Hochholländisch. Ich wies ihn fest ab und verwies ihn
wieder an mein Kutscherchen.

Nun brach draußen ein Krieg los, an dem alles
teil nahm, und in einer halben Minute hatte die
Bevölkerung von Amsterdam die Werft blockiert. Ich
bewahrte mein ägyptisches Äußere und machte mich
daran, eine Lasur über meinen Himmel zu legen, ohne
mich stören zu lassen. Bei dieser Beschäftigung wurde
ich mir bewußt, daß die Sprungfeder wieder mit der
Droschke verbunden wurde. Dieses Faktum wurde Posi-
tiv, als mir meiu Kutscherchen den Schirmstock ablieferte
und die Thür aufmachte.

Ich stieg aus.

Der Herr mit goldenen Knöpfen befand sich in
Weißglühhitze. Die Massenversammlung überließ sich
einem Kreuzfeuer der Kritik, der durch lose Kohlblätter
und weggeworfenes Gemüse, das wie Bomben durch die
Luft flog, Nachdruck gegeben wurde, und der Ausgang
der ganzen Sache war, daß mich der Beamte von dem
Quai fort in eine Seitenstraße hineinbcorderte.

Aber warum? Die Straßen von Amsterdam waren
doch frei. Ich saß niemandem im Wege, verstieß gegen
kein Gesetz und verursachte keine Störung.

In diesem Augenblick kam von einer Gruppe Werft-
ratten her ein halber Kohlkopf von gestern durch die
Luft gesegelt, traf den Helm des Polizisten und rollte
ihn in den Kanal. Der Menge entfuhr ein Schrei; mein
Kutscherchen lief ans Wasser hinunter, um die Kopf-
bedeckung wieder zu holen; der Besitzer zog sein kurzes
Schwert und stürzte auf die Werftratten zu, die plötzlich
verschwanden.

Ich stieg wieder in mein Atelier, machte die Thür
zu und fuhr fort zu arbeiten. Ich kam zu dem Schluß,
daß es noch nicht mein Begräbnis sei.

Ich erinnere mich noch jetzt genau der Lage. Ich
hatte meine Wasserflasche in der Hand und füllte meinen
Malbecher wieder, den Mund voller Pinsel, die Palette
auf dem Schoß und stützte die Staffelei mit einem Fuß.
Plötzlich fuhr mir ein von einem nassen Helm gekröntes
und vor Wut fahles Antlitz ins Gesicht, und eine drei-
eckige Abart von Dialekt, die jedem außer einem Hollän-
der einen schlimmen Hals verursacht hätte, wurde auf
mich abgefeuert, von der gewöhnlichen, wohlbekannten
Handbewegung begleitet, die so viel heißen will als:
„Mach', daß Du wegkommst."

Indem ich mich des besänftigenden Einflusses er-
innerte, den ich auf den Pöbel von vorhin ausgeübt
hatte, nahm ich vor Seiner Exzellenz den Hut ab und
sagte: „Teekenmeester." Der Kopf verschwand wie der
Blitz, und im nächsten Moment lag ich mit dem Rücken
platt auf dem Boden der Droschke, mit Wasser bespritzt,
mit Farbe beschmiert und halb erstickt unter einem Durch-
einander von Kissen, Malbechern, nassem Papier und
losen Skizzen, und in dieser Lage wurde ich ohne alle
Umstände^über das Pflaster dahingeraffelt.

Die Majestät des Gesetzes hatte sich geltend gemacht.
Ich wurde rückwärts in eine Seitenstraße hineingeschoben.
 
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